Die vom IWF gesponserte wirtschaftliche Katastrophe in Brasilien
Der Angriff der Spekulanten: von Ostasien und Rußland nach Lateinamerika
Während Wall Street Spekulanten ihre tödlichen Beutezüge ausweiten, hat die globale finanzielle Krise einen neuen Höhepunkt erreicht. Unter dem Angriff der Spekulanten brach die Börse in Sao Paulo am Schwarzen Mittwoche, dem 13. Januar 1998, zusammen. Die Tresorräume der Brasilianischen Zentralbank wurden gesprengt; die "sich dahinschleppende" Bindung des Real an den Dollar wurde gebrochen. Gustavo Franco, Direktor der Zentralbank, wurde durch Professor Francisco Lopes ersetzt, der gemeinsam mit Finanzminister Pedro Malan sofort nach Washington abreiste, um sich dort mit dem IWF und dem US Finanzministerium in "Beratungen" auf höchster Ebene zu begeben.
Die öffentliche Meinung war geschickt in die Irre geleitet worden; angeblich breitete sich die "Asiatische Grippe" aus... Die Weltmedien hatten beinahe nebenbei Itamar Franco, Gouverneur des Bundesstaates Minas Gerais (und ein früherer Präsident Brasiliens) zum "Bösen Buben" gestempelt und ihm die Schuld für den Erlass eines Zahlungsaufschubes für die Begleichung von Schulden an die Brasilianische Bundesregierung zugeschoben.1 Die Bedrohung durch die bevorstehende Einstellung der Zahlungen durch Bundesstaaten hatte angeblich Brasilias "wirtschaftliche Glaubwürdigkeit" beeinflußt.
Brasiliens Nationalkongress wurde auch beschuldigt, irreführende Fragen gestellt und der tödlichen ökonomischen Medizin des IWF im Dezember nicht rasch genug "blinde Zustimmung" gegeben zu haben. Letzteres machte Budgetkürzungen in der Höhe von 28 Billionen Dollar notwenig (einschließlich massiver Kündigungen von Staatsbeamten, dem Abbau von Sozialprogrammen, dem Verkauf von Staatsanlagen, der Einfrierung von Transferzahlungen an brasilianische Bundesstaaten und der Verwendung von Staatseinnahmen zur Begleichung von Schulden).
Pendeldiplomatie
Am Wochenende vom 16. auf den 17. Januar befanden sich Finanzminister Malan und der Direktor der Zentralbank Lopes zu Gesprächen auf höchster Ebene in Washington, am Samstag im Hauptsitz des IWF und am Sonntag in den Räumen des US Finanzminsteriums.
"Einige Beamte waren in Hinblick auf die Zeit und den Aufwand, der in das ursprüngliche (IWF-gesponserte und im November 1998 ausgehandelte) Programm geflossen war, (anfänglich) empört über den Mangel an Rücksprache von Seiten Brasiliens bezüglich der Entscheidung, die Bindung des Real aufzugeben, die Dienstag (den 12.) spätabends getroffen worden war".2
Michel Camdessus, Leitender Direktor des IWF, gab später zu, daß "dies eine kluge Entscheidung war, um so den Verlust der Reserven zu verhindern", obwohl er gleichzeitig betonte, daß er von Brasilien erwarte, die steuerlichen Ziele gemäß der finanziellen Abmachung des Fonds, die im November unterschrieben worden war, einzulösen. Das Regime des flexiblen Wechselkurses wurde auch unter der Bedingung gebilligt, daß die "extrem hohen" inländischen Zinssätze in Kraft blieben und daß keine ausländische Währungskontrolle (die instutitionelle Investoren daran hindern könnte, ihr Geld in und aus dem Land zu transferieren) eingeführt werde.
