Die bescheidenen Ackermänner von Mondragon
Die Lohnspreizung bei der Deutschen Bank liegt bei 1:400, aber es geht auch anders
Im fernen Norden Spaniens, im Baskenland, gibt es ein Örtchen namens Mondragon. Dort gibt es rund 25.000 Einwohner, keine Hochhäuser, schwarzweiß-gefleckte Kühe und größere Flachbauten. Und diese Fabrikationsgebäude sind auch der Grund, warum der Name Mondragon überhaupt jenseits der baskischen Berge bekannt ist: Sie beherbergen die Genossenschaft Fagor, die sogenannte Weiße Ware herstellt - also Kühlschränke, Herde, Waschmaschinen und dergleichen. Fagor ist nur ein Teil eines rund 120 Genossenschaften umfassenden Verbundes, der weltweit unter dem Namen Mondragon firmiert. Und was bei uns kaum bekannt ist: Mondragon ist mit fast 70.000 Mitarbeitern die größte Industriegenossenschaft der Welt, sie stellt neben der Weißen Ware ebenso Autoteile her wie ganze Press-Straßen oder Elektroteile. Mondragon ist sehr erfolgreich und in Spanien mittlerweile zum achtgrößten Unternehmen aufgestiegen. Und Mondragon „gehört“ den Arbeitern und ist basisdemokratisch organisiert.
Ortswechsel: Frankfurt am Main. Dort gibt es eine Buchmesse, Alt-Spontis, die „Grüne Soße“ und etliche wirkliche Hochhäuser wie das der Deutschen Bank. 155 Meter recken sich die Türme der Zentrale in den hessischen Himmel und auch das Salär von Josef Ackermann, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, strebt in die Höhe. Um 18 Prozent hat sich seine Gesamtvergütung im vergangenen Jahr erhöht und wird derzeit mit 11,9 Millionen Euro pro Jahr beziffert - ein Gehaltsniveau also in den höheren Regionen.
Drunten, in den Niederungen der sozialen Welt, verdienen Buchhändler, Monteure und Politessinnen rund 2.500 Euro (Brutto) im Monat, wenn’s gut geht. Um auf das jährliche Bruttogehalt von Herrn Ackermann zu kommen, müsste ein Buchhändler allerdings sehr viele Bücher verkaufen - und das 400 Jahre lang. Und dies auch nur dann, wenn sich der Trend der vergangenen Jahre bei den Löhnen nicht fortsetzt - denn seit Jahren fallen in Deutschland die Reallöhne, zwischen 1995 und 2004 um 0,9 Prozent. Wenn unser Buchhändler also heute seine Zutaten für die „Grüne Soße“ kauft - Dill, Petersilie, Schnittlauch und mehr - hat er weniger in der Tasche als zuvor.
In Frankfurt, so kann man sehen, sind also nicht nur die Hochhäuser hoch, sondern auch die sogenannte Spreizung der Gehälter, sie liegt bei einem „Normalverdiener“ wie bei unserem kochenden Buchhändler und im Fall des Herrn Ackermann bei 1: 400. Wäre unser Buchhändler länger als ein Jahr arbeitslos und Hartz IV-Empfänger, dann läge die Spreizung der Einkommen bei 1: 1200 (der durchschnittliche Hartz-IV-Leistungsbezug liegt bei 841 Euro pro Monat). Manche sagen, so was spaltet die Gesellschaft und schadet der öffentlichen Moral. Herr Ackermann sagt, so was braucht’s, weil er ja die Verantwortung für Tausende von Menschen und viele Milliarden Euro habe. Wobei der Zusammenhang der ist, dass die Menschen bei der Deutschen Bank immer weniger und die Milliarden immer mehr werden.
