Die neue Macht der Herren Lakaien

Die USA entdecken wieder die UNO

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Ein klitzekleiner Krieg, nicht der Rede wert. Ein Krieg im Urlaubsformat. Nur ein Feind, der bis an die Zähne mit Massenvernichtungswaffen gerüstet ist. Doch schon hat sich Bush II. an diesem Krieg, der keiner war, und diesem Frieden, der keiner ist und keiner werden will, verhoben. Das größte Haushaltsloch seit Präsidenten Gedenken, täglich getötete US-Soldaten im Irak, schwindende Popularitätskurven des Kriegspräsidenten. Schon winkt von ferne das Vietnamkriegs-Syndrom. Bush muss aus diesem unvorhergesehenen Krieg nach dem Krieg heraus. Schleunigst! Alles andere kostet ihn die zweite Amtszeit, wenn er sie nicht bereits mit den immer größeren Scherbenhaufen in und um Bagdad herum verspielt haben sollte.

Amerikaner sind so lange Patrioten, so lange Kriege überschaubar sind und der Blick auf die Wirtschaft und das eigene Portefeuille abgelenkt ist. Bushs Vater wurde nach seinem Sieg vom Wähler schnöde fallen gelassen: It's the economy, stupid. Doch das beliebte Kriegsspiel der Amerikaner, erst zu siegen und dann die so aufwändigen wie gefährlichen Geröll- und Aufbaukommandos befreundeten Hilfstruppen zu überlassen, könnte diesmal mehr Schwierigkeiten als erwartet aufwerfen.

In so schwierigen Situationen vergisst man seine Prinzipien schon mal, wenn man denn jenseits des einsilbigen Prinzips der Macht je welche gehabt hat. Jene UNO, die man als müßigen Debattierzirkel diskreditierte, deren Autorität man heuchelnd gegen den größeren Teil des Sicherheitsrats angeblich schützen wollte und die zum Kriegsgrundbeschaffer wider Willen instrumentiert wurde (Der Wille zum Krieg triumphiert über das Recht), wird nun wieder für Bush und die Seinen - diesmal allerdings als spezifische Hilfsorganisation für die USA - attraktiv (Suche nach Hilfe). Es geht nicht mehr nur um humanitäre Maßnahmen, sondern um die Mandatierung einer internationalen Schutztruppe zur Stabilisierung der inneren Situation des Iraks, weil die eigenen Kräfte erlahmen.

Die UNO wird zur einzigen Chance der Alliierten auf Verantwortungsverteilung

Es ist ein wahres Kreuz mit der Macht, als mächtigste Macht der Erde so machtlos zu sein, wenn zwar das Öl fließt, aber die Kohle ausgeht und die "Bodybags" zu den Hassgrüßen des befreiten Irak werden. Nun haben sich Bush und Blair die Sympathie der leidlich uno-fizierten Weltgesellschaft durch ihre Selbstermächtigung zum Krieg gegen den Irak zu großen Teilen verscherzt. Andererseits will sich auch niemand die USA zum offenen Feind machen. Ob man nun das Interesse der Bush-Regierung an einer neuen Sicherheitsrats-Resolution als texanischen Canossa-Gang oder als bittere "Realitätstherapie" der UNO definiert, verschlägt wenig. Entscheidend ist, dass das Interesse der USA, nun den Irak im Schulterschluss mit tatkräftigen Nationen nebst NATO zu stabilisieren, die zerstrittene Weltgemeinschaft wieder vor die Frage stellt, welche Rolle die UNO im globalen Katastrophenmanagement spielt.

Und gleich hinter dieser Frage bewegen sich die diplomatischen Schach- und Winkelzüge, um der vorgeblich unbegrenzten Macht ihre Grenzen aufzuzeigen und andererseits die amerikanischen Gesichtsverluste nicht noch größer werden zu lassen. Denn Bushs selbstgefällige Potentatenrolle ist mit Bittgängen zur UNO schlecht zu vereinbaren, indes der US-Senat den Präsidenten bereits vor falschem Stolz gewarnt hat.

