Die amerikanische Abseitsfalle

Bushs Weltinnenpolitik in der Beziehungskrise

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Große Politiker reagieren nicht auf die Verhältnisse, sondern gestalten sie. Bereits beim Amtsantritt dürfte die Bush-Regierung von dem brennenden Wunsch beseelt gewesen sein, Saddam Hussein von der Welttafelrunde der Mächtigen wegzufegen. Und die Gelegenheit, eine alte Rechnung der Bush-Dynastie zu begleichen, rückte mit dem Weltschicksalstag des 11.09. in greifbare Nähe.

US-Verteidigungsminister Don Rumsfeld ließ laut dem Fernsehsender CBS untersuchen, ob auch Saddam Hussein nun gleich mitentsorgt werden könne. "Enduring Freedom" ist halt Teil einer Komplettlösung, in einem Aufwasch sämtliche Machtallüren jenseits der von Amerika definierten Weltordnung in den Orkus zu jagen. Bezeichnend für die Elastizität der amerikanischen Weltrettungspolitik war, dass die ursprüngliche Absicht, Saddam Hussein als Terroristenherbergsvater oder Mittäter zur Rechenschaft zu ziehen, schließlich gegen das immergrüne ABC-Bedrohungsszenario ausgetauscht wurde. Zu dünn waren die Anhaltspunkte für eine Verstrickung Saddams in den Terrorgroßhandel der Al-Qaida, auch wenn nun die Ein-Billionen-Dollar-Klage gegen den Finsterling aus Bagdad zum richtigen Zeitpunkt lanciert wird, um selbst das noch unter Beweis zu stellen.

"Terrorismus" haben wir inzwischen als flexible Losung kennen gelernt, wie schon deren einvernehmliche Übernahme durch andere Kriegs- und Krisenpolitiker aus Indien, Pakistan, Russland, Israel und Palästina zeigte. Doch der simple Schnappschlossmechanismus des Terrorismusvorwurfs, der in den Nachwehen des 11.September so unverwüstlich funktionierte, hakt inzwischen. In bunter Reihenfolge und mit unterschiedlichen Akzenten haben Schröder, Solana, Chirac, Putin, aber auch Demokratenführer Tom Daschle und immer größer werdende Teile der amerikanische Öffentlichkeit Bushs Willen zu globalen Alleingängen kritisiert. Historisch spannend könnte die Frage werden, was denn Macht überhaupt sei. Die Naivität der Bush-Regierung liegt darin zu ignorieren, dass der amerikanische Sieg über Saddam Hussein nicht nur zum moralischen, sondern auch machtpolitischen Phyrrus-Sieg werden könnte. Dabei geht Bush davon aus, dass spätestens nach dem Fall des Tyrannen von Bagdad die kritische Restwelt ihre skrupulösen Vorbehalte gegen das Unternehmen schon fallen lassen wird. Dem Sieger gebührt eben alles, auch und vor allem die moralische Deckungsmasse seiner Heldentaten in der gefälligen Nachbetrachtung. Militärisch ist der Ausgang des Unternehmens wohl kaum eine Überlegung wert. Das von Bagdads Tyrannen angekündigte "Vietnam" ist seit dem zweiten Golfkrieg eine leere Phrase, Saddams gegenwärtig hochtourige Verteidigungsanstrengungen kaum mehr als Wirklichkeitsflucht.

Doch Macht ist ein komplexeres Phänomen als nur die Gewalt, die aus den Gewehrläufen kommt. Amerika riskiert mit dieser Kriegsregierung, sich selbst in das politische Abseits zu stellen, in dem sich zurzeit angeblich die deutsche Bundesregierung mit ihrer deutlichen Absage an Bushs Militärpolitik aufhält. Amerikas Führung zweifelt an der Enge der Beziehungen. Zu Recht, denn wer autokratisch seine Vasallen nur zum Abnicken seiner Entscheidungen einlädt, legt auf Beziehungen augenscheinlich keinen Wert. Außer dem nibelungentreuen Tony Blair gibt es keine echten Befürworter der Golfkriegsfortsetzung. Blairs nun bekräftigte Bereitschaft, den Blutzoll eines dritten Golfkriegs zu erbringen, reanimiert eine in Europa aus guten Gründen schon vergessene Sprache. Andere Nationen wie etwa Frankreich schweigen diplomatisch, um sich nicht wie Bundeskanzler Schröder Liebesgrüße aus Bagdad einzuhandeln und als strategische Toren zu gelten. Doch politische Strategie spielt hier schon lange keine Rolle mehr, weil Bush sich eben nicht alle Optionen offen hält, was allein diplomatisches Schweigen anderer Nationen rechtfertigte, sondern der Stab über Saddam Hussein längst gebrochen ist. Wer jetzt nicht sagt, wie er zu diesem Krieg steht, wird in Kürze nur noch über dessen Resultate reden können. Schröders brüske Rhetorik ist kein Dolchstoß für eine amerikanische Politik der vielen Möglichkeiten. Zu deutlich wurde in maßgeblichen Verlautbarungen der US-Regierung, dass die Rückkehr der Waffeninspekteure nichts an der obersten Priorität ändert, den Herrn aus Bagdad abzuservieren. Saddams Kopf rollt bereits.

