Die erotischen Probleme der Menschen im Weltraum sind nicht das Thema
Stanislaw Lem distanziert sich von Soderberghs Neuverfilmung von "Solaris"
"Solaris", der Science-Fiction-Roman des 81jährigen polnischen Bestsellerautors Stanislaw Lem, gilt als der beste SF-Roman, der jemals geschrieben wurde. Die Verfilmung von Andrej Tarkowskij aus dem Jahr 1972 ist ebenso ein Meilenstein des Genres. Eine neue Solaris-Version unter der Regie des "Oskar"-prämierten Steven Soderbergh kommt am 6. März in Deutschland in die Kinos, jetzt wurde der Film auf der 53. Berliner Berlinale gezeigt. Stanislaw Lem jedoch distanziert sich öffentlich und in einer persönlichen Erklärung vom Remake.
Er kritisiert, dass Soderbergh den Fokus auf die tragische Liebesgeschichte zwischen dem Helden Kris (George Clooney) und Harey (Natascha McElhone) gelegt habe. Seines Wissens nach, so Lem in gewohnt ironischer Diktion, behandele der Roman "nicht die erotischen Probleme der Menschen im Weltraum". Gleichzeitig lobt Lem die Arbeit des Regisseurs: "Soderbergh hat da ein sehr ambitioniertes Stück Kino produziert. Es ist eine harte Nuss, den Stoff meines Buches für die Masse verständlich zu machen."
Wohl wahr. Wenn überhaupt jemand etwas an Lems genialem schriftstellerischem Schaffen zu kritisieren gewagt hat, dann Lems Eigenart, auf Sex und Erotik zu verzichten und Frauen, wenn sie denn überhaupt vorkommen, nur als schmückendes Beiwerk zu betrachten.
"Ein flacher rauer Stein hing in ihrem Dekolleté...Das Ding musste ein Vermögen gekostet haben. Frauen sollten nicht so viel Geld haben."("Albatros")
Obwohl Lem in "Solaris" eine rührende und tragische Liebesgeschichte thematisiert, die Frage, ob Liebe, wenn sie in der Fantasie nur stark genug ist, eine zweite Chance bekommen kann, konzentriert sich der Plot des Romans eher auf die außerirdische Intelligenz - den "denkenden" Ozean" des Planeten Solaris. Wenn es um eine Liebesgeschichte gegangen wäre, so kritisiert Lem, "dann hätte die Story nicht 'Solaris' geheißen". Es gehe vielmehr um die Konfrontation des Menschen mit einer Existenzform, die weder menschlich noch menschenähnlich sei.
Die altväterliche und vielleicht sehr katholische Attitude Lems, das Weltall ausschließlich von Männern erforschen zu lassen, ist nicht Hollywood-kompatibel. Und deshalb schmuggelt Soderbergh, entgegen der literarischen Vorlage, eine Frau in die Raumschiff-Crew, weil er eine Männergruppe aus Astronauten "irgendwie nicht so cool" fand. Damit ist das "Solaris"-Remake ein ganz netter Film geworden, hat aber - im Gegensatz zu Tarkowskijs Version - das eigentliche Thema Lems verfehlt. Frauen gehören nicht ins Weltall, sondern ins Unterbewusstsein. Und deshalb tauchen sie an unmöglichen Stellen und zu unpassenden Gelegenheiten auf. Und selbst dann, wenn der Autor Lem das gar nicht will.
Wer interessiert sich schon für 20 Philosophen? Aber Sex mit 20 wunderbaren Frauen, ein Harem? - Bitte sehr!
Stanislaw Lem
Der Plot des Romans ist schnell erzählt: Der Planet "Solaris" ist fast vollständig von "Polytheria" umgeben, einer Art Ozean aus Plasma mit rätselhaften Eigenschaften. Die gallertartige Masse gilt als einziger "Bewohner" des Planten. Der Psychologe Kris Kelvin findet die Raumstation in einem desolaten Zustand vor - zwei Kosmonauten haben sich in ihren Räumen verbarrikadiert und scheinen paranoid zu sein. Des Rätsels Lösung: Der "Ozean" materialisiert das Unbewusste der Raumfahrer, deren tiefste Ängste erscheinen ihnen in realer Gestalt.
