Die dunklen Schatten der totalen Reform-Resistenz auf allen Ebenen
Seite 2: Nur das Herumdoktern an Oberflächensymptomen ist noch möglich
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Was sich bei eher marginalen Problemen wie der Zeitumstellung zeigt, ist bei wirklich wichtigen Großvorhaben wie der Gesundheitsreform oder der Steuerreform unabweisbar. Das System sperrt sich gegen einschneidende Reformen.
Die Strukturen der Wege der politischen Entscheidungsfindung sind längst so schwerfällig geworden, dass grundlegende Reformen nicht mehr auf den Weg gebracht und durchgesetzt werden können. Das Einzige, was wirklich noch funktioniert, ist das oberflächliche Herumdoktern am bestehenden Chaos. Die Prozesse der politischen Willensbildung sind so verstockt in ihren Sackgassen festgefahren, dass kein geordnetes Vor und kein geordnetes Zurück mehr geht. Es bleibt nur, sich in den diversen Sackgassen gemütlich einzurichten.
Reformpolitik in entwickelten Demokratien bastelt nur noch mit ganz kleinen Karos. Das Einzige, was einigermaßen funktioniert, ist die nichtsnutzige Wurstelwirtschaft. Jede tief greifende Reform, die ein Problem an der Wurzel anpackt und grundlegende Veränderungen nach sich ziehen würde, scheitert am allumfassenden Konsensstreben der politischen Parteien und dem Widerstand der in jeder entwickelten Demokratie reichhaltig vorhandenen durchsetzungsstarken Vetogruppen.
Jeder Eingriff in das fragile Gleichgewicht des Status quo gefährdet die Machtbasis und wird daher um jeden Preis vermieden. Doch je mehr das vermieden wird, desto drängender wächst der Reformbedarf. Und desto hartnäckiger wird die Resistenz gegen alle Reformen. Ein Teufelskreis…
Im Vordergrund steht bei der Wurstelei niemals die Verbesserung des Steuersystems, sondern stets nur die Erhöhung des Steueraufkommens. Und das hat einen einfachen Grund: Die politischen Parteien haben in jahrzehntelanger Kärrnerarbeit die öffentlichen Finanzen so gnadenlos heruntergewirtschaftet und durch hohe Verschuldung an den Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht, dass sie nur noch den Blick darauf richten, wo sie neues Geld abschöpfen können. Ihnen bleibt da ja auch längst überhaupt keine Wahl mehr.
Die totale Resistenz der Politik gegen jede grundlegende Steuerreform hat ihren tieferen Grund darin, dass über die Besteuerung viele Arten von Politik betrieben werden: Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik, Wohnungspolitik, Vermögensbildungspolitik, Strukturpolitik, Beschäftigungspolitik, Konjunkturpolitik. Die Liste ließe sich endlos verlängern.
Reformen führen unweigerlich zu neuen Be- und seltener auch Entlastungen verschiedener sozialer Schichten, Branchen, Berufs- und Wirtschaftszweige mit der Folge, dass die Politik davor zurückschreckt, den Status quo anders als mit Samthandschuhen anzutasten.
Das fragile Gefüge der Wählerpräferenzen könnte durcheinander geraten und damit der Erhalt der politischen Macht gefährdet werden. Das kann man nicht riskieren. Beim Wursteln ist noch am ehesten gesichert, dass die Grundstrukturen erhalten bleiben. Also wird bis in den Ruin weitergewurstelt.
So werden bei einzelnen Einkunftsarten spezifische Freibeträge gewährt: zum Beispiel zunächst einmal der Grundfreibetrag, dann der Kinderfreibetrag, der Freibetrag für Landwirte, der Sparerfreibetrag, der Alleinerziehendenentlastungsbetrag, der Altersentlastungsbetrag, der Ausbildungsfreibetrag, der Freibetrag für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, der Übungsleiterfreibetrag, der Rabattfreibetrag, der Versorgungsfreibetrag, der Zukunftssicherungsfreibetrag - und was es da sonst noch so an Feinheiten gibt. Auch können Verluste bei einer Einkunftsart nur eingeschränkt mit Gewinnen oder Überschüssen bei anderen Einkunftsarten derselben oder einer anderen Periode verrechnet werden. Und für unterschiedliche Aktivitäten sind die Steuersätze verschieden.
