Die beste aller möglichen ökonomischen Welten?

Momentan deuten alle Statistiken darauf hin, dass sich die Weltwirtschaft endlich in die richtige Richtung bewegt. Sollten sich die aktuellen Trends fortsetzen, dann könnten die gewaltigen wirtschaftlichen Ungleichgewichte abgebaut werden

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Die ökonomischen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft sind zwar weit davon entfernt, sich aufzulösen, momentan scheint es aber doch in die richtige Richtung zu gehen. Zur Erinnerung: Der „common sense“ unter praktisch allen Ökonomen ist, dass die USA sich einzuschränken müssten (diskutiert wird nur noch der Zeitraum, bis wann das geschehen müsse) und dass Europa und Asien Konsum und Investitionen zu steigern hätten, damit die Weltwirtschaft das notwendige Nachlassen der US-Nachfrage ohne größere Krisen verkraftet. Da Exporteure wie Konsumenten aber durchaus vom Status quo profitierten, war die Neigung der Wirtschaftspolitiker, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, bislang allerdings eher gering und die Ungleichgewichte erreichten immer bedrohlichere Ausmaße.

Offenbar ist der Konsumrausch, dem sich die USA seit den 90er Jahren hingegeben hat, jetzt aber endlich dabei abzuebben. Nach den neuesten Konjunkturdaten des US-Wirtschaftsministeriums scheint die Abkühlung auf 2,9 Prozent BIP-Wachstum im 2. Quartal (nach stürmischen 5,4 Prozent im Vorquartal) aber auch nicht so abrupt zu erfolgen, dass die Stabilität der Finanzmärkte gefährdet würde. Die aktuellem Zahlen lassen jedenfalls Hoffnung schöpfen: Während die US-Importe um weniger als ein Prozent anstiegen, legten die Exporte immerhin um fünf Prozent zu, was sich in einer Verringerung des Leistungsbilanzdefizit niederschlagen dürfte. Der Zuwachs des privaten Konsums ging von 4,8 Prozent im Vorquartal auf 2,6 Prozent zurück und selbst die Inflation hat sich zurückgebildet. Somit kann vom Schreckgespenst „Stagflation“ (hohe Inflation bei stagnierendem Wachstum) derzeit eigentlich nicht die Rede sein. Der wesentliche Punkt dürfte aber die deutliche Abkühlung des Immobilienmarktes sein. Immerhin erfolgte quer durch alle BIP-Komponenten der stärkste Rückgang bei Investitionen in Wohnimmobilien, die um 9,8 Prozent einbrachen.

Wichtig ist das, weil dank der seit Jahren steigenden Immobilienpreise US-Hausbesitzer - ohne dabei „ärmer“ zu werden - ihren hohen Konsum jahrelang via „home equity extraction“ finanzieren konnten und so die US-Sparquote nachhaltig ins Minus drückten. Niedrige Zinsen und neue Finanzprodukte verringerten die laufenden Kosten der Kredite deutlich, nicht aber die aushaftenden Summen, die besorgniserregend anstiegen. So war es möglich, den Konsum trotz der fünf Jahren lang stagnierenden Einkommen deutlich auszuweiten. Diese Quelle ist nun aber versiegt. So zeigen die jüngsten Zahlen dass die Verkaufszahlen bei bestehenden Häusern diesen Juli um 11,2 Prozent unter jenen des Vorjahresmonats lagen, während die Preise bestenfalls stagnieren. Noch sei das kein großes Problem, denn im Schnitt würden die Verkäufer ihre Immobilien seit sechs Jahren besitzen und nun noch immer eine Wertsteigerung von 60 Prozent zu Geld machen, sagt der Verband der Immobilienmakler. Anekdotische Hinweise deuten jedoch auf teilweise dramatische Entwicklungen. Gerade in den Gegenden mit den höchsten Preisanstiegen, wie Las Vegas oder den begehrten Lagen in Florida und Kalifornien, fallen die Preise derzeit jedoch rapide. Denn viele Verkäufer sind gezwungen, niedrige Preise zu akzeptieren, um einer gerichtlichen Pfändung zu entgehen. Dennoch steigt die Zahl der Pfändungen landesweit stark an und lag beispielsweise im Juli in Massachusetts um 56 Prozent über dem Vorjahresmonat. Diese Entwicklung wird sich zweifellos noch verstärken, wenn es bei den variabel verzinsten Hypotheken zu Zinserhöhungen kommt, was bei rund 30 Prozent der umlaufenden Verträge innerhalb des nächsten halben Jahres der Fall sein wird. Selbst wenn weitere Preiseinbrüche ausbleiben sollten, wird es jedenfalls kaum mehr möglich sein, unrealisierte Preissteigerung zu konsumieren.

