Die tägliche Dosis Menschenunwürde

Gewalttätig und flach - die kulturelle Umwelt verändert sich weiter

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Spielfilme haben einmal wie Theater und Literatur kognitive und emotionale Geschichten erzählt, die den subjektiven Blick erweiterten. Damit ist es vorbei - mit der selbstverständlichen Weiterverwertung im Fernsehen wird auch das Kino banaler und brutaler, scheint es.

Die Lebensumstände, insbesondere die am Arbeitsplatz, und die Medien sind zwei wesentliche Motoren für gesellschaftlichen Wandel. Unterfüttert wird dies von technischen Entwicklungen, die den Alltag langsam, aber längerfristig heftig verändern. Alle drei schaffen einen Wechsel, der die Menschen weitgehend unbemerkt, aber nachhaltig und ziemlich irreversibel, umbaut. Sich eine Welt ohne Auto, Fernsehen oder Mobiltelefon länger als für ein paar Sekunden vorzustellen, das gelingt kaum noch jemanden.

Medien verändern

Natürlich verändern Medien das Denken und Empfinden der Menschen. Die Zeitungen hatten ihren Anteil am (aus heutiger Sicht) irrsinnigen Jubel der Mehrheit beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ebenso wie Funk, Film und Fernsehen die kulturelle Hegemonie Nordamerikas in den 1950er und 1960er Jahren in Europa ausbauen halfen. Oder in den 1980er und 1990er Jahren durch Naivität, Anpassung und Verzicht auf eigenes kritisches Denken dem Neoliberalismus ein hübsches Fundament anfertigten.

Werbung - früher hieß das Reklame und Propaganda - funktioniert durch Wiederholen emotionaler Botschaften bei vielen Menschen recht verläßlich. Das weiß die politische Elite seit Jahrtausenden und die Psychologie nun auch schon seit Jahrzehnten, Stichwort: Lernkurve. Man kann den Menschen dabei sogar Präferenzen für nichtexistente Dinge einreden, das zeigt das HOBA-Experiment recht hübsch.

Natürlich, die Sprache gestaltet ziemlich unbemerkt unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit sowie in der Folge diese selbst. Das geht weit, weit tiefer als etwa Sprachgenderfans uns weismachen wollen. Und das betrifft nicht nur die verbale Rede, sondern alle Kommunikationsformen, auch jene, wo einer mittels gekauften Dingen, mit Prestigekonsum, andere beeindrucken will.

Fernsehen

Trotz Tablets, Smartphones und Spielekonsolen und obwohl Urlaubszeit sehen aktuell die Deutschen im Durchschnitt rund dreieinviertel Stunden fern, die technikaffinen Teenager sogar etwas mehr.1 Die Hälfte der Bevölkerung hat immerhin schon zwei oder mehr Fernseher zu Hause stehen, Tendenz natürlich steigend.2

Nun sehen die Menschen mit diesem "Fenster zur Welt" mehrheitlich nicht Philosophische Quartette, Dokumentationen über ferne Länder oder geschichtliche Lehrstücke, sondern mehr oder weniger unterhaltsamen Schrott, das ist nicht neu. Werbung, Shows, Soaps, Scripted-Reality-Formate, vereinfachte Kurznachrichten, aufgedrehte Dokus, immer wieder auch Wiederholungen von Spielfilmen aus dem Kino.

Und bei diesen Fernseh-Kinofilmen zeigt sich eine neuere Entwicklung: Sie strotzen vor eindimensionaler Gewalt und flachen, starbesetzten Akteurdarstellungen. Ein ganz typisches Beispiel dafür ist der aus dem Jahr 2005 stammende, hochgelobte und erst kürzlich wieder einmal im Fernsehen3 gezeigte Film "Mr. & Mrs. Smith".