Schließlich schafft der Einkünftedualismus Probleme; denn bei den einzelnen Einkunftsarten werden ja unterschiedliche Methoden angewendet, um sie zu ermitteln: der Betriebsvermögensvergleich bei Einkünften aus Gewerbebetrieb oder das Zufluss-Abfluss-Prinzip bei Löhnen. Die wegen der Sonderregelungen hohen Steuersätze veranlassen die Steuerpflichtigen dazu, Schlupflöcher zu suchen, um Steuern zu sparen.
Der Staat versucht wiederum, die Schlupflöcher durch neue Regeln zu schließen, damit das Steueraufkommen nicht sinkt. Das lässt die Bürger und ihre Berater stets nach neuen Wegen suchen und neue Vergünstigungen verlangen, um sich vor der Ausbeutung durch den Staat zu schützen. So geht das Spiel ohne Ende immer weiter.
Die demokratische Politik in den entwickelten repräsentativen Demokratien sucht gar nicht nach kreativen neuen Lösungen, um das Dickicht zu lichten. Kreative Lösungen scheut sie weit mehr als der Teufel das Weihwasser. Sie sucht mit größter Energie und Anstrengung ständig nach neuen Möglichkeiten und Formen der Wurstelei. Sie ist ihr Lebenselixier. Nur so kann sie die Balance der Vergünstigungen und Sonderregeln für ihre Klienteles am Leben erhalten, von denen nur die Parteipolitiker profitieren. Wie immer auf Kosten der Bevölkerung.
Viele wirtschaftliche Entscheidungen werden auf Grund steuerlicher Regeln verzerrt, beispielsweise Spar-, Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen oder die Wahl der Rechtsform eines Unternehmens.
Die Realeinkommen und der Wohlstand sind kleiner, als es bei einem anderen Steuerrecht möglich wäre. Und das bedeutet: Das von den demokratischen Politiker aufrechterhaltene und geförderte steuerliche Chaos hat Methode. Es nützt den politischen Entscheidern, solange es besteht, und es schadet der Bevölkerung.
Der nämlich könnte es wirtschaftlich wesentlich besser gehen, wenn die politischen Parteien Steuerreformen nicht systematisch blockieren würden. Die Politik der demokratisch gewählten Entscheider richtet sich gegen die Wohlfahrt und den Wohlstand der Bevölkerung.
Eine 2014 veröffentlichte Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) gelangte jedenfalls zu dem vernichtenden Ergebnis, dass die Steuerlast in Deutschland besonders ungerecht verteilt ist. Deutschland gehört demnach zur Spitzengruppe der Hochsteuerländer: Im internationalen Vergleich zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die dritthöchsten Abgaben.
Besonders benachteiligt werden ausgerechnet Alleinerziehende mit mehreren Kindern und Geringverdiener - also wie immer diejenigen, die in den Parlamenten keine Vertreter haben, die sie repräsentieren könnten, und die deshalb straflos geschröpft werden dürfen.
Danach tragen deutsche Gering- und Durchschnittsverdiener die höchste Steuer- und Abgabenlast in ganz Europa. Auch Singles und Doppelverdienerhaushalte werden in Deutschland stärker besteuert als in den meisten anderen der 30 OECD-Staaten. Bei Spitzenverdienern sinkt dagegen die Belastung.
Laut OECD greift der Staat bei einem alleinstehenden Geringverdiener 47,3 Prozent des Einkommens für Steuern und Sozialabgaben ab. Nur in Belgien ist die Belastung noch höher. Bei Besserverdienern dagegen sinkt die Belastung ab einer gewissen Einkommensgrenze. Während ein Single mit 63.000 Euro Jahreseinkommen in Deutschland die höchsten Abzüge hat (53,7 Prozent), zahlt ein Single mit 110.000 Euro Jahreseinkommen nur noch 50 Prozent für Steuern und Sozialabgaben.
Das liegt daran, dass für alle über eine bestimmte Grenze ("Beitragsbemessungsgrenze") hinausgehenden Einkünfte keine Sozialversicherungsbeiträge mehr anfallen. Auch bei Paaren und Familien unterscheidet sich die Verteilung der Abgabenlast in Deutschland von der in anderen OECD-Ländern.
Wenn beide Partner arbeiten, liegt Deutschland bei der Abgabenlast an der Spitze. Die deutschen Sozialsysteme sind auf die vierköpfige Standardfamilie mit zwei Kindern und einem Alleinverdiener zugeschnitten. De facto gibt es jedoch immer mehr Alleinerziehende und Singlehaushalte.
