"Die transnationalen Machteliten haben sowohl kosmopolitische als auch neo-nationalistische Kräfte"
- "Die transnationalen Machteliten haben sowohl kosmopolitische als auch neo-nationalistische Kräfte"
- "Die Drehtür von C. Wright Mills funktioniert heute global"
- "Viele Neoliberale sind keine lupenreinen Demokraten"
- "Viele Think Tanks in den Mont Pèlerin Netzwerken engagieren sich gegen die Klimapolitik"
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Politikwissenschaftler Dieter Plehwe über den weltweit vernetzten neoliberalen Elitezirkel Mont Pèlerin Society
Wieder einmal hat die ZDF-Satire Sendung "Die Anstalt" Aufklärungsarbeit geleistet und über eine Gruppe informiert, die Medien kaum in ihrer Berichterstattung erwähnen. Die Rede ist von der Mont Pèlerin Society (MPS), einem neoliberalen Elitezirkel. Der Politikwissenschaftler Dieter Plehwe (Elitenvernetzung) forscht schon seit Jahren zur MPS und erklärt im Interview mit Telepolis, was es mit diesem weit verzweigten Netzwerk an Denkfabriken auf sich hat.
Herr Plehwe, vergangene Woche hat sich die ZDF-Satire-Sendung "Die Anstalt" mit der Mont Pèlerin Society (MPS) auseinandergesetzt. Wie haben Sie als jemand, der schon lange zur MPS forscht, den Beitrag gesehen?
Dieter Plehwe: Da war sehr viel Schönes dabei. Die Neoliberalismusmaterie ist ja wirklich komplex. 50 Jahre Geschichte, weltweit 1200 Mitglieder der Mont-Pèlerin-Gesellschaft insgesamt seit 1947 und viele weitere Personenkreise im breiteren Zusammenhang, Hunderte von Think Tanks quer über den Globus verteilt.
Die Anstalt hat es geschafft, einem breiten Publikum einen guten Einstieg zu bieten. In der Sendung wurde zudem vermieden, die Geschichte des Neoliberalismus wie üblich auf Friedrich August von Hayek und Milton Friedman zu verkürzen. In Deutschland waren Ökonomen wie Herbert Giersch oder Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums wie Otto Schlecht sicherlich viel wichtiger als die vermeintlichen Superstars. Zwar überspitzt das im Beitrag vorgetragene Mantra "Privatisierung, Steuersenkung, Sozialabbau" die neoliberalen Botschaften zu einem reinen Einheitsdenken, aber für die historischen und sonstigen Differenzierungen und Nuancen braucht es andere Formate als das politische Kabarett.
Die Mont Pèlerin Society dürfte wohl vielen Menschen nicht bekannt sein. Was meinen Sie: Woran liegt das?
Dieter Plehwe: Vereinigungen wie die Mont Pélerin Society suchen die breite Öffentlichkeit nicht. Das tun viele ihrer Mitglieder über Bücher, Zeitungsartikel, Interviews und die Arbeit von Think Tanks. Vielen Menschen dürfte die ursprünglich sozialistische Fabian Society, das Vorbild Hayeks bei der Gründung der Mont Pèlerin Society, ebenso wenig bekannt sein. Deren Gründer Sidney und Beatrice Webb haben z. B. auch die London School of Economics organisiert. Die Mont-Pèlerin-Gesellschaft ist allerdings mittlerweile sehr viel globaler aufgestellt und orientiert und sehr viel besser vernetzt als die Fabianer. Gemeinsam sind beiden Vereinigungen der elitäre Charakter.
Medien tun sich ziemlich schwer, wenn es darum geht, über Elite-Zirkel zu berichten. Über Jahrzehnte gab es beispielsweise so gut wie keine Berichterstattung zu den jährlich stattfindenden Bilderberg-Konferenzen. Warum fokussieren Medien so selten auf die Interaktionsmuster der Eliten und Machteliten?
Dieter Plehwe: Da müssen Sie Vertreter der Medien fragen. In der Wissenschaft gab es mit dem Ansatz von C. Wright Mills seit den 1950er Jahren eine Agenda zur Erforschung von Machteliten, die ihren Höhepunkt in den 1970er Jahren hatte. Damals wurde diskutiert, dass technische Eliten (Experten) in West und Ost eine neue Klasse bilden, die zunehmende Macht ausüben: die Technokratie.
Vielleicht war diese These der industriegesellschaftlichen Angleichung von Kapitalismus und Sozialismus in den Zeiten des Systemkonflikts interessanter als die kritische These von der Entmachtung der Demokratie. Theoretiker wie Mills hoben zudem auf die Führungsspitzen von hierarchischen Großorganisationen im privaten und öffentlichen Sektor (Militär, Staat, Wirtschaft) ab.
Durch die organisatorische Dezentralisierung und Flexibilisierung herrscht heute nicht mehr das Bild der bürokratischen Hierarchie. Außerdem hat die beschleunigte Globalisierung dazu beigetragen, Macht und Machteliten weniger stark im Kontext des Staates und nicht mehr in erster Linie im nationalen Kontext wahrzunehmen.
Was aber nicht bedeutet, dass keine Machteliten mehr gibt.
Dieter Plehwe: Nein, überhaupt nicht. Das bedeutet, ihre Verortung und Analyse ist mit der beschleunigten Privatisierung und Globalisierung schwieriger geworden. Neben der elitären Führung von Großorganisationen gewinnt die ebenso elitäre Kontrolle von Netzwerken eine große Bedeutung.