"Die große Meinungsvielfalt in der deutschen Presse ist Geschichte"
Seite 2: Zum Buch "Die Unbelangbaren - Wie politische Journalisten mitregieren"
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Das Buch "Die Unbelangbaren" erscheint in einer Zeit, in der Medienkritik oft mehr von Emotionen als von fundierten Kenntnissen über die Funktionsweisen der Medien geprägt ist. Thomas Meyers Buch wirkt wie ein Gegengewicht in einer Debatte über die Medien, die sich schon seit Monaten im Kreis dreht. Medienkritiker erheben Vorwürfe, beschweren sich über eine Berichterstattung, die ihrer Meinung nach eine schwere Schlagseite erkennen lässt, Vertreter großer Medien weisen immer wieder mit Nachdruck jede Grundsatzkritik zurück und Stimmen aus dem akademischen Feld bleiben bei ihren Wortmeldungen erstaunlich weit hinter dem zurück, was ihre wissenschaftlichen Disziplinen an analytischen Erkenntnissen über die Medien hervorgebracht haben.
Meyer, der bereits in seinem vor einigen Jahren erschienen Buch "Mediokratie - Die Kolonisierung der Politik durch die Medien" die Einflüsse des journalistischen Feldes auf das politische Feld ausgeleuchtet hat, geht in seinem neuen Buch noch einmal auf die Verwicklungen dieser beiden gesellschaftlichen Teilbereiche ein. Dieses Mal aber "zoomt" der Politikwissenschaftler näher ran, nämlich direkt an die Akteure der Medien.
Als "unbelangbar" bezeichnet Meyer Journalisten, die aus einem fragwürdigen Jagdinstinkt heraus versuchen, einen Menschen medial zur Strecke zu bringen - genauso wie diejenigen Medienvertreter, die bewusst als Akteure im politischen Spiel mitmischen, um ihre persönlichen politischen Wunschvorstellungen verwirklicht zu sehen. Dagegen schreibt Meyer an. Er wünscht, dass Journalisten, die "ihr Publikationsprivileg" missbrauchen, wie Meyer es mit harten Worten formuliert, sich vor den Rezipienten rechtfertigen müssen.
Auch wenn der emeritierte Professor es durchaus ernst mit seiner Forderung meint: Meyer bedient sich auch der Zuspitzung - um aufzurütteln. Viel wäre nämlich schon erreicht, wenn das journalistische Feld von sich aus gegen die Skandalisierungs- und Empörungsmentalität, die sich in ihm ausgebreitet hat, vorgehen würde. Eine Berichterstattung, die davon angetrieben wird, aus Skandälchen Skandale zu machen und Menschen medial so lange durch den Dreck zu ziehen, bis deren öffentliches Leben zerstört ist, übersteigt die Grenzen dessen, was sich eine um die Sache bemühte Berichterstattung leisten darf.
Doch Meyers Schrift geht inhaltlich über die Forderung der "Belangbarkeit" von Journalisten hinaus. Wer das Buch inhaltlich auf seinen Titel reduziert, greift zu kurz. In der an vielen Stellen sehr aufgeregt geführten Diskussion um die Medien träufelt Meyer die Erkenntnisse einer kritischen Sozialwissenschaft ein. Wenn Meyer etwa die Analysen des Soziologen Niklas Luhmann einbringt, der mit seinem Grundlagenwerk zur Realität der Massenmedien die innere Mechanik des Mediensystems freigelegt hat, weitreichende Studien, wie etwa "Die Souffleure der Mediengesellschaft" (Siegfried Weichenberg) oder einen Klassiker der Medienkritik: "Der missachtete Leser" (Peter Glotz/Wolfgang R. Langenbucher) anführt, dann wird schnell deutlich, woran die derzeitige Diskussion um die Medien krankt. Die vielen klugen und kritischen Erkenntnisse, die teilweise schon vor Jahrzehnten über die Medien und ihre Funktionsweisen angestellt wurden, kommen in ihr einfach nicht vor.
Es ist gewissermaßen so, als sei Luhmanns Erkenntnis, dass Medien nicht die Realität abbilden, sondern sie selbst erzeugen, nie gedacht worden. Es ist so, als hätten die Beobachtungen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu über das journalistische Feld nie stattgefunden, als hätte der US-amerikanische Intellektuelle Noam Chomsky nie dargelegt, was es mit der "politischen Ökonomie der Massenmedien"auf sich hat und wie sie Zensur ausüben.
Kurzum: Dass an Medien und an der journalistischen Berichterstattung vieles auszusetzen ist, ist nicht neu. Im Februar 1970 waren im Spiegel folgende bemerkenswerte Zeilen zu lesen:
Der deutsche Leser wird von seinen Zeitungen mißachtet. Das falsche Bewußtsein der Journalisten, jeder ein Kreuzzügler oder Entlarver, füllt die Spalten mit Gesinnungen statt mit Fakten. Ob links oder rechts, überall lassen sich horrende Informationsdefizite nachweisen... Die Mißachtung der Leser beginnt nicht erst bei den Journalisten, sie beginnt im Zustand der Gesellschaft selber. Nicht weniger, sondern mehr Kritik scheint mir darum das Heilmittel zu sein, unsere Zeitungen zu verbessern...
Der Spiegel
Heute, 45 Jahre später, gibt es ein "mehr an Kritik". Wohl noch nie zuvor gab es ein so großes Interesse vonseiten der Rezipienten an einer kritischen Auseinandersetzung mit den Medien. Meyer leistet in dieser Zeit mit seinem Buch einen wertvollen Dienst: Nicht akademisch abgehoben, sondern in einfacher Sprache gelingt es ihm, eine Medienkritik zu entwerfen, die alte Einsichten mit aktuellen Entwicklungen verbindet und zugleich eine eigenständige Perspektive auf die problematischen Verhältnisse im journalistischen Feld einnimmt.
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