Kelvin wird bald mit seiner großen Liebe Harey konfrontiert, die sich wegen ihm umgebracht hat und für deren Tod er sich verantwortlich fühlt. In Tarkowskijs Verfilmung erscheint die Frau noch als eine Art lebendiger Puppe, die nicht weiß, warum sie existiert. Sie muss immer in Kelvins Nähe sein und entwickelt übermenschliche Kräfte, wenn er versucht sie loszuweden. Erst nachdem der "Ozean" mit harter Strahlung bombardiert wird, die mit einem Enzephalogramm Kelvins "aufgeladen" wurde, hört der Spuk auf. Der zweite Tod der Liebe Kelvins fällt mit der Erkenntnis zusammen, dass eine Kommunikation zwischen den Menschen und dem "Ozean" nicht möglich ist, obwohl sich schon auf der Erde ein ganzer Wissenschaftszweig, die "Solaristik" herausgebildet hatte, deren Werke die Bibliothek der Raumstation füllen. Die Suche nach dem ganz Anderen ist in Wahrheit die Suche nach sich selbst, "ein Dilemma, das wir nicht zu lösen verstehen. Wir stellen uns selbst nach."
In Soderbergs Remake scheint es zunächst um eine Art Kriminalfall zu gehen - Besatzungsmitglieder der Raumstation "Prometheus" sind zu Tode gekommen. Doch dann, nach Erscheinen der untoten Ex-Frau Rheya, konzentriert sich der Plot auf Schuld und Sühne zwischen den Liebenden.
Der größte Unterschied zwischen dieser Version von Solaris und Tarkowskijs Verfilmung und dem Roman besteht darin, dass unser Film die Beziehung zwischen Kelvin und seiner Frau in der Vergangenheit genau beschreibt - was ihnen auf der Erde widerfahren ist. Darauf kam es mir an. Denn wenn man wissen will, ob jemand dazu verdammt ist, eine Beziehung mit derselben Person jedes Mal genauso zu führen wie zuvor, muss man herausfinden, was vorher zwischen ihnen war.
Steven Soderbergh
Lems Roman jedoch unterscheidet sich von Soderberghs Hollywood-Movie, was den literarischen Tiefgang angeht, wie Goethes "Faust" von Rosamunde Pilchers "Rückkehr ins Paradies". "Solaris" ist eine tiefenpsychologische Fundgrube, vermutlich nicht zufällig, denn der Schriftsteller Stanislaw Lem war vor seiner literarischen Karriere Frauenarzt. Der Roman kann wie die anspruchsvolle Schilderung einer Psychose gelesen werden: Das unbewusst Verdrängte bricht sich als wahnhafte und projizierte Realität hervor. Doch Lem legt, im Gegensatz zu zahllosen Trivialromanen des Genres, großen Wert auf die "Science"-Komponente: Seine Harey ist ganz real, Kevin rückt ihr mit naturwissenschaftlicher Empirie und kühlem Interesse zu Leibe, inklusive der militärischen Option, sie mit Antimaterie zu vernichten.
Doch was bedeutet der Ozean? Daran verzweifelt der Held des Romans, und damit versagt auch das Interesse der Menschheit, mit einer Existenz in Kontakt zu treten, die eben ganz anders und daher gar nicht zu verstehen ist. Der Ozean auf "Solaris" bedeutet nichts, weil sein Dasein außerhalb des menschlichen Einflusses sich dessen Kategorien entzieht.
Wo es keine Menschen gibt, dort gibt es auch keine menschlich fassbaren Motive.
Kelvin in Lems Solaris
Die bekannte Welt existiert nur in Form der Sprache. Die von Lem erfundene und im Roman in Facetten beschriebene Solaristik ist die witzige Parodie einer Wissenschaft, die der "Ozean" in ihre Grenzen verweist, weil ihre Begriffe nur die bekannte Welt simulieren, das "sinnlose" Unbekannte aber nicht darstellen können.
