Die ersten 25 Prozent sind geschafft
Die Energie- und Klimawochenschau: Erneuerbare liefern jetzt ein Viertel des Stroms in Deutschland, 20 PV-Hersteller klagen gegen Preisdumping aus China, Angst vor einem sinnlosen Handelskrieg zu Lasten der Erneuerbaren
Eins ist schon mal klar, die Atomkraftwerke können getrost ganz abgeschaltet werden, ihr ehemaliger Anteil an der Stromversorgung wird regenerativ gedeckt. Strom aus erneuerbaren Energiequellen hat in der ersten Jahreshälfte 2012 ein Viertel des deutschen Strombedarfs geliefert. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft veröffentlichte die aktuellen Zahlen letzte Woche, danach produzierten Wind-, Solar,- Wasser- und Biomassekraftwerke in den ersten sechs Monaten des Jahres 67,9 Mrd. kWh Strom, was einen Anteil von 25,1 Prozent ausmacht. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2011 lag der Anteil mit 56,4 Mrd. kWh noch bei 21 Prozent.
Relativ am meisten hat die Photovoltaik zugelegt. Angetrieben von günstigeren Anlagenpreisen und dem drohenden Damoklesschwert immer stärkerer Kürzungen der Einspeisevergütung wurden PV-Module in Mengen zugebaut und die Solarstromerzeugung so, im Vergleich zum Vorjahr, um 47 Prozent gesteigert. Sie liefert jetzt 5,3 Prozent des Stroms in Deutschland. Der frühere Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, nannte für die ersten sechs Monate 2012 einen PV-Zubau von 1.800 MW, offiziell wurde das noch nicht bestätigt.
Windenergie hat jetzt einem Anteil von 9,2 Prozent (2011 7,7), die Biomasse 5,7 Prozent (2011 5,3 %) und Wasserkraft liefert 4,0 Prozent (2011 3,2). Dazu kommen noch 0,9 Prozent aus der Verbrennung biogener Stoffe.
Das seit einigen Jahren angepeilte Ziel, bis zum Jahr 2020 einen Ökostromanteil von 35% zu erreichen scheint damit in greifbarer Nähe zu liegen. Ginge der Ausbau so weiter, wäre es schon 2015 so weit und der Einsatz von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas würde kontinuierlich abnehmen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Politik keinen zu großen Schaden anrichtet und dass der aufziehende Handelskrieg zwischen den USA und China, in den sich jetzt auch die EU einklinken wird, nicht zu sinnlosen Verzögerungen beim Wandel zur regenerativen Energieversorgung führt.
Um die Diskussion über die weitere Entwicklung bei uns zu versachlichen wird es zum Jahresende ein sogenanntes "Monitoring zur Energiewende" geben, also einen Fortschrittsbericht, der die Fakten so zusammentragen soll, dass Entscheidungen wie die Zukunft des EEG, Umfang und Art des Netzausbaus und die Rolle der Bioenergienutzung sachlich, weniger kurzatmig und ideologiegeschwängert diskutiert werden könne als gerade in letzter Zeit - so hofft jedenfalls die SPD-Fraktion, die das Monitoring einforderte. Die Koalition formuliert das natürlich etwas anders und möchte das Monitoring als "Frühwarnsystem für mögliche Fehlentwicklungen" und Abweichungen von den Zielen der Energiepolitik sehen. Der Fortschrittsbericht soll alle drei Jahre aktualisiert werden und so Trends erkennbar machen.
Die Pleitewelle geht weiter
Doch besonders die Modulhersteller in Deutschland haben weiter ein Problem. Die Verhandlungen um die rigorosen Kürzungen der PV-Strom-Vergütung haben die Installationszahlen teilweise einbrechen lassen. So listet die Bundesnetzagentur im März noch 1,2 GW, im April aber nur noch 359 MW. Allerdings darf man diese Zahlen nicht allein für sich bewerten, denn bekanntermaßen ist die Bundesnetzagentur immer noch am Laborieren, um in ihrer Statistik sowohl die genauen Installationszahlen als auch den genauen Inbetriebnahmezeitpunkt jeder Anlage zu erfassen.
Noch problematischer scheint für hiesige Modulhersteller aber zu sein, dass ihre Komponenten teurer sind als die in China hergestellten und um den halben Globus zu uns herangeschafften Importe. Die Kombination aus fallender und bald nur noch teilweiser Vergütung für Solarstrom, aus Überkapazitäten und Preisverfall trieb in den vergangenen Monaten mehrere Unternehmen der Solarbranche in die Pleite. Unter anderem Q-Cells, Solon, Solarhybrid und Solar Millennium. Letzte Woche gesellte sich noch Sovello, ein Hersteller aus dem deutschen "Solarvalley" bei Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt, dazu, mit 1250 Beschäftigten einer der weltgrößten Solarmodulhersteller.
Und auch die ganz Großen haben Probleme, vor allem mit ihrem Solargeschäft. Bei Siemens sank der Auftragseingang im Geschäftsbereich Renewable Energy im vierten Quartal 2011 auf 525 Millionen Euro, nach 1,54 Milliarden Euro im dritten Quartal 2011.
