Die neue große Transformation

Guy Standing über das erwachende Handlungsbewusstsein des Prekariats, bedingungsloses Grundeinkommen und das Versagen etablierter politischer Konzepte

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Guy Standing ist Wirtschaftsprofessor an der School of Oriental and African Studies, University of London, sowie Mitbegründer und Ehrenpräsident des Basic Income Earth Network. Die Gelegenheit zum Gespräch mit ihm ergab sich bei der Challengers Conference zum Thema "Times of Change - How Innovations and Technology Influence the Future of Work" in Barcelona, zu der die Autofirma Mazda eingeladen hatte.

Herr Standing, Sie beschäftigen sich seit den 1980er-Jahren mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Hätten Sie sich damals vorstellen können, eines Tages von einem Automobilkonzern eingeladen zu werden, um Ihre Ideen öffentlich zu diskutieren?

Guy Standing: Damals, als wir im Jahr 1986 das Basic Income European Network (BIEN) einrichteten, sicherlich nicht. Aber mehr und mehr Firmen des Mainstreams wie Mazda erkennen, dass die gegenwärtige Verteilung des Einkommens unhaltbar geworden ist. Das System bricht zusammen. Die Ungleichheit ist zu groß geworden, ebenso die Unsicherheit für mehr und mehr Menschen im Prekariat. Einige der klügeren Firmen beginnen, sich zu fragen, was getan werden kann. Daher bin ich heute nicht mehr sonderlich überrascht.

Haben Sie Ihre analytischen Werkzeuge anpassen müssen, um zu verstehen, was mit unserer Gesellschaft passiert? Ich nehme an, dass Sie aus einer marxistischen Tradition kommen.

Guy Standing: Der Marxismus hat keine so große Rolle gespielt. In den 1970er- und frühen 1980er-Jahren waren auch die Ideen von John Maynard Keynes und der Sozialdemokratie noch sehr wirksam. Wir kamen von einer linken Position, aber ich war von Anfang an überzeugt, dass wir am Beginn einer globalen Transformation standen, ähnlich der, die sich vom 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vollzogen hatte.

Karl Polanyi hat das 1944 in dem Titel seines berühmten Buches als "Great Transformation" bezeichnet. Diese große Transformation bestand in der Erschaffung nationaler Marktsysteme. Um die Wende zum 20. Jahrhundert resultierte daraus ein dominierender Einfluss des Finanzkapitals und der Banken. In dieser Zeit nahmen Ungleichheit und Unsicherheit zu, bis eine sozial und ökonomisch explosive Situation entstand. In einigen Ländern brachte das faschistische Regierungen an die Macht, in anderen beförderte es einen extremen Staatsautoritarismus. Das war eine unhaltbare Dystopie. Es entstand, was Karl Polanyi als "doppelte Bewegung" bezeichnet hat: Der Staat bettete das Wirtschaftssystem neu in die Gesellschaft ein, mit neuen Regeln, neuen Formen der Verteilung und des sozialen Schutzes.

So entstand der Wohlfahrtsstaat.

Guy Standing: Genau. Dieses System brach in den 1980er-Jahren zusammen. Zugleich begann die Entstehung einer globalen Marktgesellschaft, vorangetrieben durch die neue rechte Wirtschaftslehre des Neoliberalismus. Durch die Öffnung der nationalen Märkte vervierfachte sich das Angebot an Arbeitskräften sehr schnell, historisch gesehen praktisch über Nacht: Die Zahl der Menschen, die dem globalen Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, nahm schlagartig um zwei Milliarden zu. Länder wie China oder Indien, sie alle gehörten auf einmal dazu. Das bewirkte einen extremen Druck auf die Löhne in Europa und stärkte die Verhandlungsmacht des Kapitals gegenüber den Arbeitern gewaltig.

Seit den 1980er-Jahren sehen wir daher wieder eine Zunahme der Ungleichheit: Der Anteil des Volkseinkommens, der an die Kapitalseite geht, nimmt dramatisch zu, während die Arbeitslöhne stagnieren oder sinken, in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern, seit mittlerweile 30 Jahren. Diese Veränderung der Rahmenbedingungen hat zur Folge, dass wir über neue Wege nachdenken müssen, mit diesen Ungleichheiten umzugehen. Bislang haben die alten gemäßigt-linken Parteien der Sozialdemokratie keine brauchbaren Antworten gefunden. Das ist der gegenwärtige Stand.

