Die heimliche Supermacht im Klonen
Aus China kommt die Nachricht, dass 80 geklonte Embryos erfolgreich entwickelt werden konnten
"Erst nachweisen, dann reden," ist die Devise der Wissenschaftlerin Lu Guangxiu, die im Alter von 61 Jahren einer von vielen chinesischen Arbeitsgruppen vorsteht, die sich dem Klonen verschrieben haben. In der Provinzhauptstadt Changsha konzentrieren sich 60 Wissenschaftler auf die Unfruchtbarkeit und deren Behandlung. Das Team arbeitet systematisch und wissenschaftlich korrekt. Mehr als 80 Embryonen wurden bereits als Klons von Erwachsenen erzeugt, und vier davon hatten das Vielzellen-Stadium erreicht, in dem der Embryo üblicherweise in die Gebärmutter implantiert wird.
Über diesen Erfolg ist Frau Guangxiu stolz, weil ihr heimlicher Konkurrent aus den USA, Advance Cell Technology, vor mehr als einem Jahr die damals entwickelten Embryonen nur bis zu einem Stadium von sechs Zellen erhalten konnte und inzwischen dem menschlichen Klonen abgeschworen hat. Ganz anders als Clonaid, die Seifenblase aus der westlichen Welt, geht Frau Guangxiu systematisch Schritt für Schritt: Die Experimente werden von unabhängigen chinesischen Wissenschaftlern kritisch unter die Lupe genommen und sind nunmehr freigegeben worden für die Publikation in der westlichen Welt, voraussichtlich in Nature. "Mein Interesse sind in Wahrheit die Stammzellen und nicht die heimlichen Wünsche der Menschheit," fügt Lu Guangxiu bescheiden hinzu.
Die Stammzellenforschung ist in China kein Grund für Ärgernis, sondern tägliche Realität. Kang Le, Direktor der Chinese Academy of Science's Bureau of Life Science and Biotechnology erklärte noch im November:
Wir müssen die Technologie des Klonens weiterentwickeln. Gleichwohl müssen wir vorsichtig daran gehen und sicherstellen, dass die wissenschaftliche Entwicklung unter strikten experimentellen Bedingungen erfolgt und konform zu den Gesetzen bleibt.
Das sind keine hohlen Worte. Unter dem überwältigenden Eindruck von Dolly, dem Schaf, ist in der westlichen Welt vergessen worden, dass der Pionier des Klonens nicht in Schottland residiert, sondern schon lange zuvor in China lebte. Tong Dizhou, geboren 1902, war es, der bereits 1963 begonnen hatte, Karpfen zu klonen, u.a. mit einer europäischen Rasse kombiniert, und seitdem viele Schüler kürte. Warum dieses Interesse in einem Land, das wie kein anderes die Geburtenkontrolle und die Beschränkung auf ein Kind durchsetzt? Kenner Chinas verweisen auf die chinesische Tradition.
Danach gilt für die Wissenschaftler: "Macht euch die Natur untertan," weil die daraus gewonnenen Erkenntnisse dem Menschen dienen. Deshalb gibt es auch keinen Bruch im Werdegang von Lu Guangxiu. Sie kam nach der Kulturrevolution an die Xiangya Medical University und setzt das Werk ihres Vaters fort, der mit seinem Buch Human Reproduction and Reproductive Engineering der westlichen Entwicklung voraus war. Da in der Fertilisationsklinik zumeist überschüssige Zygoten verbleiben, fragt sie die Eltern nach erfolgreicher Geburt eines Kindes, ob sie die zwischenzeitlich tiefgefrorenen Embryonen weiter verwenden kann - für ein anderes Ehepaar oder für die wissenschaftliche Forschung. Daraus hat Frau Lu Guangxiu bisher drei eigene "standfeste" Linien für das therapeutische Klonen entwickelt. Ihr Hoffnung ruht auf den omnipotenten Stammzellen, die jedes Gewebe annehmen können und damit universell verwendbar sind.
Allerdings ist die Ausbeute noch gering und von vielen Zufälligkeiten bestimmt. Deshalb machen chinesische Wissenschaftler nicht Halt vor "Interspezies-Klons", also solchen, die aus verschiedenen Tierarten entstehen oder dem Menschen "aufgepfropft" sind. Die Kombination, so wird vermutet, könnte für die Herstellung von Organteilen bedeutsam sein, vielleicht lebensfähiger, vielleicht gar dem ursprünglichen Gewebe qualitativ überlegen.
Wir hören nur wenig über die chinesischen Erfolge. Berichte über das Klonen von Ratten, Schweinen, Schafen und Kühen sind im Westen selten eine Schlagzeile wert, selbst wenn chinesische Forscher bereits vor zwei Jahren berichteten, dass ihre "Erfolgsquote 10-20fach besser ist als beim Schaf Dolly." Chinas National Natural Science Foundation fördert zahlreiche Studien. Bermerkenswert davon die Ergebnisse an der Chinese Academy of Sciences und dem Shandong Zhongda Animal Embryo Engineering Center: Im vergangenen Frühjahr wurde die erfolgreiche Geburt von neun geklonten Kälbern berichtet und nachgewiesen, daß der frühe Tod von zwei Tieren auf Infektionen und nicht auf die bekannten und in China bereits klassifizierten genetischen Abnormitäten zurückgeführt werden konnten. Sogar "Weiwei", das erste in China geklonte Kalb war kein Klonfehler, sondern starb an einer angeborene Mißbildung, die nicht selten bei normalen Tieren gefunden wird. "Vier Millionen Kühe reichen bei der geringen Reproduktionsfrequenz nicht aus, um den Milchbedarf langfristig zu sichern," gab Chen Dayuan, der wissenschaftliche Leiter als Begründung für die intensiven Bemühungen an.
Um mit dem westlichen Lebensstandard gleichzuziehen, fördert die chinesische Regierung viele wissenschaftliche Programme zur besseren Versorgung der Bevölkerung. Die Kombination von Life Science und Biotechnologie meint nicht nur Menschliches und Tierisches. Auch das Klonen von Pflanzen ist weit fortgeschritten. Ling Yijia, Manager der Shanghai Key Laboratory Co Ltd, berichtete noch vor zwei Jahren über 60 geklonte Spezies; inzwischen hat sich die Zahl verdoppelt. Allein im Vorjahr wurden 100 Patente angemeldet. Die ebenfalls in Schanghai ansässige Tianke Gardening Co., Ltd. hatte vor zwei Jahren auf der International High-Tech Industries Week in Peking ihren Beitrag zum chemiefreien Insektenkiller vorgestellt: die geklonte Dionaea muscipula. Die schon von Charles Darwin bewunderte, bis zu 15 cm hohe Venusfliegenfalle frißt Fliegen, vertreibt Mücken und nimmt auch Fleisch- oder Käsereste dankend an. Die Jahresproduktion des genetisch optimierten Mitessers hat inzwischen 100.000 Pflanzen überschritten.
Wir täten gut daran, chinesisch zu lernen. Noch wird die USA als wissenschaftlicher Übervater gepriesen. Vieles spricht dafür, dass der Zenith überschritten ist. Die Forschung ist auf den "war against terrorism" eingeschworen und huldigt flächengreifend dem kurzsichtigen kommerziellen Erfolg. Ganz anders die Entwicklung in China. Was da, abgeschottet durch die Sprachbarriere, geschieht, ist wissenschaftliche Freiheit im besten Sinne, nämlich die Spielwiese für freie Gedanken und Phantasien gepaart mit Klarheit und Präzision.