"Die katholische Kirche muss sich selbst in Frage stellen"
Seite 2: Nur ein kleiner Teil der Gläubigen folgt der Sexualmoral der Kiche
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Warum machen die Gläubigen das mit?
Matthias Katsch: Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Mir kann niemand erzählen, dass wirklich niemand etwas mitbekommen hat in den Kirchengemeinden, wenn ein Pfarrer mehreren Kindern sexualisierte Gewalt angetan hat. Grundsätzlich aber unterscheidet sich Alltagsleben und Gemeindeleben sehr stark voneinander. Nur ein kleiner Teil der Gläubigen ist tatsächlich von dem überzeugt, was die Kirche immer noch verlangt zu glauben, dass Sex nur in der Ehe und wenn er auf Fortpflanzung ausgerichtet ist, sittlich erlaubt sei. Im Privatleben sieht das in der Regel anders aus.
Da berufen sich die Gläubigen auf ihr Gewissen. Aber es gibt offensichtlich eine hohe innere Bindung an die Kirche. Die wird in der Kindheit geprägt und lässt sich nicht so einfach auflösen. Deshalb ist die Kirche auch so interessiert daran, Einfluss auf die Bildungsarbeit mit Kindern nehmen zu können.
In den eigenen Kitas und Schulen beispielsweise.
Matthias Katsch: Nicht nur. In Nordrhein-Westfalen ist es beispielsweise gesetzlich geregelt, dass sowohl die evangelische Landeskirche als auch die katholischen Bistümer "Ansprechpartner für die Schulen in Fragen des Religionsunterrichts" sind. Erteilt werden darf der Unterricht nur von Personen, die dafür eine Lehrbefähigung sowie die Vollmacht der Kirche haben.
Diese Vollmacht kann jederzeit entzogen werden. Die Kirchenleitungen oder deren Beauftragte können Einsicht in den Unterricht nehmen, d.h. sie werden zur Kontrollinstanz. Wieviel Spielraum bleibt da den Lehrerinnen und Lehrern? Auch wenn mittlerweile mangels Masse von Gläubigen gemeinsamer Religionsunterricht für die verschiedenen Konfessionen angeboten wird.
Auch in Hamburg hat die Kirche, haben die religiösen Vereinigungen insgesamt, einen großen Einfluss auf den Religionsunterricht. Der wird zwar als bundesweites einzigartiges Modell von allen Konfessionen gemeinsam gestaltet, aber von den Religionslehrerinnen und -lehrern der verschiedenen Konfessionen abwechselnd erteilt und von den dahinter stehenden Verbänden kontrolliert. Auch von der katholischen Kirche …
Matthias Katsch: … die zum einen Fälle sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen aufzuarbeiten hat und zum anderen gerade ihren Erzbischof verlor, der aufgrund seiner Verwicklung in die Vorkommnisse im Erzbistum Köln, in dem er vorher tätig war, vom Papst zumindest vorübergehend von seinem Amt freigestellt wurde. Eine der praktischen Folgen des Kölner Gutachtens. Allerdings heißt Freistellung nicht unbedingt, dass er auch am Ende wirklich sein Amt aufgeben muss.
Das Erzbistum Köln hat unterdessen eine Reihe von Maßnahmen vorgestellt, mit der künftig sexualisierte Gewalt an Kindern verhindert werden soll. Meiner Ansicht nach klingen die ganz vernünftig und ich würde mir ähnliche Kontrollmechanismen und Kontrollgremien auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wünschen. Die katholische Kirche hat ja leider kein Patent auf sexualisierte Gewalt in den eigenen Reihen.
Matthias Katsch: Die Maßnahmen sind vernünftig und sicherlich auch nachahmenswert. Verbesserte Aktenführung etwa ist sicher gut. Nur, das Grundproblem bleibt: Eine kritische Betrachtung der Lehre und dem hierarchischen Gefüge ist nicht vorgesehen. Nicht im Religionsunterricht und nicht in den kirchlichen Strukturen. Es gibt kein Recht auf Kritik und Widerstand innerhalb der Kirche. Ziel ist es, mittels Religionsunterricht schon den Kleinsten das schlechte Gewissen einzurichten, dass sie zu Sündern macht, die dem Wohlwollen der Kirche in Gestalt von Buße ausgeliefert sind. Das prägt fürs Leben und da müssen wir ansetzen, wenn wir wirklich etwas ändern wollen.
Wer die katholische Kirche verändern will, dem bleibt nach 50 Jahren Reformdebatte doch eigentlich nur Aufstand oder Austritt. Wie das Beispiel Oliver Vogt zeigt; oder auch die Tatsache, dass zwei der Initiatorinnen von "Maria 2.0" ihren Austritt aus der Kirche bekannt gaben und von außen für Veränderungen kämpfen wollen. Und solange Akteure wie Kardinal Woelki, die tief in jene Strukturen eingebunden waren, die den ganzen Skandal überhaupt möglich machten, sich sozusagen zum Zentrum der Aufklärungsbewegung machen, kann es nicht funktionieren. Wenn Kardinal Woelki tatsächlich Aufklärung will, dann muss er den Weg dafür frei machen. Dann muss er zurücktreten.