Die linke SYRIZA im Antiterrorkampf

Festnahme der gesuchten Pola Roupa. Bild: W. Aswestopoulos

Pola Roupa, die Frau des Anarchisten Nikos Maziotis, auf die eine Million Euro Kopfgeld ausgesetzt war, wurde mit ihrem sechsjährigen Sohn festgenommen, der isoliert festgehalten wird

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Am 5. Januar wurde in Athen Pola Roupa festgenommen. Die Gattin des inhaftierten Anarchisten Nikos Maziotis wurde verraten. Der griechische Staat hatte eine Million Euro Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Ein stolzer Betrag, gemessen daran, dass Roupa während der Zeit ihres Wirkens kein Mord zur Last gelegt wurde.

Roupa wurde zusammen mit einer Begleiterin, der 1992 geborenen K.A. in der Wohnung der jungen, bekennenden Anarchistin im Athener Vorort Ilioupolis festgenommen. Roupa befand sich in der Wohnung von K.A., während diese selbst an einem anderen Ort aufgegriffen wurde.

Die in den Medien als Fünfundzwanzigjährige Bezeichnete bekannte sich ebenso wie Roupa zur Mitgliedschaft in der "bewaffneten Gruppe Revolutionärer Kampf". Die achtundvierzigjährige Roupa war vor knapp zweieinhalb Jahren entwischt, als Fahnder ihren Gatten in Athen festnahmen. Sie hatte in der Zwischenzeit versucht, diesen unter anderem per Hubschrauber aus der Haft zu befreien. Aufsehen erregten die Aktionen des Revolutionären Kampfes vor allem in der Wahl der Ziele. So wurden unter anderem die US-Botschaft, die Residenz des deutschen Botschafters in Athen, mehrere Banken und Regierungsgebäude angegriffen.

Im Anschluss an die Festnahmen folgte das in Griechenland übliche Verfahren. Gerade bei Terrorvorwürfen werden die Festgenommenen demonstrativ der Presse vorgeführt. Der Staat zeigt seine Stärke. Danach werden die Funde in den konspirativen Wohnungen in allen Einzelheiten aufgelistet. Darüber hinaus wird in den Medien ohne Namensnennung von möglichen Zielen berichtet. Kurz, wann immer in Griechenland Terrorverdächtige festgenommen wurden, nutzte es die Regierung als Erfolgserlebnis.

Auch bekennende Anarchistin K.A. wurde verhaftet. Bild: W. Aswqestopoulos

SYRIZA als Law-and-Order-Partei

Bislang befand sich SYRIZA in solchen Fällen in der Opposition. Die Partei von Alexis Tsipras, beziehungsweise deren Vorgängerparteien, und deren Anhänger stellten sich bei derartigen Festnahmen immer auf die Seite der zu verteidigenden Menschenrechte. Gab es dabei Anlass zur Kritik, etwa bei der Festnahme der Mitglieder des "17. November", als der von einer Bombe schwer verletzte Savvas Xiros die Behandlung seiner Wunden nur im Gegenzug für Geständnisse bekam, so waren die heutigen SYRIZA-Minister unter den ersten, die protestierend auf die Straße gingen.

Im Fall Roupa zeigten sie sich von einer anderen Seite. Gemeinsam mit Roupa wurde auch deren mit ihr lebender sechsjähriger Sohn aufgegriffen. Das Kind wurde auf Anordnung der Staatsanwaltschaft ins Kinderkrankenhaus von Athen gebracht und dort von der Außenwelt isoliert. Währenddessen bemühten sich die Mutter Roupas und deren Schwester darum, das Kind von Roupa und Maziotis zu sich nach Hause zu nehmen.

Charakteristisch ist die Aussage von K.A., auf die sie sich bei ihrer Vernehmung beschränkte: "Ich bin Anarchistin, Mitglied der bewaffneten revolutionären Organisation Revolutionärer Kampf. Die einzigen Terroristen sind der Staat und das Kapital. Ich verweigere das Essen und Trinken, bis das Kind meiner Gefährten Pola Roupa und Nikos Maziotis ihren Verwandten übergeben wird."

Das implizierte Bekenntnis zur Mitgliedschaft im Revolutionären Kampf brachte der jungen Frau außer der weniger schwer wiegenden Anklage der Fluchthilfe den Vorwurf der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" ein, auf den allein ohne weitere nachweisbare Straftat eine Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren steht. Roupa und K.A. kamen nach der Vorstellung bei Staatsanwalt und Haftrichter in Haft. Am Sonntag wurden beide ins Krankenhaus eingeliefert. Die junge Anarchistin hatte bereits nach ihrer Verhaftung einen Krankenhausaufenthalt, bei dem eine Verletzung am Arm behandelt wurde.

