Die deutsche Mondlandung
Seite 2: Die Grazie der Frauen
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- Kollektiverfahrung des Unheils
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Später schloss sich auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) dieser Grundhaltung, ein Gegenstück zu 1936 zu bilden, an: In der sehr bezeichnenden Handlung, den offiziellen Olympiafilm, den es tatsächlich bereits seit 1912 gibt, erstmals einem Kollektiv anzuvertrauen: acht Regisseuren aus der ganzen Welt, alle Meister ihres Fachs, manche weltberühmt wie Arthur Penn ("Bonnie & Clyde") oder der Tscheche Milos Forman, der Franzose Claude Lelouch.
Aus Deutschland war Michael Pfleghar dabei, damals eine wichtige Stimme des Neuen Deutschen Films und aus München. Dies war in vieler Hinsicht auch ein Gegenstück zu dem so weltbekannten wie berüchtigten "Olympia"-Film von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. "Visions of Eight", der während der Olympiade entstand, ist ein Gemeinschaftsfilm, der genau durch seine Vielzahl mit einer Stimme spricht, nämlich mit der Stimme einer Generation. Alles ist geprägt von der Unschuld des Augenblicks.
Die stärkste und wichtigste Beitrag des Films stammt vom Deutschen Michael Pfleghar. Pfleghar erzählt von den Frauen der Spiele. Das scheint zu dem Regisseur der jungen Mädchen zu passen, der Pfleghar war. Die Frauen, nicht die Männer waren aber tatsächlich die Stars bei dieser Olympiade: Sie hießen Heide Rosendahl und Olga Korbut, Ulrike Meyfarth und Shane Gould, Ljudmilla Bragina und Heidi Schüller.
Bei Pfleghar sieht man die Körperlichkeit der Sportlerinnen, man erkennt sie aber auch als Personen. Ein Hauch der "heiteren Spiele" ist hier am stärksten spürbar. Manche der Frauen dürfen sexy aussehen, viele hübsch, alle schön.
Der Regisseur zeigt die jungen Frauen auch dabei, wie sie sich am Rande des Sportfelds schminken, kurz vor dem Wettkampf in den Spiegel schauen; er zeigt zugleich auf überaus humane Weise Anspannung und den Stress: Etwa bei Ulrike Meyfarth vor ihrem berühmten Hochsprung - das ist noch spannender zu sehen, weil man weiß, was kommen wird. Und dann das Siegerinnen-Gesicht der Heide Rosenthal nach ihrem Weitsprung.
Immer wieder aber die Konzentration vor dem Kampf. Auch Frauen kämpfen - auch das ist etwas, was man in diesen Gesichtern sieht, so wie Michael Pfleghar sie zeigt. Insofern ist dies ein emanzipatorischer Film - durch seine Bilder, nicht allerdings durch seine Musik, die gelegentlich an ein Platzkonzert erinnert.
Ljudmila Turischtschewa, dem einen von zwei sowjetischen Turnstars, deren Ausstrahlung die ganze Welt bezauberte. Eine Übung am Reck wird zum Höhepunkt des Films, auch dies in Zeitlupe, die Kraft mit Anmut mischend und ausgleichend. Und Turischtschewa lächelt fast nie.
Trotzdem verliebt sich das Münchener Publikum in der ausverkauften Sporthalle in die 20-jährige. Aber sie hatte Konkurrenz: Neben Ljudmila Turischtschewa war da noch die 17-jährige Olga Korbut. "Ein Lausbub", nannte der ARD-Reporter diesen "Spatz von Minsk": Zwei kleine kurze Zöpfe, links und rechts. Sie sah aus wie 13, klein, graziös, hübsch. Hinter der kindlichen Fassade steckte ein Vollprofi, die, wie Brauckmann/Schöllgen berichten, vor den Spielen "eine Publicity Tour durch die USA [unternimmt], die auf viel Interesse in den Medien stößt. Ein geschickter Schachzug, ... schließlich hat Turnen in den Bewertungen einen hohen subjektiven Faktor."
In München wird Olga zum Darling und erntet die Früchte ihrer Arbeit: "Sie ist der Spaß in Person und jedermanns Liebling", schreibt der Stern, "Sie kann sich kringeln vor Vergnügen." Und herzergreifend weinen: In München hat sie nach einer verpatzten Übung in ihr rosa Handtuch geschluchzt – und die Herzen der Zuschauer gebrochen. "Die Vielgeliebte", textete eine deutsche Zeitschrift.
Dann kam der Terror, der alles veränderte.