Die meisten Journalisten sollten unsicher sein und dies auch kommunizieren
Seite 2: Der Raum des Sagbaren schränkt sich ein
- Die meisten Journalisten sollten unsicher sein und dies auch kommunizieren
- Der Raum des Sagbaren schränkt sich ein
- Hate-Speech, Fake-News Kampagnen und Regulierungsversuche im Internet
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Ich habe das Gefühl, wenn jemand nicht die Perspektive der Regierung annimmt, dann ist er schnell ein Putin-Versteher oder dann gleich auch Verteidiger von Verschwörungstheorien. Was ist zu dieser Art von Dominanz von Meinung zu sagen, die sich selbst gar nicht weiter kritisiert?
Michael Meyen: Das beobachten wir in den letzten Jahren, dass sich der Raum des Sagbaren einschränkt. Verschwörungstheorie ist ein Begriff, mit dem versucht wird, Kritiker mundtot zu machen. Wir haben Fake-News, wir haben Hate-Speech, wir haben Propaganda.
Das sind letztlich Versuche der Mächtigen, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die neuen Kommunikationsräume, die sich im Internet gebildet haben, zu regulieren, in ihrem Sinne zu kontrollieren, denn Fake-News sagt uns, dass die News, also was die Tagesschau berichtet, das Wahre ist, und alles, was Telepolis z.B. macht, offenbar was anderes sein soll.
Man muss immer sehr genau beobachten, worauf diese Begriffe eigentlich zielen, ich denke, das kommt auch von solchen Think Tanks und Meinungsfabriken, die versuchen, die Kommunikationsordnung im Sinne der Mächtigen aufrecht zu erhalten.
Wir haben von amerikanischen Kollegen eine schöne Studie, die zeigt, wie der Raum des Sagbaren von der Sicherheit abhängt, in der sich das System gerade befindet, also von dem Wohlstand und von der Zufriedenheit der Bürger, und dass sich dieser Raum des Sagbaren einschränkt, wenn die Gesellschaftsordnung selbst auf dem Prüfstand steht.
Wenn wir jetzt z.B. beobachten, dass sich der Raum des Sagbaren einschränkt, etwa durch Kampagnen wie Verschwörungstheoretiker usw., dann sagt das etwas über den Zustand der Gesellschaft. Also offenkundig ist man sich nicht mehr so sicher, dass das so weiter geht.
Mir ist aufgefallen, dass mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt, was die Darstellung Russlands in der Tagesschau als hauptsächlichen Kritikpunkt hat: die Demokratisierung, der Fortschritt der Demokratisierung. Mir ist dazu eingefallen, dass Russland, etwa im Zusammenhang mit Giftgas in London und Syrien, dass da behauptet wird, es liege der russischen Regierung daran, Unsicherheiten zu streuen. Und auch unser System zu hinterfragen. Das ist doch aber eine normale Reaktion, wenn ich jemandem vorhalte: Ihr seid mit der Demokratie nicht so weit, dass dann entgegnet wird: Wie sieht denn eure Demokratie eigentlich aus?
Michael Meyen: Unsicherheit ist ein gutes Stichwort. Die meisten Journalisten sollten unsicher sein. Wenn man in Hamburg sitzt und die Tagesschau macht oder wenn man in Berlin bei der dpa sitzt und den Ticker macht, dann weiß man eigentlich nicht, was genau in Syrien vor Ort vorging und was da in Salisbury genau war, und meine Anforderung an guten Journalismus wäre, dass man und dass diese Unsicherheit kommuniziert wird. Dass man sagt, ok, wir haben Meldungen von XY, die haben womöglich diese und jene Interessen, schauen wir mal, was sich daraus entwickeln wird, wir können es eigentlich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht sagen. Und das passiert nicht.
Wenn man sich die Studie von der Daria Gordeeva anguckt, eigentlich würde man von der Tagesschau erwarten, dass sie diese W-Fragen beantwortet: Wer, was, wie usw. also nüchtern sachliche Nachrichten macht.
Tagesschau als moralische Instanz
Was man am Beispiel Russland sehen kann, ist, dass die Tagesschau moralische Instanz wird. Die Tagesschau beurteilt. Die liefert uns eine Erzählung mit einer ganz klaren Botschaft, wie wir das als Tagesschau-Nutzer zu sehen haben sollen. Aber eigentlich wollen wir als mündige Bürger die Information haben, und dann uns selbst ein Bild machen, vielleicht indem wir auch andere Quellen heranziehen, indem wir uns die andere Seite anhören.
Man kann von russischen staatlich finanzierten Medien halten, was man will, aber die liefern die Sicht aus Russland, die man auch wiederum anhören kann. Also würde ich mir wünschen, dass man als Bürger mehr ernst genommen wird, und uns nicht schon ein Urteil mit den Meldungen mitgeliefert wird.
Wird nicht wiederum von Journalisten eine Orientierung erwartet?
Michael Meyen: Ja, das hat was mit den veränderten Produktionsbedingungen von Journalismus zu tun. Journalismus hat schon immer um Exklusivität gespielt. Jeder Journalist wollte Dinge haben, die die anderen nicht haben. Normalerweise hat man früher Exklusivität über Recherche bekommen. Die Bild-Zeitung weiß immer als erstes, wer irgendwo der neue Trainer wird.