In Ihrem Buch "Prekariat - Die neue explosive Klasse" schreiben Sie, das Programm des Neoliberalismus sei "ideologisch motiviert". Was verstehen Sie darunter?

Guy Standing: Die neoliberale Wirtschaftslehre wurde von der "Chicago School" entwickelt, deren Vertreter im politischen Spektrum durchweg rechts angesiedelt waren. Zu ihren führenden Persönlichkeiten zählen Leute wie Friedrich Hayek und Milton Friedman. Die Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg um sie herum formierte, wurde lange Zeit als Abtrünnige betrachtet.

Doch das änderte sich ziemlich plötzlich, als sich Ronald Reagan, Margaret Thatcher und andere führende Politiker des rechten Flügels auf sie stützten. Von den 36 Personen, die nach dem Krieg den engeren Kreis bildeten, erhielten acht den Wirtschaftsnobelpreis. Nichts zeigte deutlicher, dass sie zu den dominierenden Denkern geworden waren. Und alle hatten sich einer ideologischen Version der Wirtschaft verschrieben, zu der total freie Märkte, Individualisierung, umfassende Privatisierung und die Kommerzialisierung von möglichst allem zählen. Mit anderen Worten: Alles sollte Marktmechanismen unterworfen werden.

Ein sehr wichtiger Teil ihrer Strategie bestand darin, dass die Regierungen alle Formen gesellschaftlicher Solidarität auflösen sollten - weil sie dem Markt im Wege standen. Das ist insofern ideologisch, als es eine sehr spezielle, individualistische Interpretation von Freiheit beinhaltet und sich nicht mit der großen republikanischen Tradition vereinbaren lässt, wonach öffentliche Institutionen und Vereinigungen die Marktkräfte kontrollieren und dadurch für Sicherheit und Gemeinschaftlichkeit sorgen sollen.

In den Wirtschaftswissenschaften wird häufig eine theoretische Monokultur beklagt. Heißt das, dass gar keine Alternativen zum Neoliberalismus mehr gelehrt werden?

Guy Standing: Kulturelle Aspekte wurden komplett aus den Theorien entfernt. Kulturen unterscheiden sich. Aber die Vertreter des Neoliberalismus fordern, dass alles auf Ökonomie reduziert wird und zwar auf individuelle Ökonomie im Marktsystem. Alles, was die Funktionsweise des Marktes behindert, muss entfernt werden. Insofern steht die theoretische Monokultur hinter diesem Modell. Unglücklicherweise besteht eine Konsequenz der globalen Transformation, dass sie eine neue Zersplitterung gesellschaftlicher Klassen mit sich bringt. Wir haben die Klassenteilung nicht überwunden. Sie bestimmt immer noch die Struktur unserer Gesellschaften. Aber für die Neoliberalen gibt es so etwas wie Klasse natürlich nicht, sondern nur Individuen. Tatsächlich existieren jedoch soziale Gruppen als Klassen. Das mögen Sie als marxistische Sichtweise ansehen oder auch als eine, die auf Max Weber zurückgeht. Sei's drum. Wir sehen jedenfalls, dass auf der ganzen Welt eine neue Klassenstruktur Gestalt annimmt, in der das Prekariat die größte Gruppe darstellt.

Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es Millionen Europäer, die ihre Bürgerrechte verlieren

Das Prekariat beschreiben Sie in Ihrem Buch sehr ausführlich und detailliert. Können Sie die wesentlichen Erkenntnisse in wenigen Sätzen zusammenfassen?

Guy Standing: Jede Klasse kann durch ihr spezifisches Verhältnis zur Produktion, zur Verteilung und zum Staat definiert werden. Bezogen auf das Prekariat bedeutet das zunächst einmal, dass es an ein unsicheres Leben ohne stabile Arbeit gewöhnt wurde. Anders als beim alten Proletariat gibt es keine Aussicht auf sichere, dauerhafte Beschäftigung. Das ist der erste Punkt, aber nicht der wichtigste, auch wenn viele Kritiker und Analytiker des Prekariats sich darauf konzentrieren.