Den Kredit schröpfen
Indem sie auf einer straffen finanziellen Politik bestanden, waren die in Washington ansässigen Institutionen auch darauf aus, Brasiliens industrielle Basis zu zerstören, den inländischen Markt zu übernehmen und die Privatisierungsprogramme zu beschleunigen. Der festgelegte Zinssatz der Regierung wurde auf erstaunliche 32.5% (pro Jahr) erhöht, was bei kommerziellen Banken Kreditraten zwischen 48.7% und 84.3% pro Jahr impliziert.3 Die regionale Produktion, lahmgelegt durch untilgbare Schulden, war in den Bankrott getrieben worden. Die Kaufkraft war zusammengebrochen; Zinssätze auf Konsumentenkredite lagen bei 150% bis zu 250%, was zu einem massiven Kreditverzug führte...4
Billigung durch den Washingtoner Konsensus
Nur wenige Tage nach dem Schwarzen Mittwoch begrüßte Michel Camdessus, Leitender Direktor des IWF, in einem vorbereiteten Pressestatement "... die Bestätigung der steuerlichen Konsolidierung als oberste Priorität (...) gemeinsam mit strukturellen und Privatisierungsmaßnahmen, die ein Teil des mit dem Fonds akzeptierten Programmes sind".5 James Wolfensohn, Präsident der Weltbank, und Joseph Stiglitz, Vizepräsident - bekannt für seine noch nicht lange zurückliegende Kritik an der Politik hoher Zinssätze des IWF in Ostasien - beteuerten ihre Unterstützung:
"Wir sind zufrieden mit Minister Malans abschliessendem Bericht über sein Treffen in Washington und begrüßen seine Einladung, unseren Dialog zu intensivieren."6
Die Erhöhung des Brotpreises
Am Morgen des Montag, 18. Januar, hatte sich die Börse von Sao Paulo kurzfristig erholt und eingie ihrer Verluste wieder gutgemacht. Während das "Vertrauen" wieder hergestellt worden war, hatte der Real in weniger als einer Woche mehr als 20% seines Wertes verloren. Bis Ende Januar waren es mehr als 40%, was zu einer beinahe unmittelbaren Preissteigerung bei Benzin, Lebensmitteln und grundlegenden Konsumgütern führte. Der Verfall der Nationalwährung hat dazu beigetragen, den Lebensstandard in einem Land mit einer Bevölkerung von 160 Millionen, von denen mehr als 50% Prozent unter der Armutsgrenze leben, zu drücken.
Umgekehrt hatte die Entwertung Rückwirkungen auf Sao Paulos südlichen Industriegürtel, wo die offizielle Arbeitslosenrate 1998 17% betrug. In den Tagen, die auf den 13. Januar, den Schwarzen Mittwoch, folgten, bestätigten multinationale Firmen, unter anderem Ford, General Motors und Volkswagen, daß sie die Arbeit einstellen und es zu massiven Entlassungen kommen würde.7
Grünes Licht von der Wall Street
Nach seinem hektischen Arbeitspensum am Wochenende eilte Finazminister Malan nach New York zu einem frühmorgendlichen Treffen in der Federal Reserve Bank (Mittwoch, 20. Januar): auf der "Frühstücksliste" waren George Soros, Quantum Hedge Fund, Citigroup Vizepräsident William Rhodes, Jon Corzine von Goldman Sachs und David Komansky von Merrill Lynch.8
Dieses private Treffen hinter verschlossenen Türen mit Brasiliens "Gläubigern der letzten Zuflucht", war entscheidend: Rhodes war dem New York Banking Committee als Vertreter von 750 Gläubigerinstitutionen vorgestanden; er hatte zuerst mit Fernando Henrique Cardoso verhandelt, als dieser noch Finanzminister war, um Brasiliens Auslandsverschuldung nach dem Brady Plan zu restrukturieren.9Letzteres fiel mit dem Inkrafttreten des Real Plans von 1994 im Namen von Gläubigern und Spekulanten zusammen. Der Dollar-gebundene Kurs in Kombination mit der Struktur hoher Zinssätze unter dem Real Plan, führte 1998 dazu, die Inlandsverschuldung von 60 Milliarden auf mehr als 350 Milliarden aufzublasen...