Ortswechsel: Zurück nach Mondragon. Über die Spreizung der Gehälter dort kann Purificacion Garbine Auskunft geben. Arbeitet doch die Mutter zweier Söhne seit 25 Jahren bei Fagor. Mit ihrem blauen Arbeitskittel kontrolliert sie die Einstellung von Maschinen und fungiert als eine Art Gruppenleiterin. In der Halle werden Kühlschrankteile gefertigt und endmontiert, 3500 Stück pro Tag produziert und man arbeitet Just-In-Time mit einem Zwei-Stunden-Puffer. Die unfertigen Kühlschränke wandern auf Fließbändern durch die weite Halle. Und es ist laut, ziemlich laut sogar. „Alles im Bereich der EU-Norm“, winkt Personalmanager Labayen Jauregui ab, der auf den gottesfürchtigen Vornamen Jesus Maria hört. Auch Frau Garbine stört der Lärm wenig: „Man gewöhnt sich daran, außerdem gibt es Ohrenschützer.“ Sie ist zufrieden mit ihrem Job, bei dem sie nach Abzug der Steuern und Sozialversicherung an die 1000 Euro pro Monat nach Hause trägt.
Die Mitarbeiter haben das Sagen
Vielleicht trägt zu ihrer Zufriedenheit bei, dass bei Mondragon Frauen für die gleiche Arbeit das gleiche Gehalt wie Männer bekommen – in Deutschland noch lange nicht selbstverständlich. Vielleicht trägt aber auch einfach zu dieser Zufriedenheit bei, dass sie de facto Miteigentümerin des ganzen Unternehmens ist – hier gilt das Prinzip der Gleichheit und Mitbestimmung als auch die Pflicht der Verantwortung. Anders als bei einer Aktiengesellschaft gilt hier: Ein Mann (respektive Frau) – eine Stimme. Und anders als bei normalen „kapitalistischen“ Betrieben haben hier die Mitarbeiter das Sagen. Jedenfalls bei der jährlichen Hauptversammlung aller Kooperationsmitglieder, auf der über alle wesentlichen Entscheidungen abgestimmt werden. Zum Beispiel über die Wahl des Vorstandes, der auf vier Jahre gewählt wird. Dieser Vorstand bestimmt den Betriebsdirektor und das Management.
Das Verhältnis zwischen Arbeitern und Management ist geprägt zum einen durch den Sozialrat, einem Gremium, das ebenfalls von der Generalversammlung gewählt wird und das die Entscheidungen in Sachen Arbeitszeit, Löhne und Arbeitsbedingungen fällt. Und das Verhältnis ist vor allem dadurch geprägt, dass das Management ja praktisch im Dienste derer steht, die selbst am Fließband stehen. Die Schizophrenie des Mitarbeiteraktienmodells entfällt, bei der die Arbeitnehmer am besten sich selbst feuern, um den Aktienkurs zu erhöhen oder andersherum bei Lohnerhöhungen den Aktienwert schwinden sehen. Das Management ist einerseits unabhängig genug, um wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen und abhängig genug, um für wirtschaftlichen Erfolg nicht die Belange der Belegschaft zu opfern. Wo ansonsten der ferne Shareholder droht, steht hier der Stakeholder bei Fuß. Denn wer bei Mondragon arbeitet, ist (meist) auch ein Mitglied der Kooperative und somit stimmberechtigt. Die Balance zwischen wirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen zu halten, ist wohl die Kunst, aus der sich nicht zuletzt der wirtschaftliche Erfolg vom Mondragon erklären lässt.
Aber vielleicht liegt die Ursache des Erfolges auch darin, dass 90 Prozent der Erlöse wieder in die Kooperativen gesteckt werden. Die einen 45 Prozent davon sind reine Investitionen (2003: 847 Millionen Euro), die anderen 45 Prozent stehen für das soziale Kapital der Mitglieder, sind als Gewinnbeteiligung zu sehen. Oder sie liegt eben in dem Lohngefälle von heute 1: 6, in dem die untersten Lohngruppen mehr, die oberen hingegen weniger als branchenüblich verdienen. Das Management zum Beispiel - also die „Ackermänner“ bei Mondragon - verdient etwa 70 Prozent dessen, was die Kollegen aus der „normalen“ heimischen Wirtschaft heimtragen.
Man sieht: Frankfurt hat hohe Häuser, wirtschaftlich erfolgreiche Banken und eine Spreizung der Einkommen von 1:400. Mondragon hat flache Bauten, erfolgreiche Genossenschaften und eine Lohnspreizung von 1: 6. Die Deutsche Bank baut übrigens Arbeitsplätze ab, bei Mondragon werden Mitarbeiter eingestellt. Wie bunt und vielfältig kann doch das Wirtschaftsleben sein.