Hinzu kommt: Das Dickicht der Gesetze, Verordnungen und sonstigen Bestimmungen ist längst undurchschaubar geworden. So gibt es in Deutschland 118 Steuergesetze, 96.000 Steuerverordnungen und 180 Einkommensteuerparagraphen, von denen ein einziger Paragraph allein 64 Ausnahmen vorsieht. Insgesamt gibt es 60 verschiedene Steuer- und Abgabenarten. Das jetzige System ist so kompliziert, dass niemand es komplett kennen und verstehen kann.
Zwei Drittel der Steuerliteratur des gesamten Planeten Erde (Gesetze, Verordnungen, Dienstanweisungen, Finanzgerichtsurteile, Kommentare, Fachliteratur) beziehen sich auf Deutschland. Eine Reform ist dermaßen sinnlos, dass man das gesamte deutsche Steuerrecht nur auf den Müll werfen kann. Theoretisch wäre das möglich und wünschenswert. Aber an dem Papierwust hängen viele Berufe und von ihm leben viele Bürokraten, Beamte, Steuerberater und sonstige Schmarotzer. Und weil der ganze undurchschaubare Apparat viele hunderttausend Nutznießer hat, die allesamt von seiner Kompliziertheit profitieren, ist eine grundlegende Reform für alle Zeiten zum Scheitern verurteilt.
Dieses verästelte und unvernünftig komplizierte Steuersystem ist ein hervorragendes Machtinstrument in der Hand der politischen Kaste; denn sie kann mit Steuergeldern Wählerstimmen gewinnen und politisch gewolltes Verhalten fördern. Ein solches Machtinstrument gibt sie nicht leichtfertig aus der Hand. Deshalb besteht keinerlei Hoffnung darauf, dass es jemals zu einer grundlegenden Reform des Systems kommen wird.
Aber der Bevölkerung reden die politischen Parteien diesen Unsinn von Wahl zu Wahl stets von neuem ein, als ob nicht alle längst wüssten, dass dies nichts als politische Show ist. Pompöses Gesabbel ohne jede Verbindlichkeit, das am Wahltag längst wieder Makulatur ist. Erstaunlich ist dennoch, dass die breite Bevölkerung diese verlogenen Wahlversprechen seit Jahrzehnten immer wieder aufs Neue erzählen lässt…
Mindestens vor jeder Bundestagswahl wird in Deutschland eine bombastische Debatte über die Notwendigkeit einer großen, einschneidenden Steuerreform an Haupt und Gliedern geführt. Und anscheinend gibt es noch immer Leute, die glauben, diese Debatten könnten irgendwann einmal dazu führen, dass es tatsächlich zu einer Steuerreform kommt. Diejenigen, die sich davor fürchten, können beruhigt sein: Das ist und bleibt alles nur hohles Geschwätz.
Die politischen Parteien und ihre Vertreter in den Parlamenten haben die öffentlichen Finanzen in einem Maße ruiniert, dass sie eine grundlegende Reform auch dann nicht mehr durchsetzen könnten, wenn sie das tatsächlich wollten. Sie können vielleicht noch versuchen, irgendwo irgendwelche unerschlossenen Geldquellen aufzutun - wiewohl auch dafür ihr Handlungsspielraum erschöpft ist -, aber zu mehr reicht es schon längst nicht mehr.
Dabei hat es an bedenkenswerten Reformvorschlägen nie gemangelt. Im Gegenteil. Viele Vorschläge für sinnvolle Reformen hat es gegeben. Nur sollte niemand glauben, dass daraus jemals richtige Reformen werden könnten. Ein paar Beispiele aus der jüngsten Zeit:
- 1994 stellte eine Kommission um den Steuerwissenschaftler Peter Bareis von der Universität Hohenheim ein Modell vor, das 85 Steuervergünstigungen abschaffen wollte. Der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel lehnte das Konzept brüsk ab. Damit war das erledigt.
- 1996 stellte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Wirtschaftssprecher der Fraktion Gunnar Uldall die Abschaffung von Ausnahmetatbeständen und einen dreistufigen Einkommensteuertarif von 8, 18 und 28 Prozent bei einem Grundfreibetrag von 12.000 DM zur Diskussion. Wurde nichts. 2003 klagte Uldall in einem "Spiegel"-Interview, man habe seit seinen Vorschlägen sieben Jahre ungenutzt verstreichen lassen. Jetzt sind es schon 18 Jahre, und es werden mit Sicherheit noch viele mehr.