Obwohl die Ergebnisse des Frühstückstreffens nicht veröffentlicht wurden, bestätigte Bill Mac Denough von der Federal Reserve Bank (der das Ereignis sorgfältig organisiert hatte), daß allgemein angenommen wurde, daß sich Brasiliens In- und Auslandsschulden in bewältigbaren Grenzen hielten:
"Es ist (zu diesem Zeitpunkt) nicht notwendig, Brasiliens Auslandschulden neu festzulegen".10
Finazminister Malan, der seinen Gebietern von der Wall Street völlig nachgab, stimmte zu: es wird für Brasilien weder "eine Neuverhandlung", noch einen Erlass der Schulden geben...11
Der Hintergrund des IWF Abkommens
Auf den ersten Blick scheint Brasiliens Notlage nichts weiter, als eine "Standardwiederholung" der asiatischen Währungskrise von 1997 zu sein. Die tödliche "ökonomische Medizin" des IWF ähnelt weitgehend der, die 1997-98 in Korea, Thailand und Indonesien verabreicht wurde. Aber es gab einen auffallenden Unterschied im Timing (z.B. der Chronologie) des IWF Plans: In Asien wurden die "Rettungsmaßnahmen" des IWF auf einer ad hoc Basis "nach" und nicht "vor" der Krise ausgehandelt. Anders ausgedrückt, der IWF kam erst nach dem Angriff der Spekulanten zu Hilfe, nachdem die nationalen Währungen verfallen und die Länder mit untilgbaren Schulden zurückgeblieben waren.
Im Gegensatz dazu wurde die finanzielle Operation des IWF in Brasilien "vorher" und als Teil einer neuen IWF-G7 Abmachung ausgehandelt. Die "ökonomische Medizin" sollte eher "präventiv" sein, als "eine Kur". Offiziell war sie als Mittel gedacht, "das Eintreten" eines finanziellen Desasters "zu verhindern". Darüberhinaus wurde das Geld in diesem vorbeugenden Plan "sofort und vorher" zur Verfügung gestellt (nicht erst in Folge einer Währungsabwertung).
Präventive ökonomische Medizin
Dieser "Präventivplan" wurde von Präsident Clinton Ende Oktober lanciert. Die Führer der Gruppe der 7 Nationen hatten zugestimmt, "ökonomisch gesunden Nationen dabei behilflich zu sein", die Gefahren der Währungsspekulation abzuwehren. Es war ein Multi-Milliarden Dollar "Präventiv Fonds" eingerichtet worden. Erklärtes Ziel war es, die Ausbreitung der "Asiatischen Grippe" in andere Regionen der Welt zu verhindern...12
Brasilien war nach dem IWF-G7 Plan als erstes an der Reihe: ein Teil des Geldes war bereits dafür bestimmt worden Präsident Henrique Cardosos "Versuche" zu unterstützen, die brasilianische Wirtschaft "zu stabilisieren". Kaum zwei Wochen nach dem 13. November legte die brasiliansiche Regierung Michel Camdessus, dem Leitenden Direktor des IWF, eine Absichtserklärung vor. Ein "Memorandum ökonomischer Politik", das sorgfältig im üblichen ökonomischen Jargon und in Übereinstimmung mit IWF Richtlinien abgefasst war, war beigelegt.
Detaillierte Verhandlungen über ein Multi-Milliarden Dollar Paket (in realen Begriffen "ein halber Marschallplan") hatten stattgefunden. Schon im Juli 1998 war Brasilien von Washington angewiesen worden, sich nicht in die Regeln einzumischen, die den Multi-Milliarden Dollar Handel mit Optionen und Futures an der Börse von Sao Paulo lenken würden:
"Eine zeitweilige Kurskontrolle hätte die Situation entschärft, aber dem würde der IWF niemals Zustimmen, weil es das lukrative Spiel der internationalen Finanz untergraben würde..."13
Lukrativ? ... Allein die Höhe der Summe, die bewilligt wurde, ist unfaßbar: im Laufe eines Zeitraumes von 6 bis 7 Monaten (Juli 1998 bis Januar 1999) hatten sich private finanzielle Institutionen 50 Milliarden Dollar an Währungsreserven (zum Großteil abgewickelt über BOVESPA Optionen und Futures) angeeignet. Die Gelder, entsprechend 6% von Brasiliens BNP, die durch Kapitalflucht verloren worden waren, , sollten im Kontext der 41.5 Milliarden Dollar Operation wieder an Brasilien "zurückverliehen" werden.
Ein vorheriges steuerliches Urteil
Stanley Fischer, der Erste Stellvertretende Geschäftsführer des IWF, und Lawrence Summers, Staatssekretär im US-Finazministerium, waren in ständiger Zusammenarbeit mit Brasiliens Wall Street Gläubigern die Hauptakteure dieses Multi-Milliarden Dollar Tricks in Washington. Die Weltbank, die Interamerican Development Bank (IDB) und die Bank for International Settlements (BIS) waren ebenfalls an der Zusammenstellung des finanziellen Paketes beteiligt.
