Die längste Schlange der Welt
"Pipelinistan" - Das große Spiel um Zentralasien
Es ist ein Jahrhundertbauwerk, das am letzten Mittwoch im Sangachal-Terminal an der aserbaidschanischen Küste des kaspischen Meeres eingeweiht wurde. Die Meldungen über die "Milliardenröhre" (Handelsblatt) blieben meist dem Wirtschaftsteil vorbehalten, aber alle Kommentatoren waren sich darüber einig, dass die "BTC-Pipeline" nicht nur "Aseri Light" transportiert, sondern auch für geopolitischen Zündstoff der ersten Klasse sorgen kann.
Die Ölleitung ist einen Meter dick, einen Meter tief – "erdbebensicher" - in der Erde begraben und schlängelt sich vom kaspischen Binnenmeer bei Baku über 1.760 Kilometer über Georgien (Tiflis) zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan (Karte). In einem "privaten Korridor" (Independent) von etwa 40 m Breite überquert die Pipeline bis zu 2800m hohe Bergpässe und 1.500 Flüsse. Eine beachtliche technische Leistung, die ihr viele Superlative eingetragen hat ("die längste Schlange der Welt"), und ein politisches Projekt, das nationale Empfindlichkeiten und bislang geltende Regeln im "großen Spiel" um die Herrschaft in Zentralasien links liegen lässt:
Die BTC (Baku, Tiflis, Ceyhan) ist nicht hauptsächlich eine Pipeline: sie ist ein souveräner Staat.
Pepe Escobar
Man verspricht sich einiges von den sagenhaften Ölvorkommen im Kaspischen Meer. "Man" sind in erster Linie die Industrieländer mit dem größten Bedarf an dieser Ressource, allen voran die USA, Europa, Russland und zunehmend China. Und natürlich die Anliegerländer, die sich vom Ölreichtum wirtschaftliche Prosperität versprechen. Zu den wirtschaftlichen Interessen an der neuen Seidenstraße, wie die Pipeline von einem türkischen Politiker genannt wird, kommen regionale Macht-Interessen Russlands und Irans. Beide Länder, und das ist das Heikle bzw. Kühne am Kurs der gigantischen Pipeline, werden umgangen: Das Betreiberkonsortium unter der Leitung des britischen Ölkonzerns BP/Amaco wählte die teure und lange Route von Aserbaidschan über Georgien in die Türkei, wo das Öl im türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan auf Supertanker verladen wird.
Dass sich der amerikanische Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Nähe des Verladehafens befindet, ist für viele Kommentatoren des brisanten geopolitischen Unternehmens kein Zufall. Das "extrem teure" Projekt (Handelsblatt) spiegelt vor allem amerikanische Hoffnungen, Wünsche und Interessen wieder. Amerika will sich von der Abhängigkeit von den Ölvorräten im Mittleren Osten befreien und dafür lässt es sich einiges kosten.
Etwa 2,5 Milliarden Euro hat die Pipeline gekostet; das meiste Geld kam als Kredit von der Weltbank und der Bank für Europäischen Wiederaufbau. In beiden Institutionen sind die USA große Kapitalgeber. Bauherren sind der britische Ölkonzern BP/Amoco und die staatliche aserbaidschanische Ölgesellschaft Socar. Beteiligt sind außerdem Unternehmen aus den USA, Norwegen, der Türkei, Italien, Frankreich, Japan sowie Saudi-Arabien. Auf vierzig Jahre ist die Lebensdauer der Rohrleitung ausgerichtet; bei voller Kapazität soll sie 1 Million Barrel (159 Millionen Liter) pro Tag transportieren, was in etwa einem Zehntel des täglichen Ölimports der USA entspricht.
Doch zeigt sich hier schon die erste Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Anders als zu der Zeit, als der jetzige amerikanische Vizepräsident Dick Cheney noch bei Halliburton im Ölgeschäft war und das gigantische Projekt mitinitiierte, schätzt man die Ölvorräte der aserbaidschanischen Felder bei weitem nicht mehr so üppig ein - manche Kritiker gehen sogar so weit, dass sie die Größe der gesamten Ölfelder im kaspischen Meer für viel geringer als versprochen veranschlagen:
Statt der Träume von einem neuen Kuwait könnte das kaspische Meer nur 32 Milliarden Barrrel Öl bereithalten, nicht viel mehr als die Reserven von Katar, einem kleinen Produzenten am Golf. Die kaspische See könnte tatsächlich nur 10% der bekannten Reserven des Mittleren Ostens enthalten.