Für wichtiger halte ich, dass die Angehörigen des Prekariats keine berufliche Identität haben. An einem Tag sind sie vielleicht Journalisten, am nächsten bedienen sie in einer Bar. Sie wissen nie, wohin sie gehen. Menschen im Prekariat müssen außerdem viel Arbeit ausüben, für die es keine Anerkennung gibt. Sie müssen sich fortbilden, Kontakte pflegen, reisen, unbezahlte Überstunden leisten - lauter notwendige Leistungen, die in den Statistiken nicht erfasst werden. Das setzt sie unter Druck und nimmt ihnen die Kontrolle über ihre Lebenszeit. Das ist ein sehr starkes Merkmal des Prekariats.

Es ist zudem die erste Klasse in der Geschichte, deren Ausbildungsniveau höher ist als für die Arbeit erforderlich, die sie erwarten können. Das sorgt für Stress und große Enttäuschungen. Angehörige des Prekariats sind außerdem fast vollständig auf Honorare in Geldform angewiesen.

Was ist daran so schlimm?

Guy Standing: Sie beziehen keinerlei andere Vergütungen wie Pensionen, bezahlte Urlaube, bezahlte Arbeitsunfähigkeit oder Erziehungszeiten. Keine dieser Absicherungen gilt für sie. Stattdessen sind sie von fallenden und wechselhaften Entgelten abhängig und haben keinerlei gesichertes Einkommen. Sie leben ständig am Rande des Abgrunds, immer besorgt, dass ein Fehler, eine falsche Entscheidung, eine plötzliche Krankheit sie in die Obdachlosigkeit stürzen kann. Diese Sorgen sind ihr ständiger Begleiter.

Gleichzeitig werden die Menschen im Prekariat in Armutsfallen gesteckt: Wenn sie Unterstützungen beziehen, etwa Arbeitslosengeld, wissen sie, dass sie bei der Annahme schlecht bezahlter Beschäftigungen viel verlieren, nämlich die Unterstützungszahlungen, und nur wenig gewinnen können. Der Effekt entspricht einer Besteuerung ihres Einkommens von bis zu 80 Prozent, weit mehr als Angehörige der Mittelklasse zahlen müssen. Diese Armutsfallen sind eine wichtige neue Entwicklung.

Mit anderen Worten: Die sozialen Sicherungssysteme dienen der Verwaltung des Elends, nicht seiner Beseitigung.

Guy Standing: Schließlich ist noch das Verhältnis zum Staat von Bedeutung. Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es Millionen Europäer, die ihre Bürgerrechte verlieren. Das betrifft nicht nur Migranten, sondern viele andere Gruppen, die erfahren müssen, dass sie keine Möglichkeiten haben, sich gegen die Bürokratie zu wehren. Wenn ihnen Zahlungen verwehrt werden, haben sie nicht die Macht, die Entscheidungen in Frage zu stellen. Auch kulturelle Rechte gehen ihnen verloren, wenn sie nicht mehr identitätsstiftenden Gemeinschaften angehören können. Das betrifft insbesondere die beruflichen Verbindungen.

Früher war ein Tischler, ein Buchhalter, ein Volkswirt oder ein Journalist Mitglied einer Berufsgenossenschaft, häufig ein ganzes Leben lang. Diese Form kultureller Institutionen steht Angehörigen des Prekariats nicht zur Verfügung. Sie verlieren kulturelle Rechte, Bürgerrechte, soziale Rechte, haben keine Ansprüche auf Unterstützungen, sondern müssen unter Beweis stellen, dass sie arm sind, nicht faul und noch vieles mehr. Sie verlieren auch politische Rechte, weil sie im politischen Spektrum keine Repräsentanten ihrer Interessen finden. Und zuletzt verlieren sie ökonomische Rechte, weil sie keine Möglichkeiten finden, ihre Qualifikationen umzusetzen, zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Ich erkenne in Ihrer Beschreibung viel von meinem eigenen Leben. Gleichwohl erlebe ich "Prekariat" als einen Begriff, der bislang noch eher unscharf verwendet wird. Hängt das damit zusammen, dass es sich um eine Klasse handelt, die sich gerade erst formt?