Brasiliens Gläubiger hatten verlangt, daß das IWF-Programm folgendes beinhalten müsse:
"Eine weitgehende, vorherige steuerliche Anpassung von über 3% des BNP mit Reformen in den Bereichen der Sozialversicherung, öffentlicher Verwaltung, öffentlichem FinanzhaushaltAusgaben Management, Steuerpolitik und Einnahmenverteilung, die die strukturellen Schwächen, die die Wurzel der finanziellen Schwierigkeiten des öffentlichen Sektors sind, direkt konfrontieren".14
Den letzten Schliff bekam der Multi-Milliarden Dollar Betrug im Hauptsitz des IWF in Washington in der Nacht des 12. November; am nächsten Morgen wurde das Übereinkommen in einer Pressekonferenz offiziell von Michel Camdess, Leitender Direktor des IWF, angekündigt:
"Ich glaube, daß die Brauchbarkeit des Programmes für Brasilien und die Bereitschaft der öffentlichen Stellen es durchzusetzen, gemeinsam mit der starken Unterstützung, die von der offiziellen internationalen Gemeinschaft gezeigt wurde, die Grundlagen für Brasiliens private Gläubiger bieten, zu handeln und so den Erfolg sichern zu helfen".15
Und wer waren diese privaten Gläubiger, die "halfen, den Erfolg zu sichern?" Dieselben Wall Street Finanziers ( und ihre angegliederten Hedge-Fonds), die schon an dem Angriff der Spekulanten auf den brasilianischen Real beteiligt gewesen waren ...
Das IWF Übereinkommen trägt zur Kapitalflucht bei
Das 41.5 Milliarden Dollar Finanzpaket intendierte, das "Vertrauen wieder herzustellen". Anstatt den Angriff der Spekulanten abwehren zu helfen, hat die vom IWF gesponserte Hilfsaktion aber dazu beigetragen, den Abfluß des finanziellen Vermögens zu beschleunigen. Zwanzig Milliarden Dollar flossen in den zwei Monaten, die auf die Billigung der IWF Vorsichtsmaßnahmen folgten, aus dem Land: ein Betrag in derselben Höhe, wie die unglaublichen "vorhergehenden" Budgetkürzungen, die vom IWF verlangt worden waren.
Brasiliens finanzieller Reichtum wurde durch Kapitalflucht geplündert: in den Monaten vor dem finanziellen Meltdown im Januar flossen ausländischen Währungsreserven ungehindert mit einer Rate von 400 bis 500 Millionen Dollar pro Tag ab... Kapitalflucht während der ersten beiden Wochen im Januar betrug (nach offiziellen Quellen) um die 5.4 Milliarden Dollar.
Verführung der Spekulanten
Die vom IWF gesponserte Aktion war hauptsächlich dafür verantwortlich, Spekulanten dazu zu verlocken, ihre tödlichen Beutezüge weiterzuführen; "Das Geld war dazu da", um daraus zu schöpfen. Sollte die Brasilianische Zentralbank überlegen, ihren ausländischen Währungsverbindlichkeiten nicht mehr nachzukommen, dann würde die Verfügbarkeit der IWF-G7 "Vorausfinanzierung" es den Banken, Hedge-Fonds und institutionellen Investoren ermöglichen, ihre Multi-Milliarden Dollar Beute rasch einzustreifen. Das im November unterzeichnete IWF Programm hat damit dazu beigetragen, die Risiken zu reduzieren und den "Spekulanten zu versichern", daß die Zentralbank den Real weiter stützen würde.
Falls die Reserven der Zentralbank ausgeschöpft sein sollten, würden die Vertreter des Staates darüberhinaus sofortigen Zugang zur ersten Teilzahlung (9 Milliarden Dollar) aus dem IWF-Rettungspaket haben, um ihre ausländischen Währungsverträge einhalten zu können. In den Worten von Stanley Fischer:
"Man will den Märkten versichern, daß man die Scheiben nicht zu dünn schneidet. Die Märkte sollen wissen, daß es eine ausreichende Menge (von ausländischen Währungsreserven in der Brasilianischen Zentralbank) gibt, die problemlos zur Verfügung stehen".16
Die schwindenden Reserven der Zentralbank
Die Reserven der Zentralbank verringerten sich von 75 Milliarden Dollar im Juli 1998 auf 27 Milliarden im Januar 1999. Die erste Teilzahlung des IWF Darlehens von mehr als 9 Milliarden Dollar war schon dafür verschwendet worden, Brasiliens kränkelnde Währung zu stützen; das Geld reichte knapp, um die "Kapitalflucht" im Laufe eines einzelnen Monats "abzudecken".