Das ist Exklusivität. Heute in dem Zeitalter, wo wir alle alles melden können, wird es schwieriger, Exklusivität über Fakten herzustellen. Das führt dazu, dass Exklusivität über Meinung produziert wird, denn das kann ich im Büro haben, eine deftige Wertung eines Trainerwechsels kriege ich auch hin, ohne irgendwo hinzufahren und einen Trainerwechsel zu recherchieren.
Das erklärt zum Teil die Veränderung, die wir im Journalismus haben.
Medienberichterstattung als zweite Realität
Könnte es auch sein, dass die Emotionalisierung, die bei Russland eine Rolle spielt, auch dadurch zustande kommt, dass sehr viel Fiktives gemacht wird, dass es sehr viele narrative Fäden gibt und gar nicht so sehr die (Pseudo-)Objektivität, die verlangt wird?
Michael Meyen: Frau Krone-Schmalz hat auch den Begriff "Narrativ" verwendet und den Kritikern geantwortet, dass das Hauptnarrativ permanent in allen Medien da wäre, und sie darin ihre Aufgabe sieht, ein Gegennarrativ zu liefern. Das fand ich eigentlich ganz gut. Ich betrachte Medienberichterstattung generell als eine zweite Realität.
Das heißt, man sollte nicht den Fehler machen, Journalismus als einen Spiegel irgendeiner Realität zu sehen, wie auch immer das verzerrt sein mag, weil Journalisten politische Absichten haben, weil sie auf bestimmte Weise finanziert werden, sondern wir bekommen da eine Konstruktion geliefert, die sich auf Personen beziehen, die zwar in der Realität vorkommen, aber sonst nicht viel damit zu tun haben.
Wer von den Journalisten kennt denn den Putin persönlich und kann uns dieses Persönlichkeitsbild, was wir da jeden Tag bekommen, aus eigener Anschauung schildern? Dazu müsste man ja Therapeut sein und 30-50 Sitzungen hinter sich haben, oder die Ehefrau, um das so genau machen zu können.
Ohnehin ist es erstaunlich, dass das böse Russland mit Putin identifiziert wird, oder das gute Russland mit der Opposition, ganz egal, woher die kommen, oder was die wollen. Das sind ja zwei Figuren...
Michael Meyen: Klar, es werden zwei Figuren gesucht, und Journalisten suchen verzweifelt nach jedem Anzeichen von Opposition.
Ich war vor einem Jahr mit einer Studentengruppe in Moskau, und da hieß es vorher in Medienberichten immer, dass gerade die Jugend, die gar nichts anderes kennt außer Putin, dass die gegen ihn aufbegehren. Und wir haben da mit jungen Leute gesprochen, und gefragt, ihr demonstriert doch gegen Putin? Aber das war bei keinem so.
Für die war das politische System wichtig, in dem sie klarkommen müssen und in dem sie Karriere machen wollen, die hatten gar nicht diese Idee, und konnten auch gar nicht das westliche Medienbild verstehen, was von Russland gemacht wird. Wobei, interessanterweise, bei dem Gegenbesuch von zehn Moskauer Studenten: die hatten Angst nach Deutschland zu kommen, weil ja hier die IS-Terroristen eingeschleust würden, die Krankheiten brächten, und russische Menschen generell mit Vorsicht betrachtet würden.
Die waren generell ganz froh, als wir mit ihnen in Clubs gehen konnten und Eis essen gehen konnten und alles ganz normal war. Das heißt, da passiert andersrum auch eine Konstruktion des Deutschland-Bildes, was die russischen jungen Menschen auch mit Vorsicht nach Deutschland reisen lässt.
Komplexe außenpolitische Probleme werden auf Streits zwischen zwei Männern zugespitzt
Könnte man der Sputnik oder der RT eine ähnlich simplifizierende Konstruktion vorwerfen?
Michael Meyen: Was heißt vorwerfen? Man muss verstehen, wie Medien funktionieren. Medien funktionieren über Simplifizierung, sie funktionieren darüber, dass wir Sachen personalisieren, dass wir Sachen zuspitzen. Komplexe außenpolitische Probleme werden auf Streitereien zwischen zwei mächtigen Männern zugespitzt.
Das ist ja eigentlich absurd, wenn es heißt: diese oder jene Persönlichkeit können miteinander und das verändert wieder Dinge etc.. Das kann ja so nicht sein, so funktioniert Außenpolitik nicht! So funktioniert aber das Mediennarrativ. Uns sollte klar sein, dass das Mediennarrativ so funktioniert und die Informationen, die wir da bekommen, auch als das nehmen.
Das wäre ein Anfang, wenn wir uns dadurch orientieren, was die jeweils Mächtigen gerade für wichtig halten, was die uns erzählen wollen. Und dann, wenn wir uns mit einem Thema beschäftigen wollen, dann müssen wir weiter reingehen, dann müssen wie ins Internet gehen oder mit Experten sprechen oder Sachbücher lesen. Da gibt es weit bessere Informationsquellen als die Nachrichten. Ich rate meinen Studenten: Guckt nicht die Tagesschau. Das ist Desinformation.
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