- 1996 entwickelte Helmut Pelzer am Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Ulm ein mögliches Einkommensteuermodell, das ein bedingungsloses Grundeinkommen realisieren sollte. Es sah eine aufkommensneutrale Grundsicherung für alle Bürger vor. Steuerschuld und Grundeinkommen sollten gegeneinander aufgerechnet werden. Ist die Steuerschuld höher, ist der Betrag als Steuer zu zahlen. Ist sie niedriger, wird der Betrag als staatlicher Zuschuss zum Einkommen ausgezahlt (negative Einkommensteuer). Auch dieses Modell verschwand sang- und klanglos im Nirgendwo.
- 2001 präsentierte die Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch unter Leitung von Paul Kirchhof dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags und der Fachpresse ihren Vorschlag einer Steuerreform mit dem Titel "Einkommensteuergesetzbuch". Das Modell sah nur eine Einkunftsart und eine Einheitssteuer ("Flat Tax") vor. Das Konzept unterscheidet also nicht mehr zwischen sieben verschiedenen Einkunftsarten, sondern behandelt alle Einkunftsquellen (Gehälter, Zinsen, Mieteinnahmen oder Unternehmensgewinne) unabhängig von ihrem Ursprung gleich. Damit entfallen Unterschiede in den Abzugsmöglichkeiten bei unterschiedlichen Steuerobjekten (horizontale und vertikale Verrechnung). Das Modell war vor der Bundestagswahl von 2002 ein ausgiebig diskutiertes Thema, blieb in der politischen Wirklichkeit indes völlig folgenlos; denn es ging von Vornherein nur darum, Material für gelenktes Gequatsche bereit zu stellen.
- Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung schlug im Jahresgutachten 2003 die Einführung einer dualen Einkommensteuer vor. Im April 2006 präzisierte er diese Vorschläge. Danach sollte eine Spaltung in Kapital- und Erwerbseinkommen vorgenommen werden. Kapitaleinkommen sollte mit 25 Prozent besteuert werden, der Rest unterliegt dem linear-progressiven Tarif der Einkommensteuer. Mit der Abgeltungsteuer wurde dies ab 1. Januar 2009 teilweise realisiert, sodass nun Arbeitseinkommen über 47.500 Euro höher als Zinseinnahmen besteuert werden.
- Der CDU-Politiker Friedrich Merz stellte 2003 unter dem Schlagwort "Bierdeckelsteuer" sein viel gerühmtes und viel diskutiertes Konzept zur Abschaffung von Ausnahmeregelungen und Einführung eines Stufentarifs in der Einkommensteuer vor. Das Konzept würde nach Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zu dauerhaften Mindereinnahmen von etwa 26 bis 27 Milliarden Euro pro Jahr führen. Wurde nie etwas. Völlig klar. Denn Mindereinnahmen sind für die demokratische Politik das röteste aller roten Tücher. Die brauchen Mehreinnahmen um jeden Preis.
- Im Februar 2005 präsentierte eine Arbeitsgruppe um den Kölner Steuerrechtsprofessor Joachim Lang den "Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes", der das geltende Einkommensteuerrecht entschlacken und auf seine systematischen Wurzeln zurückführen sollte. Einzelne Steuervergünstigungen sollten gestrichen, grundlegende Rechtsprechung, die das Recht weiterentwickelt hat, in den Gesetzestext aufgenommen werden. Auch dieses Modell verschwand im großen Archiv der ungezählten unbeachteten Steuermodelle.
- 2005 schlug der Unternehmer Götz Werner das Modell "Bedingungsloses Grundeinkommen und Konsumsteuer" vor. Es hat die Abschaffung aller Steuerarten zum Ziel - ausgenommen die Umsatzsteuer (Konsumsteuer). Die soll zum Ausgleich auf 50 Prozent angehoben werden. Aus den Steuereinnahmen soll ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert werden. Wurde und wird noch immer viel diskutiert, wird aber niemals in politischen Gremien irgendeine Rolle spielen.