"Die $41.5 Milliarden in ausländischer Währung, die der IWF zur Verfügung stellte, waren von vornherein dazu verdammt, bei den Spekulanten zu enden und Brasilien mit einer um genau diesen Betrag erhöhten Auslandsverschuldung zurückzulassen. Dieses Szenarion ist schon so oft mit anderen Währungen durchgespielt worden, die mit Zinsen auf künstlichen Höhen gehalten wurden, daß mittlerweile jedes Schulkind den Trick kennen sollte. Die Regierung, deren Währung unter Beschuß ist, nimmt vom IWF arrangierte ausländische Darlehen in Anspruch und verwendet die ausländische Währung, um ihre eigene Währung zurückzukaufen. Den Ländern, denen so "geholfen" wird, bleibt eine Auslandsschuld in der Höhe des "Zuschußes", während die Spekulanten den Erlös der Darlehen einstreifen und sich dann zur nächsten Wiederholung dieses Tricks aufmachen."17
Versteckte Absicht
Im oben beschriebenen Szenario war das ungefähre "Timing" der Abwertung ein Teil des Tricks des IWF; indem er einen stabilen Wechselkurs für die Dauer von 60 Tagen sicherte (13. November 1998 bis 13. Januar), erlaubte er den Spekulanten, rasch weitere 20 Milliarden Dollar einzustreifen...
Daher hatte der IWF darauf bestanden, daß Brasilien die Stabilität des Wechselkurses als Teil des im November unterzeichneten Übereinkommens aufrechterhielt. Die Kapitalflucht hatte sich nach dem Übereinkommen im November 1998 beschleunigt; sowohl Wall Street, als auch die Institutionen in Washington wußten, daß eine Abwertung bevorstand und daß das von IWF-G7 gesponserte präventive Maßnahmenpaket nichts weiter als ein "Türstopper" war.
Das IWF-Programm hatte es den Währungsspekulanten also im Rahmen des "präventiven" Fonds ermöglicht, "Zeit zu kaufen". Die Zentralbank sollte so lange wie möglich "weitermachen". Die versteckte Absicht war es, einen finanziellen Kollaps heraufzubeschwören; Wall Street war darauf vorbereitet... Das ökonomische Team im Finanzministerium war angeblich "überrascht worden", aber in Wirklichkeit wußten sie immer, daß die Abwertung bevorstand... Im Januar stimmte der IWF zu, die Währung abrutschen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt war es schon zu spät, die ausländischen Währungsreserven der Zentralbank waren bereits geplündert worden ...
Kollaps des Real
In den Nachwehen der Januarkrise hatte der IWF vorsichtshalber einen "Boden" von 20 Milliarden Dollar an Reserven für die Zentralbank empfohlen. (Die Reserven betrugen 6 Monate vorher 75 Milliarden Dollar). Diese Festlegung eines "Bodens" - eher vom IWF, als von der Zentralbank bestimmt - spielte in der Begünstigung der Kapitalflucht unmittelbar nach der Abwertung eine Schlüßelrolle: Die Plünderung der ausländischen Währungsreserven konnte ungehindert weitergehen, bis man diesen "Boden" erreichte. Im Januar hatte der IWF auch versprochen, eine weitere Teilzahlung von 9 Milliarden Dollar freizugeben, was den Spekulanten den zusätzlichen Vorteil verschaffte, daß dies die ausländischen Währungsreserven weit über den 20 Milliarden Dollar Boden hob.
"Ein Marshall Plan für Gläubiger und Spekulanten"
Dieser neue Schwall von IWF-G7 Hilfsgeldern sollte also die Reserven der Zentralbank ("mit geliehenen Geldern") wieder aufstocken, um eine erneute Welle der Kapitalflucht zu ermutigen. Michel Camdessus, Leitender Direktor des IWF (der sicherlich wußte, was bevorstand), hatte bereits im November 1998 bestätigt, daß "die brasilianischen Staatsbeamten, sollten sie die (zusätzlichen finanziellen) Ressourcen benötigen, .... bereits früher Zugriff auf die zweite Teilzahlung haben könnten, schon ab dem Jahreswechsel."18 Ironischerweise war das genau der Zeitpunkt, an dem die Real-Dollar Bindung zusammenbrach...
