Die ersten Atome
Rückblick auf den Beginn des Universums
Dass der Urknall ("Big Bang") für die Entstehung des Universums verantwortlich war, steht heute kaum noch ernsthaft zur Diskussion. Die Frage ist nur: Was geschah nach der großen Explosion, in der nicht unbeträchtlichen Zeitspanne von 500 Millionen Jahren, bis sich die ersten kosmischen Objekte bildeten? Amerikanische Astronomen könnten der Antwort jetzt ein erhebliches Stück näher gekommen sein. Mit Hilfe eines Quasars haben sie Hinweise auf die allerersten Atome des Universums gefunden.
Für Albert Einstein war die Sache eigentlich schon völlig klar. Den Grundsätzen seiner "Allgemeinen Relativitätstheorie" entsprach letztlich nur die Annahme eines ständig expandierenden Universums. Doch diese stand im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung, die davon ausging, dass unser Universum zeitlich isotrop ist, weder Anfang noch Ende hat und Materie in schöner Regelmäßigkeit entstehen und verschwinden lässt. Um die Kollegen nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, führte Einstein deshalb die "kosmologische Konstante" ein und verlieh seiner Theorie so doch noch ein statisches Moment.
Als Edwin Hubble rund 10 Jahre später mit seinen Messungen der Rotverschiebung der Nachweis gelang, dass sich das Weltall tatsächlich ausdehnt, hätte Einstein die "größte Eselei meines Lebens" am liebsten ungeschehen gemacht. Doch die Quantentheoretiker nahmen ihn gegen übermäßige Selbstkritik in Schutz und sahen in der "kosmologischen Konstante" eine geradezu visionäre Beschreibung der von ihnen entdeckten "Vakuumenergie".
Diese kleine Anekdote ist nicht nur von historischem Interesse, sie beschreibt auch ein Grundproblem der heutigen Forschung. Trotz modernster Geräte und neuester Untersuchungsmethoden wissen wir über die Entstehung des Kosmos noch immer vergleichsweise wenig. Immerhin, seine Geschichte dürfte vor etwa 15 bis 20 Milliarden Jahren mit dem Zeitpunkt Null, sprich: dem Urknall begonnen haben. Er brachte ein unendlich kleines Universum ohne Raum und Zeit, in dem unendlich großer Druck und unendlich hohe Temperaturen herrschten, zur Explosion. Was in den folgenden 10-43 Sekunden, der so genannten Planck-Ära, geschah, ist völlig ungeklärt. Dass der Planck-Ära eine "Inflation" folgte, gilt dagegen als sicher. Innerhalb von Sekundenbruchteilen nahm das Universum etwa ein Zehntel seines heutigen Durchmessers ein. Protonen und Neutronen entstanden, später wurden Elektronen gebildet. Nach einigen Minuten fanden sich die ersten Atome zusammen, die wegen der großen Hitze allerdings immer wieder zerfielen.
Erst 300.000 Jahre später – nachdem der Kosmos deutlich abgekühlt war - konnten sich die ersten stabilen Atome bilden. Strahlung und Materie wurden entkoppelt, die Photonenstrahlung bewegte sich ungehindert durch das All und sorgte dort für die "kosmische Hintergrundstrahlung" (falls die nicht doch ein Relikt des Urknalls war). Bis zur Bildung der ersten Sterne und Galaxien müssen noch einmal rund 500.000 Jahre vergangen sein.
Was in dieser riesigen Zeitspanne, dem "dunklen Zeitalter des Universums", geschah, gibt den Wissenschaftlern nach wie vor Rätsel auf. Amerikanischen Astronomen scheint es jetzt allerdings gelungen zu sein, einem Teil des Geheimnisses auf die Spur zu kommen oder doch wenigstens dessen Bausteine besser zu sortieren. Während der Beobachtung des am weitesten entfernten Himmelskörpers, der bisher entdeckt wurde (Quasar J1030+0524), fanden sie Hinweise auf die ersten Atome, die sich im Universum gebildet haben. Für Robert Becker von der University of California, Davis, ist die "Geschichte dieser Atome Teil eines gänzlich unbekannten Bereichs der Kosmologie". Ihre Analyse könnte Wissenschaftlern in aller Welt entscheidende Aufschlüsse über Entstehung und Frühgeschichte des Universums vermitteln.
Mitte der sechziger Jahre hatten sich übrigens schon Jim Gunn and Bruce Peterson vom California Institute of Technology auf die Suche nach den ersten Wasserstoffatomen gemacht. Sie wollten deren Existenz mit Hilfe von Quasaren nachweisen. Dabei handelt es sich um außerordentlich leuchtstarke Kerne aktiver Galaxien, in denen gewaltige Energiemengen durch supermassive schwarze Löcher freigesetzt werden. Seit Anfang der sechziger Jahre entdeckten Wissenschaftler über 15.000 solcher Himmelskörper. Gunn und Peterson gingen nun davon aus, dass die Wasserstoffatome das Licht dieser in der Frühzeit des Universums entstandenen Quasare absorbiert hätten und also durch einen Knick in der Absorptionslinie nachgewiesen werden könnten.
Den beiden Pionieren fehlte das technische Gerät, doch Becker und seinen Kollegen bot sich die Chance, auf das leistungsstarke Keck-Teleskop auf dem Mauna Kea (Hawaii) zurückzugreifen. Im April hatte Xiaohui Fan vom Institute for Advanced Study in Princeton damit den Quasar J1030+0524 entdeckt, der mehr als 14,5 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist (Ein virtuelles Teleskop für das simulierte Universum). In der Absorptionslinie des Quasarlichtes fand Becker jetzt die erwartete Senkung, für die seiner Meinung nach "nur die Atome der ersten Generation verantwortlich sein können".
Damit erfüllte er nicht nur seinem Kollegen Gunn, der mittlerweile an der Princeton University beschäftigt ist, einen Lebenstraum: "Die Effekte des neutralen Wasserstoffs im Spektrum dieses Quasars beweisen uns, dass wir endlich das Universum zu einer Zeit untersuchen können, in der die ersten Sterne und Quasare entstanden. Darauf haben die Wissenschaftler sehr lange gewartet, und es ist eine große Freude, dass wir es schließlich doch noch erleben dürfen."
Die genauen Ergebnisse des erfolgreichen Forschungsprojekts werden im Astronomical Journal veröffentlicht und die Experten sicher noch eine ganze Weile in Atem halten. Schließlich glaubt man im Licht des Quasars nicht nur die erwarteten Atomverbindungen von Wasserstoff, Helium und Lithium, sondern auch Spuren von Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Silizium entdeckt zu haben. Inwieweit das alles unser Bild von der Entstehung des Kosmos verändern oder sogar bereichern kann, muss freilich noch abgewartet werden.