Die kleinste lebende Maschine?

DNA-Sequenz. Bild: Gregory Podgorniak/CC-BY-SA-4.0

Ein Minimalgenom wirft die Frage auf, ob Menschen neues Leben schaffen können

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Der Genomforscher Craig Venter hat ein Genom konstruiert, das nur eine minimale Anzahl von Genen enthält. Falls allein die DNA die Eigenschaften eines Organismus prägt, ist es bis zur Schöpfung synthetischer Lebensformen nur noch ein kleiner Schritt. Doch das Leben könnte auch komplexen Systemen gleichen, deren Merkmale nicht planbar sind.

20 Jahre Arbeit, ungezählte Millionen Dollar, ein mit Nobelpreisträgern bestücktes Team: Die Konstruktion eines Minimalgenoms, das mit nur 473 Genen ein selbständiges Leben ermöglicht, war bislang das ehrgeizigste Projekte der synthetischen Biologie. Das erklärte Ziel - die Erschaffung künstlichen Lebens - scheint nun zum Greifen nahe.

Dass es gelingen wird, daran hegt Venter keine Zweifel. Für ihn ist das Erbgut eine Software und der Organismus die Hardware - wer das Programm der DNA umschreibt, gestaltet auch das Leben nach seinen Wünschen. Für Unwägbarkeiten und überraschende Entwicklungen ist in diesem Weltbild kein Raum.

Der Reduktionismus, der diesem Ansatz zugrunde liegt, ist aber umstritten. Viele Forscher verweisen auf "emergente Eigenschaften" - Merkmale, die in komplexen Systemen erscheinen, ohne dass sie vorhersehbar wären. Eine planvolle Schöpfung ist unter diesen Umständen kaum möglich.

Planbares Leben aus dem Baukasten

Mit emergenten Eigenschaften kann Venter wenig anfangen. Für ihn sind sie ein subtiler Rückfall in den Vitalismus, eine diskreditierte Denkschule, welche die Existenz einer organisch nicht fassbaren Lebenskraft postulierte. Die endgültige Widerlegung derartiger Konzepte sei ihm bereits vor sechs Jahren gelungen - mit der erfolgreiche Transplantation eines synthetischen Genoms, die eine Bakterienart in eine andere verwandelte (Das synthetische Genom - ein Schritt zum Minimalorganismus). Die "Erzeugung synthetischen Lebens aus Chemikalien", wie er es nennt.

Gemäß dieser Logik funktioniert das Leben wie ein Baukasten. Das Minimalgenom soll dabei das elementare Betriebssystem sein, welches beliebig über DNA-Module erweitert wird. Der programmierte Organismus kann dann wahlweise Medikamente, Treibstoffe oder chemische Bausteine erzeugen - eine Fabrik in miniaturisierter Form. Das Leben wäre exakt die Summe seiner Teile, keinen Deut mehr.

Und so glaubt Venter auch, dass er einen lebenden Organismus im Computer simulieren kann. Dies soll auch der nächste Schritt sein: Sein Team hat bereits begonnen, die Funktion aller Komponenten des Minimalgenoms im Detail zu bestimmen. Mit diesen Daten wollen sie eine Simulation erstellen, in der zukünftige Entwürfe von neuen Genomen in silico getestet werden. Lebendige Wesen sollen am digitalen Reißbrett entstehen.

Komplexe Systeme mit unerwarteten Eigenschaften

Doch viele Forscher halten den Reduktionismus, der das Leben auf eine Stufe mit Maschinen und Computerprogrammen sieht, für überholt. Der Ansatz könne zwar das Verhalten von sehr großen und sehr kleinen Objekten erklären, aber jenseits von Planeten und Atomen konnte er bislang wenig Erhellendes bietet.

Der Physiker Stephen Wolfram spricht der traditionellen Mathematik sogar grundsätzlich die Fähigkeit ab, komplexe Systeme ausreichend zu beschreiben. In seinem Buch "A new kind of science" beschreibt er zelluläre Automaten, die nur einfachste Regeln befolgen und dennoch höchst komplizierte Muster erzeugen. Kein bekannter Algorithmus konnte dieses Verhalten vorhersagen.

Das Minimalgenom mit seinen 473 Genen ist wesentlich komplizierter als ein zellulärer Automat. Falls emergente Eigenschaften auch hier eine Rolle spielen, wird jede Änderung im Genom oder gar das Zufügen neuer Module Konsequenzen haben, die nicht kalkulierbar sind. Rationales Design, so wie es Venter vorschwebt, ist unter diesen Umständen unmöglich. Der Mensch wäre dann kein Schöpfer, sondern bestenfalls der verlängerte Arm der Evolution.

Erste Probleme

Dass ein rationales Design nicht einfach ist, hat auch Venter zu spüren bekommen. Eine Simulation im Computer sollte bereits die Entwicklung des Minimalgenoms anleiten - doch der Versuch erwies sich als vollkommener Fehlschlag. Sein Team war gezwungen, wieder auf die ungeliebte Methode von Versuch und Irrtum zurückzugreifen.

Sechs Jahre vergingen, bevor dieser mühevolle Ansatz zum Erfolg führte. Und der fiel nicht annähernd so eindrucksvoll aus wie erhofft: Der Abstand zum kleinsten natürlichen Genom beträgt gerade einmal 52 Gene.

Waren diese Probleme nur Kinderkrankheiten, mit denen jedes ambitionierte Vorhaben anfangs zu kämpfen hat? Oder deutet sich hier bereits an, dass die reduktionistischen Grundannahmen nicht mit der Realität in Einklang zu bringen sind? Die Antwort kann nur die weitere Entwicklung des Projektes geben. Der Minimalorganismus wird damit auch zu einem Experiment, das Auskunft über die Prinzipien des Lebens gibt.

Falls Venter nach Wunsch DNA-gesteuerte Maschinen erschaffen kann, darf er sich in seinem reduktionistischen Weltbild bestätigt fühlen. Wenn er scheitert, wäre das ein Hinweis, dass das Leben doch mehr ist als die Summe seiner biologischen Teile. Der Minimalorganismus wird am Ende zeigen, ob der Mensch sich zu Recht als Schöpfer fühlen darf.