Asia Times
Momentan fördert Aserbaidschan jährlich etwa 15 Millionen Tonnen Öl, der größte Teil stammt aus dem Feld Cirag. Das BTC-Projekt scheint für viele überdimensioniert: Der große russische Ölförderer Lukoil verkaufte 2003 seinen zehnprozentigen Cirag-Feld-Anteil nach Japan - wegen schlechter Prognosen: Bei einer Höchstförderung des aserbaidschanischen Öls ab 2009 von jährlich 50 Millionen Tonnen würden die etwa 500 Millionen Tonnen bald erschöpft sein.
Weswegen die Ölgesellschaften schon jetzt damit spekulieren, dass sich Kasachstan, das mit der Erschließung des Riesenfeldes Kaschagan zu einem der weltweit größten Ölproduzenten aufsteigen will, mit seinen reichen Vorräten am Ölzufluss für die BTC-Pipeline beteiligt. Die Rentabilität der BTC-Pipeline hängt in den Augen der Skeptiker davon ab, ob sich Kasachstan beteiligt. Bereitschaft dazu hat die kasachische Führung bereits signalisiert: Es gibt aber ein Problem, Russland, das von diesem Geschäft ausgeschlossen wäre.
Doch für russische Experten ist längst klar: es geht bei der neuen Pipeline gar nicht so sehr ums Geschäft – die Transportkosten der BTC-Pipeline sind nach ihren Schätzungen etwa doppelt so hoch wie der bisherige Exportweg des aserbaidschanischen Kaspi-Öls über den russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk – sondern vor allem um politische Macht in Zentralasien; die Pipeline ist in ihren Augen nur ein Vorwand für Amerika, um dort aus Sicherheitsgründen Truppen zu stationieren. Weswegen man jede Bestrebung der Anrainerländer, wie etwa Georgiens, nach Aufnahme in die NATO, mit allergrößtem Argwohn begegnet. Für den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der russischen Staatsduma, Konstantin Kossatschow, steht außer Frage, dass "dieses Projekt aus politischen und nicht aus ökonomischen Motiven entstand".
Bei einem Besuch des amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld am 3. Dezember vergangenen Jahres in Baku, bei dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aljiev, ging es angeblich um die Stationierung mobiler US-Truppen u. a. zur Sicherung der Pipeline vor terroristischen Anschlägen; die russische Antwort war kurz und eindeutig:
Es hat bisher keine amerikanische Präsenz in der kaspischen Region gegeben und es wird keine geben. Wir werden es nicht erlauben, sie haben hier nichts zu beschützen.
Nikolai Riabov, russischer Botschafter in Aserbaidschan
Tatsächlich verläuft die Pipeline in wenig sicherem Gelände. Aserbaidschan, das sich vom Erdölboom fantastische wirtschaftliche Zuwachsraten (22% für 2005, 38% für 2006) erwartet, gilt als sehr korruptes Land, geführt von einem Diktator, Ilham Alijew, der seine Macht von seinem Vater geerbt hat. Obwohl sich Präsident Alijews zu "demokratischen Werten" bekennt, zeigt sich das aserbaidschanische Regime immer wieder im alten, autoritären Stil. Eine Demonstration der Opposition kurz vor Einweihung der BTC-Pipeline wurde zuerst verboten; als mehrere hundert Demonstranten wie angekündigt trotzdem aufmarschierten, wurden sie niedergeknüppelt. Während die USA andernorts Diktatoren stürzt, hält man diesen, in alter Tradition, als Garant für die Sicherheit. Indes politische Beobachter auch im Verlauf der Pipeline durch die kurdischen Gebiete der Türkei eine Gefahr erkennen, sorgen sich Umweltschützer um die Artenvielfalt im Kaukasus und darum, dass die Ölleitung durch mindestens drei erdbebebengefährdete Regionen verläuft und die Pufferzone des Kharagauli Nationalparks in Georgien durchquert. Doch das Betreiberkonsortium der großen Ölfirmen hat mit Aserbaidschan, Georgien und der Türkei vereinbart, dass die Regierungen die Projektbetreiber finanziell entschädigen müssen, sollten zukünftige Umweltgesetze zusätzliche Ausgaben erfordern.