"Die etablierten Parteien verirren sich im Wust des Populismus"

Seite 2: "Bei der Bundestagswahl werden die Grünen total loosen"

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Kommen wir zu den Grünen ...

Harald Welzer: ... Die schon lange keine großen Themen mehr besetzen, leider. (Überlegt) Aber das ist nicht mein Problem, das müssen die Herrschaften mit ihren Psychotherapeuten besprechen.

Wäre für die Partei ein kompletter Neustart nötig?

Harald Welzer: Das wäre eine Chance gewesen, ja. Durch die unglückliche Wahl des Spitzenduos haben die Grünen sich dieser wunderbaren Chance aber selbst beraubt.

Was haben Sie gegen das Duo Göring-Eckardt/Özdemir?

Harald Welzer: Es steht weder für Modernisierungsinhalte noch ist es attraktiv für junge Wähler. Man hat bei der Wahl in Schleswig-Holstein gesehen, was möglich ist, wenn man es anders angeht.

Sie zielen auf Robert Habeck an.

Harald Welzer: Genau. Er steht für die Modernisierung der Grünen. Das kommt im Land gut an. Leider wurde er in der Vergangenheit immer wieder gebremst, meist von den eigenen Leuten. Das ist sehr schade.

In den Umfragen liegen die Grünen jetzt nur noch bei sechs bis acht Prozent. Geht da noch was?

Harald Welzer: Sorry, aber bei der Bundestagswahl werden die Grünen total loosen. Derart konturlos, wie sie sich seit Jahren präsentieren, sehe ich kaum Chancen. Ich wüsste nicht, wie das Führungsduo jenes Vertrauen zurückgewinnen könnte, das in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist. Die Situation ist vergleichbar mit jener der FDP vor ein paar Jahren. Nun müssen auch die Grünen sich Fragen gefallen lassen wie: "Warum soll ich Euch noch wählen?", "Wieso braucht es Euch noch?"

"Weil wir auch die parlamentarische Vertretung der Bienen sind", twitterte Cem Özdemir vor wenigen Tagen selbstironisch.

Harald Welzer: Bleibt nur die Frage: Hilft das den Bienen?

"Deutschland braucht eine neue Partei, die die wahren Probleme des 21. Jahrhunderts zu ihren Themen macht"

Ein weiterer Özdemir-Tweet: "Warum grün wählen? Damit die nächste Bundesregierung bei Elektroautos nicht weiterschläft." Wie wirken solche Botschaften auf Sie - überzeugend, originell oder eher panisch?

Harald Welzer: Sagen wir es mal so: Wer das Elektroauto für ein zeitgemäßes Mobilitätskonzept hält, schläft schon etwas länger. Es ist ja nur das Methadon der fossilen Automobilität. Total von gestern. Es ist mehr als offensichtlich: Deutschland braucht eine neue Partei, die wichtige Akzente setzt. Eine Partei, die die wahren Probleme des 21. Jahrhunderts zu ihren Themen macht - die sich intensiv befasst mit: sozialer Ökologie, Klimapolitik, internationaler Gerechtigkeit, weltweiter Migration und Reichtumsverteilung.

Stünden Sie zur Verfügung, Herr Welzer?

Harald Welzer: (lacht) Ich fühle mich im außerparlamentarischen Bereich gut aufgeboben.

Reizt es Sie nicht, all das, was Sie an Parteien und Politikern kritisieren, selbst anders, ja: besser zu machen?

Harald Welzer: Ich habe nichts gegen Leute, die sich in Parteien engagieren. Im Gegenteil: Ich bewundere viele Berufspolitiker. Der Aufwand, die Angriffe, dieser ständige Kampf um Mehrheiten, puh!, das ist ein harter Job, der eindeutig unterbewertet ist. Ich bin wirklich weit entfernt von einem allgemeinen Politiker-Bashing. Wenn ich bashe, dann spezifisch (lächelt).

Sie werden also Ihre Kreuze im September bei einer Partei machen, die zurzeit im Bundestag vertreten ist?

Harald Welzer: Ganz sicher. Ich weiß zwar noch nicht bei welcher, aber bis dahin habe ich ja auch noch ein bisschen Zeit.

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