Ist Preisdumping wirklich die Ursache? 20 PV-Firmen unterstützen Klage gegen China vor der EU-Kommission
Was sind jetzt die Auslöser für die Einbrüche: Überkapazitäten, die Energiepolitk oder Billiglieferant China? Die Preise gehen weiter runter, im Juni 2012 sanken sie für kristalline Photovoltaik-Module um durchschnittlich 2,1 %, für diejenigen aus China aber um 4,3 %. Nachdem die deutsche Solarbranche sich fast dankbar zum Verabschieden der letzten gravierenden EEG-Einschnitte im Bundesrat äußerte, einfach weil damit endlich die monatelange Unsicherheit vorbei war. Bleibt jetzt nur noch das "chinesische Preisdumping" als Bösewicht. Mehr als 20 Solarfirmen aus der EU unterstützen deshalb eine von SolarWorld initiierte Anti-Dumping-Klage vor der EU-Kommission.
Der Firmenzusammenschluss nennt sich "EU ProSun". Zu seinen Mitgliedern gehören neben der deutschen Solarworld u.a. auch Sovello und der italienische Fotovoltaik-Herstellerverband Comitato IFI. Ihr Sprecher Milan Nitzschke sagte, die Gruppe habe Handelsbeschwerde gegen "chinesisches Dumping von Fotovoltaikprodukten in der EU" eingereicht, weil die europäische Solarindustrie durch "illegales Preisdumping" geschlagen werde. Laut ProSun liegen die Preise für Solarmodule aus China weit unter den Herstellungskosten in China.
Geteiltes Echo - Angst vor einem sinnlosen Handelskrieg zu Lasten der Erneuerbaren
Allerdings hat die Klage bereits das übliche "Reiz-Reaktionsschema" ausgelöscht. Mehrere chinesische Unternehmen haben die chinesische Regierung zum Handeln aufgefordert. Das Handelsministerium in Peking nannte als Grund für die fallenden Modulpreise, chinesische Solarzellen seien deshalb billiger, weil der Preis für das benötigte Silizium von 300 $ auf 30 $ / kg gefallen sei, weitere Gründe seien der technologische Fortschritt und Einsparungen durch die Massenproduktion.
Die Hersteller Yingli, Suntech, Trina Solar und Canadian Solar forderten die chinesische Regierung auf, den Handelsstreit zu entschärfen. Suntech, der weltweit größte Produzent von Photovoltaik-Modulen, weist die Dumpingvorwürfe mit dem Hinweis zurück, als an der New Yorker Börse gelistetes Unternehmen herrsche vollständige Transparenz bei Produktions- und Kapitalkosten. Außerdem macht es die Rechnung auf, dass in der EU 300.000 Menschen in der Solar-Industrie arbeiten, aber 80 Prozent davon nicht in der Zell- oder Modulproduktion, sondern in Geschäftsfeldern wie der Siliziumlieferung, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Installation oder der Projektfinanzierung. Suntech selber z.B. habe in den letzten zwei Jahren Ausrüstung und Materialien für 600 Mio. Euro von europäischen Lieferanten bezogen. Der europäische Photovoltaikverband EPIA rief zu einer raschen Lösung in dem Handelsstreit auf. In einer Erklärung hieß es, dies sei in der aktuellen Phase der Konsolidierung in der Branche besonders wichtig.
Doch das Thema ist immer mehr auch ideologiebefrachtet. Besonders im Solarstreit zwischen den USA und China wird es auch getrieben von der Furcht der ehemaligen Hegemonialmacht USA vor einer immer stärkeren neuen Wirtschaftsmacht. In diesem Spiel könnte es dann statt um Solarmodule auch um beliebige andere Produkte gehen. Im Mai legte das US-Handelsministerium Anti-Dumping-Zölle von 30 Prozent auf chinesische Solarimporte fest. Prompt warnt das chinesische Handelsministerium (MOFCOM) vor Vergeltungsmaßnahmen. So drohen die Handelsstreitigkeiten zwischen China und den USA weiter zu eskalieren. Und es scheint als seien die Modulpreise nur vorgeschoben.
Die chinesische Regierung kündigte jetzt den Beginn eigener Anti-Dumping-Untersuchungen zu den Polysilizium-Exporten und unerlaubten Subventionen der USA und Südkoreas an. Denn während China bei den Modulen einen Exportüberschuss erzielt, haben besonders die USA und Europa im Handel mit China einen Export-Überschuss bei Polysilizium, Modul-Produktionsanlagen und bei Wechselrichtern.
Im EU-Parlament gibt es Zustimmung für die Anti-Dumping-Klage gegen chinesische Photovoltaikproduzenten. Das Verfahren werde "die schon lange nötige Klarheit" bringen und Transparenz schaffen. Die Coalition for Affordable Solar Energy (CASE) lehnt die Klage aber ab, ebenso der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell, Anti-Dumpingklagen behindern seiner Auffassung nach die Energiewende, weil sie einen weiteren Preisrutsch der Module ausbremsen. Ausgerechnet jetzt einen Handelskrieg mit China anzuzetteln sei für die exportorientierte europäische Wirtschaft ein Harakiriprogramm.