Guy Standing: Ja, das ist interessant. In dem Buch, das Sie erwähnt haben, beschreibe ich das Prekariat als eine gerade entstehende Klasse. Seit 2011, als das Buch auf Englisch erschien, ist die Entwicklung jedoch vorangeschritten. Inzwischen ist das Prekariat als Klasse für sich viel deutlicher zu erkennen. Der Unterschied besteht darin, dass eine entstehende Klasse zwar all die Veränderungen erkennt, sich selbst aber machtlos fühlt, darauf Einfluss zu nehmen. Es herrscht ein Gefühl der Niederlage und der Unterlegenheit. Viele bedauern sich selbst und wissen nicht, was sie tun sollen. Aber die Demonstrationen, Bewegungen und sozialen Medien sind in den letzten vier Jahren über diese Stufe hinausgegangen. Viel mehr Menschen empfinden sich heute dem Prekariat zugehörig und wissen, dass es Millionen andere gibt, denen es geht wie ihnen. Unmittelbar mit dieser Erkenntnis verknüpft ist das, was die Soziologen Handlungsbewusstsein (sense of agency) nennen: Das Gefühl, dass wir etwas unternehmen sollten.

Es sind nicht die einzelnen Personen, die versagt haben, sondern gesellschaftliche Strukturen, die diese Situation herbeigeführt haben. Es ist nicht mein Problem, sondern ein Problem des Systems. Daher kommt es jetzt, praktisch während wir reden, zu neuen politischen Aktivitäten, getragen insbesondere von den gut ausgebildeten Teilen des Prekariats. Sie suchen nach Antworten und einer politischen Richtung, mobilisieren Menschen, um neue Parteien, Vereinigungen und Bewegungen zu gründen, den Austausch von Ideen zu organisieren. Das ist politisch sehr spannend.

In den kommenden fünf Jahren wird ein Drittel aller Arbeitstransaktionen online ablaufen

Aber es engagieren sich eben bislang nur Teile des Prekariats, das keineswegs homogen ist.

Guy Standing: Natürlich sehen wir gleichzeitig, dass das Prekariat aus drei Fraktionen besteht. In meinem neuen Buch "A Precariat Charter - From Denizens to Citizens" gehe ich näher darauf ein: Die erste Gruppe formt sich aus denjenigen, die aus den alten Gemeinschaften der Arbeiterklasse herausgefallen sind. Deren Väter haben im Hafen, im Stahlwerk oder in der Autofabrik gearbeitet und hatten ein proletarisches Bewusstsein und eine stabile Identität.

Die Kinder schauen jetzt zurück und müssen erkennen, dass sie das nicht mehr haben. Sie sind in der Regel nicht sehr gebildet und daher häufig offen für Ideen von Neofaschisten und Populisten der extremen Rechten, in denen Migranten, Muslime, Frauen oder wer auch immer für die erfahrenen Unsicherheiten verantwortlich gemacht werden. Wir erleben diese Dämonisierung einzelner Gruppen bereits und wissen aus der Geschichte, wohin das führen kann. Es ist beängstigend. Ich glaube, dass die Mehrheit der Europäer zu erfahren und gebildet ist, um sich sehr weit in diese Richtung zu bewegen. Doch die Gefahr besteht.

Die zweite Gruppe im Prekariat sind die Migranten, Behinderten und verschiedene andere Minderheiten. Sie fühlen sich nirgendwo zu Hause und sicher. Aber sie neigen nicht zu rechten Lösungen, sondern verhalten sich passiv und warten auf eine neue Politik. Die dritte Gruppe ist am interessantesten: die Gebildeten. Sie sind der fortschrittliche Teil, überwiegend junge Leute.