Wird das Unternehmen unter solchen Auspizien durchgeführt, hat sich das von Bush angeführte Amerika mehr denn je als eine globale Supermacht geoutet, die ihre Interessen kurzerhand wie kurzschlüssig mit den Geschicken der Menschheit gleichsetzt. Allein die sich immer stärkere Entzweiung Bushs mit seinem vergleichsweise moderaten Außenminister Colin Powell, der sich zuletzt Feigheit vor dem Feind nachsagen lassen muss, demonstriert, dass Amerika seit Bush II. keine Außenpolitik mehr kennt. Bushs Regentschaft reduziert sich auf eine bellizistische Weltinnenpolitik. Für die einen ist das die neue, glückselig machende Globalität a la américaine, für die anderen dagegen Despotie im Weltmaßstab. Wie immer man optiert: Dieser Global-Leviathan lässt sich weder demokratisch kontrollieren noch unterliegt er dem internationalen Spiel der Kräfte, in dem sich die Völkergemeinschaft wechselseitig in Schach hält. Die Blauhelme können bis auf weiteres eingemottet werden. Die Legitimation des US-Empires beruht allein auf seiner moralisch angemaßten Letztentscheidungskompetenz. Und anders hat es auch Gefolgsmann Blair nicht formuliert: Es gehe ausschließlich um gut und böse. Dabei wird nicht nur differenziertes politisches Handeln gegen die moralisch bewehrte Kriegskeule ausgetauscht. Die Anmaßung, dass nur noch die US-Regierung den Lauf des Weltschicksals wahrnimmt, markiert eine unverhohlene Steigerung amerikanischer Selbstherrlichkeit. Die Hoffnung, etwa von Jürgen Habermas anlässlich des zweiten Golfkriegs, die USA und ihre Alliierten könnten den vakanten Job einer neutralen Weltpolizeimacht übernehmen, wird jetzt endgültig enttäuscht.

Denn wer die Interessen, Hoffnungen und Wahrnehmungen seiner Freunde nur noch als lästiges Hindernis versteht, das mit propagandistischen Manövern nicht weniger als diplomatischem Druck aus dem Wege geräumt werden soll, riskiert rückhaltlos und mit der Arroganz des Mächtigeren seine Glaubwürdigkeit. Doch mehr als das! Vielleicht ist der offene Bruch zwischen den USA und dem größeren Teil Europas Saddam Husseins größter Kriegsgewinn in der Stunde seiner letzten Niederlage. Sollte gerade Amerikas so eigenmächtige wie bündnislose Kriegspolitik den von Terroristen und nicht weniger Saddam Hussein ersehnten Aufstand der arabischen Welt, mindestens aber unabsehbares Machtchaos provozieren? Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, sieht das Tor zur Hölle offen, wenn Amerika den Irak präventiv angreift. Zwar mag auch diese blumige Apokalypse allzu voreilig sein, aber Amerikas hochtönende Schulterschlusspolitik einer Allianz der Guten gegen die Bösen hat sich damit erledigt.

Selbst wenn Saddam Hussein - wider alle Präzedenzen - der blindwütige Weltverbrecher wäre, den Bush und seine Mitstreiter angeblich in ihm erkennen, legitimiert das längst keinen Präventionskrieg (Vgl. Zur neuen Präventionsmoral alter Krieger), dem wieder Tausende Menschen zum Opfer fallen werden. Moralische Glaubwürdigkeit hängt zudem davon ab, konkrete Nachkriegsordnungen anzustreben und nicht Regionen in eine vorüber gehende Konfusion zu stürzen, aus dem dann erfolgreiche Nachwuchssaddams und neue Usamas auftauchen, um das ewig gleiche Machtspiel fortzusetzen. Saddam Hussein und Konsorten sind auf dieser Erde schon unzählige Male den Tyrannentod gestorben, nur: blutärmer und ziviler sind die Menschheitskonflikte dadurch nicht geworden. Der vermutlich demnächst in Flammen stehende Irak ist kein Schritt zu einer neuen Friedensordnung, sondern lediglich eine Lektion, die von der Geschichte bereits zu oft gewährt wurde. Allein der Weltinnenpolitiker Bush, der an Außenpolitik notorisch uninteressiert sein soll, lässt die Welt jetzt noch einmal nachsitzen. Wo ist eigentlich die vormalige Politologie-Hochschullehrerin Condi Rice, um dem Präsidenten und seinen Oberfalken Trockenkurse in Kriegsgeschichte und apokalyptischen Menschheitsängsten zu geben? Oder bereitet die sich schon jetzt darauf vor, demnächst das State Department vom wankelmütigen Colin Powell zu übernehmen?