- 2009 übergab der Finanz- und Steuerausschuss der IHK für München und Oberbayern dem Bayerischen Staatsminister für Finanzen eine Broschüre "25 Vorschläge für ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht". Sie schlug unter anderem vor, den "Mittelstandsbauch" konsequent abzubauen und die kalte Progression zu bekämpfen. Ziel müsse sein, Leistungsträger zu fördern und zu stärken. Auf Basis der "25 Vorschläge" wurden nach der Bundestagswahl 2009 noch einmal fokussiert "12 zentrale Steuerreformvorschläge für die Legislaturperiode 2009 - 2013" an die Regierungsparteien versandt. Auch dieser Vorschlag landete unbeachtet irgendwo auf einem großen Aktenberg. Die kalte Progression wurde sogar in Kreisen der politischen Entscheider viel diskutiert. Naive Demokraten schlossen daraus, die kalte Progression könne irgendwann einmal abgeschafft werden. Doch auch die große Koalition von 2013/14 ließ natürlich die Finger davon. Das hätte nämlich zur Verringerung ihrer Einnahmen geführt. Und die Politik braucht Mehreinnahmen, sonst nix.
- Man kann mit Sicherheit voraussagen, dass der nächste Vorschlag für eine grundlegende Steuerreform schon bald kommt. Und man kann schon jetzt mit derselben Sicherheit vorhersagen, dass in allen Talkshows wortreich darüber bramarbasiert werden wird. Aber geschehen wird auch nichts.
Wie immer begeistert oder auch skeptisch man diese durchdachten Vorschläge auch bewerten mag, es lohnt die Mühe nicht, sich damit zu beschäftigen. Man kann daraus im Extremfall ersehen, wie man es besser machen könnte. Doch im Prozess der politischen Willensbildung interessiert das niemanden.
Alle diese Vorschläge sind teils mehr, teils weniger weltfremd - weltfremd sind sie auf jeden Fall; denn sie entwerfen jeweils ein "vernünftiges, praktikables Modell". Und vernünftig geht in der Politik entwickelter Demokratien nun mal gar nicht. Je vernünftiger sie sind, desto weltfremder sind sie; denn es geht nicht um Vernunft, sondern um die Erhaltung der Machtbasis der politischen Kaste.
Die Anwendung von praktischer Vernunft auf das Steuerrecht würde mit einem Schlag das verschrobene System von klienteleorientierten Vergünstigungen und Sondertatbeständen zusammenkrachen lassen, auf dem die Politiker ihre politische Basis aufgebaut haben. Das können sie unter gar keinen Umständen zulassen.
Daher werden sie weiter vor Wahlen eine große Steuerreform befürworten, lautstark in Talkshows und bei anderen publikumswirksamen Auftritten dafür eintreten und sich nach der Wahl an nichts mehr erinnern.
In den repräsentativen Demokratien der Endzeit wird nur noch zum Schein nach vernünftigen Lösungen für vertrackte Probleme gesucht. Die Diskussionen über solche Modelle sind inszenierte Shows, in denen sich meist etwas naive Professoren verheizen lassen, die ernsthaft glauben, dass sich irgendein Politiker dafür interessiert, wenn sie ein gründlich durchdachtes Reformmodell präsentieren. Doch niemand denkt auch nur im Traum daran, die Modelle in die Tat umzusetzen. Der Sinn des Spektakels ist das Spektakel…
Es geht nur noch um das im Rahmen der festgefahrenen Verhältnisse politisch Machbare. Und das ist ganz einfach festgelegt:
(1) Auf Mehreinnahmen verzichten können die öffentlichen Hände angesichts der bestehenden Staatsverschuldung sowieso nicht.
(2) Einzelne Gruppen ihrer potenziellen und tatsächlichen Klienteles können die politischen Parteien auch nicht noch stärker als bisher belasten.
(3) Also bleiben eigentlich nur die ohnehin schon stark belasteten Steuerzahler, selbst wenn bei denen inzwischen auch längst die Schmerzgrenze erreicht ist.
Man kann sich also drehen und winden, wie man will: Für eine Steuerreform an Haupt und Gliedern ist keinerlei politischer Spielraum vorhanden. Selbst dem Herummurksen am bestehenden Chaos sind nur noch enge Grenzen gesetzt. Das System verharrt in absoluter Starre, es gibt kein Vor und kein Zurück. Und das bezieht sich nicht bloß auf die Steuerreform, sondern auf alle politischen Vorhaben der kommenden Jahre.
Je tiefer der Karren sich festgefahren hat, desto drängender wird der Bedarf an Reformen - und zwar an großen Würfen, nicht an Herummurkserei an belanglosen Details -, desto unfähiger ist aber das System, etwas anderes zu leisten als Kleinkleingefummel. Der Niedergang ist unausweichlich.
kosch.htm