Die neue Geopolitik
Seite 7: Und Israel? Israel hat bei dieser Entwicklung nur eines zu verlieren: Ein liebgewonnenes Feindbild. Für die israelische Rechte bedeutet dies, dass sie sich dem entweder thematisch anpassen und mit realen Problemen des Landes beschäftigen kann, oder sie wird absehbar ihre Mehrheiten verlieren. In beiden Fällen bedeutet es eine Rückbesinnung der Politik weg von imaginierten Bedrohungen und hin zu den tatsächlichen Herausforderungen, namentlich Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der gesellschaftlichen Integration und der Besatzung Palästinas. Nicht nur wäre das eine absolut positive Entwicklung für Israel selbst, auch die Beziehungen zu den Nachbarstaaten könnten davon profitieren. Verlierer wären hingegen jene Politiker und Parteien, die ihre gesamte Karriere auf der Angst vor der "iranischen Gefahr" aufgebaut haben .
- Die neue Geopolitik
- Für die Region bedeutet das einen Epochenbruch und eine weitgehende Öffnung der bisher starren Bündniskonstellation, und mittelfristig vermutlich eine Entspannung der regionalen Kriege und Konflikte, wenn auch ein tatsächlicher "Frieden" noch eine Weile auf sich warten lassen dürfte.
- Der Iran wird offiziell wieder Teil der "internationalen Gemeinschaft" mit sich normalisierenden Wirtschaftsbeziehungen in alle Welt, wobei angesichts der Geschichte nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass vorrangig US-amerikanische Unternehmen davon profitieren werden. Das politisch und kulturell ohnehin starke Land erhält dadurch einen enormen Schub und wird seinen regionalen Einfluss ausbauen sowie seine bisherige Bündnis-Orientierung nach Osten ein Stück weit relativieren. Spannend wird dabei zu sehen, ob dennoch eine Vollmitgliedschaft in der SCO (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) angestrebt wird, oder ob das Land als klassische Mittelmacht um gute, gleichwertige Beziehungen in alle Richtungen bemüht sein wird, um die eigenen Optionen und damit auch die eigene Macht zu maximieren.
- Saudi-Arabien bemüht sich derweil ebenfalls um eine Diversifizierung seiner Bündnisse, insbesondere durch Waffen-, Atom und Investitionsgeschäfte mit Russland. Aus den genannten Gründen und mangels kultureller und politischer Anziehungskraft ist es aber sehr zweifelhaft, ob es seine Stellung in der Region wird behaupten können. Vielmehr muss Riad vermutlich froh sein, wenn es sich halbwegs ehrenhaft aus den Kriegen der Region zurückziehen und auf die Stabilisierung und Modernisierung des eigenen Landes konzentrieren kann. Ein weitgehender Zusammenbruch ist jedoch ebenfalls nicht ganz auszuschließen, was in einer derart waffenstarrenden Region eine ziemlich düstere Aussicht sein sollte. Dies zu vermeiden könnte somit die nächste große Aufgabe der internationalen Mittelost-Diplomatie werden.
- Interessant wird sein, wie sich die Türkei nun positioniert: Einerseits wäre der Iran ein guter Verbündeter Ankaras nicht zuletzt aufgrund seines Gasreichtums, und dass beide gute Beziehungen zu Russland unterhalten könnte eine Kooperation erleichtern. Andererseits vertreten sie im Syrien-Krieg gegensätzliche Positionen und kooperieren mit konkurrierenden kurdischen Gruppierungen, und auch an einer dann drohenden iranischen Vormacht in der Region hat Ankara sicherlich kein Interesse. Wenn Saudi-Arabien als regionale Macht bestehen bleibt, wäre das wahrscheinlichste Ergebnis wohl ein regionales "Triopol" der drei Staaten, die auch drei unterschiedliche Spielarten des politischen Islam repräsentieren. Die Türkei könnte sich dabei ihren Kooperationspartner je nach Situation auswählen und damit die Balance zu ihren Gunsten beeinflussen.
- Die USA würden wohl tendenziell weiterhin auf Seiten Saudi-Arabiens stehen, wobei die neugewonnene Pluralität der regionalen Bündnisoptionen ihren Einfluss schmälern dürfte. Zumindest müssten sie jedoch (vereinbarungsgemäß) einen Zerfall des Landes verhindern, wenn sie dieses weiterhin als Garant für den Wert des Petrodollars ansehen - was nicht sicher ist, da das Monopol des Dollars im Öl- und Gasgeschäft ohnehin nur noch bedingt existiert. Es könnte somit sogar sein, dass Washington tatsächlich ein neutraleres Interesse an Stabilität im Mittleren Osten entwickeln muss, um dessen Rolle als globale "Tankstelle" nicht zu gefährden und selbst als globale Ordnungsmacht Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
- Und Israel? Israel hat bei dieser Entwicklung nur eines zu verlieren: Ein liebgewonnenes Feindbild. Für die israelische Rechte bedeutet dies, dass sie sich dem entweder thematisch anpassen und mit realen Problemen des Landes beschäftigen kann, oder sie wird absehbar ihre Mehrheiten verlieren. In beiden Fällen bedeutet es eine Rückbesinnung der Politik weg von imaginierten Bedrohungen und hin zu den tatsächlichen Herausforderungen, namentlich Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der gesellschaftlichen Integration und der Besatzung Palästinas. Nicht nur wäre das eine absolut positive Entwicklung für Israel selbst, auch die Beziehungen zu den Nachbarstaaten könnten davon profitieren. Verlierer wären hingegen jene Politiker und Parteien, die ihre gesamte Karriere auf der Angst vor der "iranischen Gefahr" aufgebaut haben .
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Auf der Schwelle zu einer multipolaren Ordnung