Die neue Fraktionsspitze der Linken ist ein Beitrag zu mehr bürgerlicher Normalität
Die Deutschnationalen aller Fraktionen werden sich daran gewöhnen müssen, dass Politiker in Deutschland nicht mehr nur Spahn, Scholz und Weidel heißen
Amira Mohamed Ali - den Namen hatte bisher kaum jemand gehört. Dabei ist die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei für das Ressort Verbraucherschutz in ihrer Fraktion zuständig. Das ist ja ein Politikfeld, das heute durchaus beliebt ist. Doch seit dem 12. November ist Amira Mohamed Ali in vielen Medien präsent.
Sie wurde schließlich von der Linksfraktion zur Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende gewählt. Künftig wird sie diese Aufgabe mit Dietmar Bartsch wahrnehmen. Der Realo Bartsch wurde mit schwächeren Ergebnis als bei der letzten Wahl im Amt bestätigt. Amira Mohamed Ali war erst recht spät als Kandidatin angetreten.
Eigentlich galt die mietenpolitische Sprecherin der Linken, Caren Lay, gesetzt. Ihre nun erfolgreiche Konkurrentin wurde lange unterschätzt. Dass das Mietenthema bundesweit an Bedeutung gewonnen hat, wurde eher als Plus für Lay eingeschätzt. Doch ein Duo Lay-Bartsch hätte bedeutet, dass zwei erklärte Realos die Fraktion leiten. Amira Mohamed Ali wird nachgesagt, zum linken Parteiflügel zu gehören. Sie hält sich da aber bedeckt.
Kandidatin des Wagenknecht-Flügels?
Auch die Zuschreibung, von den Anhängern Sahra Wagenknechts gefördert worden zu sein, lehnt die neue Fraktionsvorsitzende ab. Die Taz hatte behauptet, der Wagenknecht-Freund Dieter Dehm hätte ihre Kandidatur lanciert und handelte sich prompt eine Unterlassung ein, die allerdings juristisch keinen Bestand hat. Zudem ist es ja bekannt, dass Dehm kein Freund von Lay war.
Doch mit solchen Zuschreibungen wird versucht, die alten Grabenkämpfe fortzusetzen, die der Linken bei den Wählern sehr geschadet hat. Zudem ist die Parteilinke längst nicht mehr mehrheitlich auf der Seite Wagenknechts gewesen. Vor allem mit ihrer flüchtlingskritischen Position hat sie sich bei vielen Linken Sympathien verscherzt. Sowohl die Strömung Bewegungslinke, die in der Migrationsfrage auf Konfrontationskurs zu Wagenknecht gegangen ist, als auch die Antikapitalistische Linke sind daran interessiert, sich wieder über inhaltliche Fragen auseinanderzusetzen und nicht die medial gespeiste Wagenknecht-Kontroverse fortzusetzen.
Das mag auch der Grund gewesen sein, warum so allergisch auf die Vorhaltungen reagiert wurde, die neue Kandidatin gehöre zu den Wagenknecht-Unterstützern. Vielmehr hat das Wahlergebnis eben deutlich gemacht, dass die Fraktion nicht von zwei Realos geleitet werden will. Lay hatte in ihren Bewerbungsschreiben erklärt, sie wolle die Fraktion "aus der Mitte heraus führen". Gemeint hat sie allerdings sie wolle Mitte-Positionen einnehmen.
Jetzt wird die Fraktion von einem Realo und einer linkeren Sozialdemokratin geleitet. Auch der Ost-West-Proporz ist mit dem neuen Duo gewahrt. Lay und Bartsch kommen beide aus dem Osten und hätten den Verdacht nahegelegt, die Linke werde wieder mehr zur Ostpartei. Dabei hat sie dort bei den letzten Wahlen mit Ausnahme von Thüringen Stimmen verloren und dafür in den Großstädten der alten BRD Erfolge verbucht.
Diese Gemengelage wird von dem neuen Fraktionsduo besser repräsentiert. Dem Ostpolitiker Bartsch steht eine in der BRD sozialisierte Frau mit Migrationshintergrund zur Seite.
Ein Stück bürgerliche Normalität - nicht mehr
Das ist das positivste Signal der Fraktionswahl, die ansonsten außerhalb der jeweiligen Partei nicht besonders interessiert. Nun wird mit "Amira Mohamed Ali" das deutsche Reinheitsgebot der Politikernamen, das nicht nur die AfD gerne aufrechterhalten will, wieder etwas weiter verwässert. Auch die Deutschnationalen aller Fraktionen werden sich daran gewöhnen müssen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen deutsche Politiker Gauland, Brandner, Weidel, Merkel und Kahrs heißen.
Insofern ist die Wahl von Amira Mohamed Ali genauso wie von Belit Onay (Grüne) zum Oberbürgermeister der langjährigen SPD-Hochburg Hannover ein Zeichen dafür, dass sich hier Deutschland dem bürgerlichen Trend anpasst. In den USA müssen sich die Politikerinnen Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley allerdings auch den Angriffen der White-Colour-Fraktion aller Parteien erwehren.
Wenn nun auch in Deutschland bei den Politikernamen mehr bürgerliche Normalität einziehen sollte, könnte man sich wieder den politischen Inhalten zuwenden. Denn so wichtig es ist, die Frauen und Männer mit Migrationshintergrund gegen rechte Angriffe zu verteidigen, so notwendig ist es, ihre Politik konkret zu bewerten und nötigenfalls zu kritisieren. Denn auch sie können Sozialleistungen streichen, Law and Order Parolen verbreiten wie die Politiker mit Namen Merz, Spahn und Scholz.
Wirkliche bürgerliche Normalität wird erst dann erreicht, wenn die Herkunft der Politiker gar kein Thema mehr ist, sondern nur ihre Politik. In der Linksfraktion ist es nun besonders interessant, dass Amira Mohamed Ali nicht nur das Ressort der migrationskritisch eingestellten Sahra Wagenknecht übernimmt, sondern ihr sogar nachgesagt wird, sie stehe ihr politisch nahe. Jetzt muss sich zeigen, wie sie sich bei den Kontroversen in der Fraktion beispielsweise um die künftige Umwelt- und Klimapolitik positionieren wird.