Der aktuelle leichte Zuwachs des Konsums scheint zudem erstmals seit langem wieder mit steigenden privaten Einkommen finanziert worden zu sein, die im 2. Quartal um 7,6 Prozent, im Vorquartal sogar um 13 Prozent zugenommen hatten (wobei zu Jahresanfang aber vor allem die heuer extrem üppigen Boni der Finanzmanager ausgezahlt wurden).

Positive Tendenzen zeigen sich zuletzt auch beim US-Budgetdefizit. Zwar ist von Sparmaßnahmen wenig zu bemerken, doch sind wegen steigender Unternehmensgewinne und Privateinkommen die Steuereinnahmen stark angestiegen. Dadurch wird nach Regierungsangaben das Defizit im am 30. September endenden Finanzjahr „nur“ noch 296 Milliarden $ betragen, nach 423 Milliarden $ im Vorjahr. Gleichzeitig scheint sich aber auch ein Wandel im Investitionsverhalten der Unternehmen abzuzeichnen. Lag bisher der Schwerpunkt bei außenwirtschaftlich irrelevanten Investitionen in Einzelhandelsimmobilien und im Immobilienbereich, scheinen nun die Investitionen vor allem in den Bereichen zuzunehmen, die Güter produzieren, die exportiert werden könnten. Eine derartige Umorientierung der US-Industrie ist in der Tat unbedingt erforderlich, um das gewaltige Handelsdefizit zu verringern. Denn gut die Hälfte der Zuwächse an Wirtschaftsleistung und Beschäftigung der vergangenen fünf Jahre fanden im Immobilienbereich statt, einer Sparte, in der kaum große Exporterfolge möglich sind.

Während nun das New Yorker „Conference Board“ am 29. August für die USA den stärksten Einbruch des Konsumentenvertrauens seit der Verwüstung durch den Hurricane Katrina, bekannt gab, meldete am selben Tag die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) für Deutschland den höchsten Stand seit 2001. Ähnlich sind die Verhältnisse in weiten Teilen Europas, etwa im bislang schwächelnden Italien und in Frankreich. Die Europäische Zentralbank berichtete anlässlich ihrer Zinserhöhung von zweistelligen Zuwachsraten bei Krediten an Unternehmen und private Haushalte und zeigte sich allgemein mit Konsum und Wachstum recht zufrieden. Denn offenbar haben die Europäer das Sparen nun endlich satt, wie sich etwa in Österreich zeigte, wo die Ausgaben für Urlaubsreisen im 2. Quartal um gut 30 Prozent höher lagen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Während eine AC Nielsen Vergleichsstudie den jahrelang höchst depressiven japanischen Konsumenten noch den weltweit höchsten Konsum-Pessimismus bescheinigt, hat aber auch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wieder zu konsumieren begonnen. Immerhin ist die Arbeitslosigkeit zuletzt deutlich zurückgegangen und die Immobilienpreise zeigen nach jahrzehntelangem Abwärtstrend endlich wieder nach oben. So hatte das japanische Wirtschaftswachstum im 2. Quartal 2006 mit einem Zuwachs von 0,2% gegenüber dem Vorquartal oberflächlich betrachtet zwar enttäuscht, doch lag das vor allem an einem massiven Rückgang der Staatsausgaben, der im übrigen längst überfällig war. Der private Verbrauch wuchs hingegen um 0,5% und die Ausrüstungsinvestitionen sogar noch stärker.

Sanfte Landung der US-Wirtschaft würde Wirtschaftsboom im Rest der Welt fördern

Während Indien sich Nielsen zufolge der weltweit optimistischsten Konsumenten erfreut und Russland und Brasilien boomen, scheinen sich neuerdings zudem selbst die sparsamen Chinesen etwas Luxus zu gönnen und ihre zuletzt mehr als 40prozentige Sparquote zaghaft zurückzufahren. In der besten aller möglichen Welten würden sich diese Trends fortsetzen und eine „sanfte Landung“ der US-Wirtschaft zeitgleich mit einem Investitions- und Konsumboom in weiten Teilen der restlichen Welt stattfinden. Die ärmsten Länder würden ihre Ersparnisse nicht länger in die USA exportieren, sondern im Innland investieren. Die ganze Welt könnte so ihren Lebensstandard steigern, während die US-Bürger ihre SUVs, Porsches und Flachbildschirme eben erst dann kaufen könnten, wenn sie das dafür nötige Geld verdient hätten.