Die weitere Nachrichtenlage ist widersprüchlich. Gemäß den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft war es den Verwandten von Anfang an möglich, Kontakt zum Kind aufzunehmen. Diese Version stützte Justizminister Stavros Kontonis in öffentlichen Erklärungen. Kontonis betonte, dass selbst Premierminister Alexis Tsipras den Jungen nicht besuchen könne, die Verwandten jedoch zu jeder Zeit Zugang hätten.

Demgegenüber stehen nicht nur die gegenteiligen Aussagen der Angehörigen und Roupas. Fast von Beginn an haben verschiedene Gruppen und Personen versucht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Die Vereinigung der Krankenhausärzte versuchte beispielsweise, von ihrem verbrieften Recht der Kontaktaufnahme mit den behandelnden Ärzten des Sechsjährigen Gebrauch zu machen. Ohne das Kind selbst zu besuchen, meinten sie, dass ein Gespräch mit dem medizinischen Personal ihnen Klarheit verschaffen würde, ob der Junge, wie von Roupa beklagt, als Geisel des Staatschutzes missbraucht würde. Das Begehren der Ärztevereinigung wurde ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Die Regierung betonte, es würde streng nach Gesetz verfahren, und dies würde eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.

Es entwickelte sich im öffentlichen Dialog ein offener Schlagabtausch zwischen Befürwortern des faktischen Kindesentzugs und den Kritikern, welche den Platz des Kindes bei einem Familienangehörigen sahen. Kostas Bakoyiannis der Regionalpräsident von Zentralgriechenland, ist Politiker der Nea Dimokratia. Sein Vater Pavlos Bakoyiannis fiel einem Anschlag des "17. November" zum Opfer. Wann immer es eine öffentliche Diskussion um Terrorismus gibt, treten Bakoyiannis ebenso wie seine Mutter, die frühere Außenministerin Dora Bakoyiannis, auf der Seite jener auf, welche keine Gnade walten lassen wollen. Im aktuellen Fall wandte sich Kostas Bakoyiannis öffentlich an die Regierung. Das Kind solle schnellstens zu seiner Familie, verlangte er.

Der frühere Weggefährt Tsipras, der Weltkriegsveteran Manolis Glezos, den Tsipras für seine Wahlsiege als Trumpf nutzte, warf seinen früheren Genossen vor, sie würden sich am türkischen Präsidenten Erdogan statt an demokratischen Werten orientieren. Glezos versuchte auch, ins Krankenhaus zu gelangen, wurde jedoch abgewiesen.

Ähnliche Bitten kamen von allen Oppositionsparteien, außer der Goldenen Morgenröte. Sie wurden jedoch gegenüber der Presse geäußert. Einzig Thanassis Pafilis, der Koalitionssprecher der Kommunistischen Partei, wählte den offiziellen Weg. Er rief Justizminister Stavros Kontonis an und bat diesen um Informationen. Gleichzeitig beantragte er, dass der Junge rasch in ein "sicheres, familiäres Umfeld" gebracht werde.

Schließlich gelangte der Junge am späten Sonntagnachmittag in die Obhut seiner Großmutter. Eine gleichzeitig beantragte vorläufige Vormundschaft der Schwester von Pola Roupa wurde abgelehnt.

Der öffentliche Disput der Griechen

Juristisch ist das Vorgehen der Justiz im Fall Roupa weitgehend mit Gesetzen abgesichert. Interessanterweise wurde eines davon in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts von der damals regierenden PASOK verabschiedet. Auch die PASOK ordnete sich seinerzeit, vor allem vor dem Wahlsieg 1981 als linke, sozialistische Partei ein. Manolis Glezos ging damals für die PASOK ins Rennen um die Parlamentsplätze.

Ebenso wie die PASOK-Anhänger vor ihnen verteidigen nun die SYRIZA-Anhänger in sozialen Netzwerken, in Kaffeehäusern und auf der Straße die Entscheidungen ihrer Regierung, selbst wenn diese vollkommen konträr zur früheren ideologischen Einstellung ist. Die Argumentationsweise der Fanatischsten sah gar eine Gefährdung für das Kind, wenn dieses bei den Angehörigen einer Terroristin bleiben würde. Einige Aussagen dabei erinnerten erschreckend an die Theorie der Sippenhaft.

Gleichzeitig fällt auf, dass Oppositionelle aus dem konservativen Lager nun plötzlich ihre Menschlichkeit entdeckt haben wollen. Es ist jedoch anzunehmen, dass sie bei einer eigenen Regierung eine ähnliche Entscheidung wie die von Justizminister Kontonis ohne Zögern mittragen würden.

Griechenland wäre nicht Griechenland, wenn sich in all den Streitereien nicht auch noch humorvolle Momente einfinden würden. In den sozialen Netzwerken wurde darüber gerätselt, ob die eine Million Euro, an welchen sich der Verräter Roupas erfreuen soll, in Absprache mit den Kreditgebern ausgezahlt werden, oder ob es erneut einen Einwand von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble gibt.