Da lebt ein kinderloses Paar sein luxuriöses Leben belanglos vor sich hin, keiner weiß, wie der andere Geld verdient, Leere herrscht, Gleichberechtigung auch; die Attraktivität des anderen hat sich verflüchtigt, selbst die konsumierte Eheberatung hilft nicht mehr. Ja, das ist heute so, sagt sich der Zuseher, schade, dass ich nicht so ein hübsches Haus habe. Jedoch, der verheimlichte Beruf, beide sind bezahlte Killer, hetzt sie dann plötzlich aufeinander. Einer muss den anderen töten, gnadenlos wird dabei das eigene Haus abgewrackt. Erst als sie begreifen, dass sie beide draufgehen sollen, gelingt wieder so etwas wie Liebe. Dann werden bedenkenlos Dutzende Killer abgeschlachtet, die auf beide angesetzt wurden. Eine starverpackte, primitive, verdoppelte Ego-Shooter-Story, die als Actionkomödie in die Fernsehzimmer hineintröpfelt.

"Violence is on the rise…"

Viele dieser Fernseh-Action-Kinofilme sind ähnlich leer - einen Anfang markieren etwa die James Bond-Filme - und platt gebaut, immer geht es um Action, also vor allem um das Niedermetzeln von Menschen, die zu banalen warenförmigen Gegenständen geworden sind. Hat man die Feinde erledigt, sagen die andern: Das hast Du fein gemacht und mit spöttischem Lächeln geht es weiter. "Violence is on the rise in blockbusters…70 percent since 2010 - were tagged with "violence", schreibt Walt Hickey in einem Beitrag zu den Blockbustern in Kino und Fernsehen.4 Die Gewalt ist in den letzten Jahren explodiert. Charaktere der handelnden Personen und emotionale Tiefe gibt es nicht. Nicht mehr, denn auch in Hollywood gab es das einmal.

Film, das war früher, wie Theater oder Literatur, eine Form von Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, ein Fenster zu neuen Handlungsmöglichkeiten, das die selbst erlernten wenigen Bewegungsformen und Empfindungen erweiterten konnte. Alternativen, die über die Primitivstadien menschlicher Interaktion, über Frustration oder Zuschlagen hinausgehen.

Stattdessen hat auch im Film eine Verflachungsspirale in Hinblick auf kognitive Reflexions- und emotionale Auseinandersetzungsfähigkeit eingesetzt (Empathie trocknet bei der "Generation Ich" aus). Im Einzelfall mag zwar ein gewaltüberbordender Actionfilm ähnlich wie ein Killerspiel für eine momentan nützliche Triebabfuhr dienen, wird das jedoch zur medialen Dauerwirklichkeit, dann hat das Auswirkungen auf Personen und Realität. Gewalt, Brutalität und Oberflächlichkeit werden dann zu einer medial vermittelten Selbstverständlichkeit. Der erste Schritt ist, die Menschen gewöhnen sich daran, ähnlich wie sie sich an immer mehr und immer aufdringlichere Werbung gewöhnt haben. Der nächste Schritt ist, sie sehen das (halbbewusst) als gängige Verhaltensmöglichkeit: So ist eben die Wirklichkeit. Hinzu kommt, dass die kommunikative Dauerüberflutung heute und die Beschleunigung der zeitlichen Strukturen5 ohnedies die reflexiven und emotionalen Fähigkeiten der Menschen abwürgen.

Vieles an dem, was heute als Unterhaltung verstanden wird, auch viele Kinofilme im Fernsehen, widerspricht genau besehen dem universellen Gebot der Menschenwürde. Solche mediale Konsumware ist nicht Kunst oder politische Meinung, sondern Teil einer medialen Geldverdienen-Maschine - eigentlich wäre das längst ein Thema für die Medienbehörden.

Wie menschenunwürdig solche Unterhaltungsinhalte sind, das interessiert allerdings heute gesellschaftliche Akteure nur sehr bedingt. Und auf eine Bildungspolitik, die imstande wäre, hier etwas zu ändern, also Medien und Menschen über die kommerzielle Plattheit hinaus zu heben - Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Zwischenkriegszeit hinein gab es einmal eine erfolgreiche institutionalisierte Arbeiterbildung - haben sozialdemokratische Parteien und Gewerkschaften längst verzichtet. Heute hat vernünftige gesellschaftliche Bildung weitgehend aufgehört.