Viele Emails, die ich aus der ganzen Welt bekomme, zeigen aber, dass auch viele Angehörige des Salariats sich dazurechnen, also Menschen, die selbst in festen Beschäftigungsverhältnissen gut abgesichert sind, sich aber um ihre Söhne und Töchter sorgen, denen eine prekäre Zukunft bevorsteht. Sie sehen, dass sich die Politik in eine falsche Richtung bewegt und können sich mit dieser dritten Gruppe des Prekariats identifizieren. Ich werde von dieser Gruppe häufig zu Vorträgen eingeladen und stelle fest, dass sie auf eine fortschrittliche Politik warten, auf eine Wiederbelebung der Aufklärung, ein Gefühl, dass die Zukunft besser werden könnte. In meinem neuen Buch versuche ich, das zu vermitteln.

Welche Rolle spielt Technologie in diesem Prozess? Insbesondere Automatisierung, Robotik und künstliche Intelligenz scheinen in jüngster Zeit ein Entwicklungsniveau erreicht zu haben, dass sie zu einer starken, die Gesellschaft verändernden Kraft macht.

Guy Standing: Die Idee, dass Automatisierung Arbeit überflüssig machen würde, ist unsinnig. Aber sie wird die Arbeit verändern und hat zweifellos enorme Zerstörungskräfte. Bei der Zunahme der Einkommensungleichheit spielt sie eine zentrale Rolle, weil sie großen Firmen und Finanzinstitutionen Möglichkeiten erschließt, sich noch mehr Geld anzueignen.

Mich interessiert vor allem, wie neue Technologien den Arbeitsmarkt beeinflussen. Da sehen wir gerade an Firmen wie Uber und anderen Konzepten des Teilens (share economy), wie Arbeiter (workers) in etwas verwandelt werden, was ich auf Englisch "taskers" nenne. Sie übernehmen Aufgaben (tasks), die ihnen online durch Apps übermittelt werden. Sie stellen etwa ihr Fahrzeug zur Verfügung, ihre Wohnung oder Ausrüstung. Dabei sind sie weder angestellt noch selbstständig. Diese alten Konzepte sind überholt.

Ich erwarte, dass in den kommenden fünf Jahren ein Drittel aller Arbeitstransaktionen online ablaufen wird. Das wird die Natur der Arbeit radikal verändern. Wir haben bereits ein globales System, das es großen Firmen erlaubt, Aufträge weltweit übers Internet auszuschreiben und die günstigsten Angebote auszuwählen. Das heißt, Menschen in Hamburg, Manchester, Boston, Goa, Manila und beliebigen anderen Orten bieten gegeneinander und drücken den Preis massiv nach unten. Das verändert den Arbeitsmarkt grundlegend. Mehr und mehr Menschen werden in dieses System hineingezogen werden, während die großen Gewinne an diejenigen gehen, die die Technologie kontrollieren.

Die Technologie ist ein mächtiger Hebel, der aber auch in die andere Richtung wirken könnte, hin zu mehr Gleichheit.

Guy Standing: Das Potenzial ist groß. Aber wir befinden uns in einer politischen Verteilungskrise. Wenn wir nicht die Ungleichheiten angehen, wird sich die Situation weiter verschlechtern. Daher glaube ich an ein bedingungsloses Grundeinkommen als Teil der Lösung. Ein Grundeinkommen erlaubt es, Unsicherheiten im Arbeitsmarkt zu akzeptieren, weil es außerhalb des Arbeitsmarktes Sicherheit gewährleistet. Die Bedingungen haben sich geändert, teils durch Technologie, teils durch die Ideen des Neoliberalismus, die dieses globale System hervorgebracht haben. Daher spreche ich von einer Transformation, denn die krisenhafte Entwicklung hat sich so weit zugespitzt, dass wir eine Lösung brauchen, die zu einer besseren Gesellschaftsform führt. Das erfordert politischen Mut, Vorstellungskraft und eine Überwindung veralteter Denkweisen, bei Christdemokraten ebenso wie bei Sozialdemokraten oder Kommunisten. Sie sind alle auf dem falschen Weg.

Eine gewaltige Herausforderung.

Guy Standing: Natürlich. Ich denke, sie wird nur durch eine jüngere Generation zu bewältigen sein, die die Debatte über das Prekariat versteht und sich politisch engagiert. Ich nehme von dort starkes Interesse wahr.

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