"Solaris" ist jedoch so vielschichtig, dass auch das Unbewusste des Autors nicht verborgen bleibt. Die Kategorien, mit denen der "Ozean" semantisch aufbereitet wird, entstammen fast ausschließlich der weiblichen Sexualität: die Masse flutet, seine an der Oberfläche schaumige Konsistenz wird durch das Innere - "wie gespannte Muskeln" - konterkariert. Die Kosmonauten und Forscher sehen "Lippen, die sich zusammenkrampfen wie lebende, muskulöse, schließende Krater", "Nabelschnüre", einzelne Stücke des Plasmas lösen sich "wie Sprossgebilde aus der Gewalt des Mutterstücks". Von "Leibesfrucht" ist die Rede, von "schleimigen Gebilden" und "Strömungen rosigen Blutes."
Der Raumfahrer Berton, der den "Ozean" zuerst erforschte und dessen Bericht Kevin studiert, fantasiert angesichts des Plasmas seine eigene Geburt - ein Kind in Blut und Schleim, glänzend, feucht, glitschig. Im Anflug auf den heftig brodelnden "Ozean" versucht Berton sich, "in der Mitte eines Lochs" zu halten, endlich lässt er sich herab, "so tief ich konnte. Das Plasma gibt endlich den Weg frei, es teilt sich vor dem ihn penetrierenden Fremdkörper. Der Psychologe Kris Kelvin hat selbst seine Diplomarbeit über die Solaristik geschrieben, das Werk konzentriert sich auf "Entladungen von Ozeanströmungen", "welche die stärksten Emotionen begleiten, Verzweiflung, Lust, Schmerz".
Manfred Geier hat schon Ende der siebziger Jahre in seiner Interpretation "Stanislaw Lems Phantastischer Ozean" "Solaris" als "verdrängte Männerphantasien" interpretiert, "durch die die weibliche Sexualität, reduziert auf das Objekt Vagina, als ein verbotenes und beängstigendes Wunschobjekt imaginiert wird, das in den strömenden, blutenden, flutenden und schleimigen Metamorphosen des Ozeans als zensierter Gednake artikuliert wird. Das Weibliche erscheine in der Fantasie als das Andere, das es zu fürchten, zu bekämpfen , zu benennen und zu besiegen gelte. Der Ozean als eine ewige Herausforderung, das Ewig-Weibliche - halb zog es ihn, halb sank er hin. Ein Wunder, dass Klaus Theweleit "Solaris" nicht in seinen "Männerphantasien" erwähnt hat.
Solaris ist also im doppelten Sinne eine fantastische Geschichte. Sie thematisiert, wie jede gute SF, nicht nur die Zukunft, sondern vielmehr die Gegenwart. Die Story enthält mehr als der Autor bewusst geschrieben hat. Sie enthält ein Rätsel, wie der Plasma-Ozean auf Solaris, das Geheimnis des Unbewussten nicht nur der fiktiven Kosmonauten, sondern auch des Autors. Ein Schriftsteller, um es mit Lem in "Philosophie des Zufalls" zu sagen, ähnelt einem mathematischen System: das "bezieht sich ja im Grunde nicht auf die Wirklichkeit und informiert uns nicht über irgendwelche Eigenschaften von ihr, sondern ausschließlich über sich selbst." Und ein guter Film hätte das zum Ziel haben können, was auch für gute Literatur gilt - wie Kris Kelvin in "Solaris" erkennt:
"Als es gelang das Problem zumindest einigermassen zu entwirren, erwies sich, dass die Erklärung an die Stelle eines Rätsels ein anderes, vielleicht noch erstaunlicheres, setzte."
Soderberghs Adaption ist jedoch, weil er das Anliegen der literarischen Vorlage nicht verstanden hat, ein emotionsloser Film über vermeintlich große Emotionen.