Die Annahme des IWF war (sowohl vor, als auch nach der Abwertung), daß die Zentralbank weiter ihre ausländischen Währungssreserven plündern sollte. Und mit weiteren (geborgten) IWF-G7 Geldern, die in die Tresore der Zentralbank fließen, wird die Kapitalflucht mit größter Wahrscheinlichkeit auch in den kommenden Monaten weitergehen, und das trotz der 20% Abwertung des Real... Höchst lukrativ: in der Woche nach dem finanziellen Meltdown am 13. Januar betrug der Kapitalfluß aus dem Land bereits zwischen 200 bis 300 Millionen Dollar pro Tag.19 Und Finanzminister Pedro Malan hatte in seinem Frühstückstreffen mit George Soros und William Rhodes an der Wall Street (20. Januar) zugestimmt, daß keine Kontrollen oder Behinderungen dieses Gedlflusses eingeführt werden....
In Richtung der inflationären Spirale
Ein tödlicher wirtschaftlicher Prozeß war ausgelöst worden: die Abwertung hat zu einer inflationären Spirale geführt, die - neben der Anwendung von massivsten Sparmaßnahmen - zu einer brutalen Verarmung aller Teile der brasilianischen Bevölkerung, einschließlich der Mittelklasse, führte.
In der Vergangenheit waren die Löhne in Brasilien unter dem Regime eines flexiblen Wechselkurs monatlich an die steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt worden. Brasiliens jetzige Notlage unterscheidet sich allerdings offensichtlich von der inflationären Situation, die vor dem 1994er Real Plan geherrscht hatte.
In der gegenwärtigen Situation verlangte das IWF-Übereinkommen, das im November unterzeichnet worden war, ausdrücklich die Ablösung der Löhne vom Index. Als ein "Mittel, um die Inflation zu bekämpfen". In den Büchern des IWF werden erhöhte Löhne "als der Hauptgrund für die Inflation" angesehen. Der Staat hat die steigenden Arbeitslosenzahlen ebenso damit begründet ("ein notwendiges Übel"), daß erhöhte Arbeitslosigkeit ein effektiver Weg sei, den Druck durch Inflation zu mindern.
Nachdem der IWF also durch die Währungsabwertung eine fatale inflationäre Spirale ausgelöst hatte, verlangte er nun die Durchführung von sogenannten "Anti- Inflationsprogrammen". Letztere bildeten eher einen kohärenten Rahmen, um raschest Arbeiter zu entlassen und die Löhne (durch die Ablösung vom Index) zu drücken, als daß sie die Ursachen der Inflation behandeln.
Außerdem war nach dem IWF-Übereinkommen die Finanzpolitik in den Händen der Gläubiger, die die Möglichkeit haben, Staatsbudgets einzufrieren und Zahlungsprozesse zu lähmen, einschließlich der Transfers zu Regierungen und (wie in der früheren Sowjet Union) der Verhinderung regelmäßiger Auszahlung von Staatsbeamten, einschließlich mehrerer Millionen Lehrer und Angestellter im Gesundheitsbereich.
"Programmierter Bankrott"
Der "programmierte Bankrott" inländischer Produktion wurde durch das Schröpfen der Kredite ermöglicht (z.B. extrem hohe Zinssätze). Und man muss auch die Drohung Finanzminister Pedro Malans erwähnen, den Handel zu liberalisieren und (Import) Waren zu Dumpingpreisen zu verkaufen, um die "Preiserhöhungen einzufrieren" und inländische Unternehmen dazu zu zwingen, "wettbewerbsorientierter" zu arbeiten.20 Gemeinsam mit den Zinssätzen über 50% waren die Folgewirkungen dieser Politik für viele inländische Produzenten gleichbedeutend mit Bankrott, z.B. das Drücken inlandischer Preise unter die Kostengrenze....
Umgekehrt hat das dramatische Nachlassen des einheimischen Bedarfes (ein Resultat der steigenden Arbeitslosigkeit und der fallenden Löhne) zu einer Situation geführt, in der es Überversorgung und steigende Bestände nicht verkaufter Waren gibt..