Kommt es nun zu der vom russischen Außenminister Igor Iwanow, vom französischen Außenminister Dominique de Villepin und auch von Deutschland geforderten neuen UNO-Resolution? Selbst Schäuble hat schon deutlich gemacht, dass ohne UN-Mandat die Beteiligung der Bundeswehr an einer internationalen Schutztruppe nicht in Betracht kommt. Ohne UNO-Resolution wollen jedenfalls mehrere von den USA angesprochene Nationen keine Truppen in das Krisengebiet mit Mehrfachbrennstufen schicken. Unter anderem hatte Indien bereits eine Absage erteilt, ein 17.000 Mann starkes Kontingent ohne UNO-Lizenz diesem Chaos zu überantworten.

Reiben sich jetzt die vor dem Krieg überfahrenen UNO-Sicherheitsratsmitglieder die Hände? Der Versuch der USA, die Rolle der UNO auf eine humanitäre, aber für die politische Neuordnung des Landes bedeutungslose Funktion zu bescheiden, scheint jedenfalls weitgehend gescheitert zu sein. Die Ironie der Geschichte: Die UNO wird nun zur einzigen Chance der Alliierten, sich der Verantwortung zu entwinden, die der Besatzer, um nicht vom Zerstörer zu sprechen, nach allgemeinsten Gerechtigkeitsregeln zu tragen hätte.

Der Preis für das, was der Bundeswehrverband ein "robustes UNO-Mandat" nennt und Regierungssprecher Béla Anda zudem an die Bitte einer legitimen irakischen Übergangsregierung knüpfen will, ist für den unilateralen Alleingänger Bush hoch. Die Nationen, die nun helfen sollen, den Kriegskarren aus dem blutigen Morast zu ziehen, haben bereits mitgeteilt, dass die Hauptverantwortung weiter bei den USA und den Briten liegen soll.

Bekenntnis auf Widerruf

Nun sollte man das Elend eines Landes nicht zur Disposition von politischen Streitigkeiten über die Rolle der UNO stellen. Doch ohne eine wirtschaftliche Beteiligung an den militärisch erschlossenen neuen Handelschancen wird es wohl auch keine Zusagen geben, sich in die unabsehbaren Händel hineinzubegeben. US-Oberbefehlshaber Tommy Franks schloss nicht aus, dass es vier Jahre dauern könnte, bis die US-Truppen das Land verlassen. Und diese Zeitangabe dürfte so vage sein, dass die USA - mit und ohne UNO und internationaler Schutztruppe - nun wieder mit einer Dauerhypothek zu leben haben, die die Freude über das sprudelnde Öl mächtig schmälern könnte. Gegenwärtig werden täglich zehn bis fünfundzwanzig Angriffe auf GIs gemeldet und kein Ende ist in Sicht.

In der alten Dialektik von Herr und Knecht haben sich also die Verhältnisse gedreht. Es schlägt die Stunde der Herren Lakaien. Generalsekretär Kofi Annan drängt auf die politische Selbstverwaltung des Landes, die vielleicht mit dem neu konstituierten, tendenziell repräsentativen irakischen Regierungsrat gelingen könnte. Die UNO wird nur zu gewinnen sein, wenn sie selbst wesentlich die Konditionen der Blauhelm-Einsätze bestimmt und die endgültige Regierungsübernahme durch eine demokratisch gewählte Regierung selbst forcieren kann. Der wenig kaschierten Kolonialherrschaft der USA dürfte keine allzu große Zukunft beschieden sein, wenn UNO und Sicherheitsratsmitglieder jetzt konsequent bleiben.

Die gegenwärtige UNO-Konfession der USA ist allerdings ein halbherziges Bekenntnis auf Widerruf. Schon regt sich wieder in Washington die Hoffnung, dass der Tod von Saddam Husseins Söhnen nun den Widerstand im Irak beenden könnte. Doch diese Hoffnung dürfte schon deshalb unbegründet sein, weil die Probleme des Landes, die kulturellen, ethnischen und religiösen Differenzen älter als Saddam & Co. sind, die sie lediglich unter ihrer Machtglocke unterdrückt hatten.

Noch immer scheint es, als habe die Bush-Regierung längst nicht das ganze Ausmaß des Schreckens erkannt. Mit propagandistischen Erfolgsmeldungen über die Tyrannenentsorgung hangelt man sich einige Tage weiter. Hier geht es jedoch um strukturell drängende, vielleicht gar unlösbare Probleme, die beim Fortgang politischer Tändeleien vor allem eines garantieren: Verlierer auf beiden Seiten der Front.