Dazu dürfte freilich das eben erst erwachte Vertrauen von Wirtschaft und Konsumenten nicht erschüttert werden. Während in Deutschland die Umsatzsteuererhöhung dämpfend wirken könnte, könnten auf internationaler Ebene vermutlich vor allem zwei Risiken schlagend werden: Einerseits könnte ein Angriff der USA auf den Iran eine internationale Krise hervorrufen, die den Ölpreis in noch lichtere Höhen katapultiert, anderseits kann auch eine schwere „autonome“ Krise der Finanzmärkte kaum ausgeschlossen werden.

Für gewöhnlich sind Finanzkrisen durch einen mehr oder weniger plötzlichen Vertrauensverlust charakterisiert, der zu erheblichen Preissenkungen an einem oder mehreren Finanzmärkten führt. Je nach Verfassung der Marktteilnehmer kann dabei ein ganz unbedeutendes Ereignis das Fass zum Überlaufen bringen, oder auch ein tatsächlich gravierendes Ereignis – wie etwa ein Iran-Krieg - den Ausschlag geben. Je höher die Nervosität an den Märkten, je stärker also das „Gefühl“, die Märkte seien überbewertet, umso geringfügiger kann der Auslöser ausfallen. Dann stellt sich die Frage, ob die Marktteilnehmer die niedrigeren Preise als Kaufgelegenheit betrachten – was die Krise zur „gesunden Korrektur“ macht - oder ob sie lieber nicht in ein „fallendes Messer greifen“. Das wäre der befürchtete „Crash“, wobei riesige Mengen an Papiervermögen vernichtet werden und unmittelbare Rückgänge des privaten Konsums und der Investitionen die realwirtschaftliche Folge sind.

Angesichts der aktuell generell sehr hohen Unternehmensgewinne sind nach den gängigen Bewertungsmodellen die Kurse an den internationalen Leitbörsen allerdings nicht unbedingt berauschend hoch. Es scheint sogar, als wäre ein Abflauen der US-Konjunktur bereits „eingepreist“, so dass von dieser Seite keine allzu große Gefahr drohen dürfte. Dazu kommt, dass die internationalen Geldmanager seit den jüngsten Turbulenzen ihre Liquiditätsbestände enorm ausgeweitet haben und bei Kursrückgängen, statt in Panik zu verfallen, eher an Zukäufe denken sollten. Historische Erfahren zeigen zudem, dass die Börsen nur bei wirklich gravierenden Konjunkturabfällen stark eingebrochen sind. Verlief der Rückgang hingegen eher gemächlich, dann waren laut Bloomberg-Analyst Chet Currier sogar überdurchschnittliche Börsen-Gewinne die Folge. Laut Raghuram G. Rajan, Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, hätte das jahrelang extrem niedrige Zinsniveau zudem die Finanzmanager dazu verführt, übermäßige Risiken einzugehen), was mit den Kurseinbrüchen im letzten Mai teilweise bereits korrigiert wurde. Die steigenden Zinsen sollte folglich nun zu realistischeren Risiko/Ertragsrelationen geführt haben, was die Verletzlichkeit der Finanzmärkte reduziert haben sollte.

Bei schweren Konjunktureinbrüchen hat die US-Notenbank jetzt auch wieder einigen Raum für stimulierende Zinssenkungen, was freilich bedeutet, dem Rest der Welt über eine Abwertung des Dollars eine größere Last aufzuerlegen. Denn schon in dieser „besten aller möglichen Welten“ müssten ausländische Dollar-Investoren wohl deutliche, wenngleich eher gemächlich erfolgende Wechselkursverluste verkraften. Diese könnten jedoch umso gravierender ausfallen, je expansiver die US-Geldpolitik in der Folge gestaltet wird. Damit steigt die Gefahr, dass ein weltweiter Vertrauensverlust gegenüber dem Dollar zu einer heftigen Absetzbewegung privater Investoren führt, was derzeit wohl das schärfste Damoklesschwert darstellt, das über der Weltwirtschaft schwebt. Denn dass die internationale Konsum- und Investitionslaune einem Dollar-Crash standhalten könnte, erscheint recht unwahrscheinlich. Denn immerhin hat die restliche Welt große Teile ihrer Ersparnisse in langfristige Dollar-Anlagen investiert und viele Privatanleger müssten sich dann beispielsweise auf geringere Pensionsleistungen einstellen.