Dieser unbarmherzige Verfall der lokalen Industrie - ausgelöst durch die makro- ökonomischen Reformen - hat auch ein Umfeld geschaffen, das es dem ausländischen Kapital ermöglicht, den Inlandsmarkt zu übernehmen, seinen Würgegriff auf inländische Banken zu verstärken und die profitabelsten Produktionsanlagen zu Spottpreisen zu erwerben....
Die finanzielle Krise (die vom Beginn des Real Plans 1994 herrührt) hat also Umstände geschaffen, die die rapide Rekolonialisierung der brasilianischen Wirtschaft begünstigen. Die Entwertung des Real wird sowohl die Privatisierungsprogramme beschleunigen, als auch den realen Wert der Staatsanlagen (in Real) weiter drücken. Die "vorherige steuerliche Anpassung" des IWF - gemeinsam mit steigender Verschuldung und fortlaufender Kapitalflucht - läuft auf ein wirtschaftliches Desaster, die Fragmentierung der steuerlichen Struktur der Länder und soziale Entfremdung hinaus.
Die Folgen für Lateinamerika
Der finanzielle Meltdown in Brasilien hat weitreichende Folgen für ganz Lateinamerika, wo schwer verschuldete Länder von der makro-ökonomischen Reform schon seit mehr als 15 Jahren lahmgelegt werden. In dieser Hinsicht hat die finanzielle Krise ein Umfeld geschaffen, das in der gesamten Region den Würgegriff der Wall Street Gläubiger unter der Führerschaft des IWF in Hinblick auf die finanzielle Politik verstärkt.
In Argentinien ist der Verfall der Zentralbank nach dem Arrangement des "Währungsausschußes" bereits fest geplant. Letzterer ist im Grunde ein Bankensystem, das auf dem Kolonialprinzip beruht. Seit der finanziellen Krise Brasiliens werden in Buenos Aires Diskussionen in Hinblick darauf geführt, den argentinischen Peso durch den US Dollar zu ersetzen, was nicht nur die völlige Kontrolle der Geldmengensteuerung durch ausländische Gläubiger bedeuten würde, sondern auch, daß die Banknoten von der US Federal Reserve (die von einer Handvoll privater US Bankinstitutionen kontrolliert wird) gedruckt werden.
Andere Länder werden möglicherweise dem argentinischen Modell folgen wollen, da sie im Austausch ihrer nationalen Währung durch den Dollar einen Weg sehen, die finanzielle Krise zu vermeiden.
Dieser "Dollarisierungsprozeß" wird (nach dem Washingtoner Konsensus) wahrscheinlich durch Angriffe von Spekulanten eingeleitet werden, die (in der Erwartung von Verhandlungen, die den Austausch dieser nationalen Währungen durch den US Dollar betreffen) den Wert der nationalen Währungen gegenüber dem Dollar merklich senken werden
Die Neoliberalen Absichten lahmlegen
"Wirtschaftliche Verbrechen gegen die Menschheit"?...
Diejenigen in New York und Washington, die für Brasilien verantwortlich sind, sollten nicht einfach so davon kommen, indem sie so tun, als ob sie von nichts wüßten... Die finanziellen Autoritäten der G7 Nationen und 14 weiterer Nationen haben den vom IWF gesponserten Betrug (durch die Bank of International Settlements) mitfinanziert. Die Regierungen waren sich der Implikationen des IWF-Kreditabkommens voll bewußt. Sie tragen eine schwere Verantwortung für die Gutheißung eines Multi-Milliarden Dollar Betruges, der zur brutalen Verarmung der brasilianischen Bevölkerung führte.
Während die internationale Gemeinschaft zögert, den Washingtoner Konsensus aufzulösen und finanzielle Märkte zu zähmen, gibt es Anzeichen, daß ähnliche Angriffe durch Spekulanten mit verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen in anderen Lateinamerikanischen Ländern, in Asien und im Mittleren Osten geplant sind.
Michel Chossudovsky Professor für Wirtschaft an der Universität von Ottawa, Autor von The Globalisation of Poverty, Impacts of IMF and World Bank Reforms, Third Worlds Network, Penang and Zed Books, London 1997 (das Buch kann unter twn@apc.igc.org bestellt werden)
Dieser Artikel folgt einem früheren Artikel des Autors mit dem Titel "The Brazilian Financial Scam" ("Der brasislianische finanzielle Betrug"), Third World Resurgence, November 1998, der vor der Krise geschrieben wurde.