Die weibliche Kehrseite: Lollipop Chainsaw
Cheerleader Juliet Starling bemerkt auf dem Schulweg, dass überall grummelnde Untote herumwanken, die ihr auf den sehr schön animierten Leib rücken wollen. Gottlob: Die junge Dame führt stets eine gewaltige Kettensäge mit sich.
Seit langem teilt sich die Zunft der an Spielen für Erwachsene interessierten Konsoleros in zwei Lager. Während sich die eine Fraktion mit mittlerweile standardisierten Big Budget Shootern begnügt und deshalb über die neuesten Games oft nicht mehr zu berichten weiß, als das die „Grafik voll hammermäßig“ wäre, schwelgt der weitaus kleinere Teil derweil lieber in den mal bizarren, mal liebenswürdigen, gelegentlich sogar liebenswürdig bizarren Kunstwelten, die sich japanische Design-Gurus für ihre Titel ausdenken.
Selbstverständlich gibt es auch westliche Spieleschmieden, die ihre Projekte mit Hirn und Herz realisieren. Der Engländer Peter Molyneux, der bis vor einigen Monaten den Lionhead Studios vorstand und mit diesen wahre Meisterwerke wie die Gott-Simulation Black & White oder das gigantische, mittlerweile dreiteilige Fantasy-Epos Fable erschaffen hat, ist ein Beispiel.
American McGee mit seinen finsteren Lewis Caroll-Interpretationen im Rahmen der Alice-Spiele kann hier genannt werden; auch Tim Schafer ist mit Werken wie Grim Fandango, Psychonauts oder Brütal Legend immer wieder seinem Ruf als so ambitionierter wie gewitzter Erzähler interaktiver Epen gerecht geworden.
Bei diesen allgemein gefeierten Künstlern handelt es sich jedoch durchaus um Sonderfälle, die sich zum Mainstream verhalten wie Cronenberg oder Lynch zu Hollywood. Auch diesen gelingt es gelegentlich, ein Projekt zu realisieren, das nicht nur als künstlerisch gelungen gilt, sondern auch kommerzielle Früchte trägt – die Massenwirksamkeit des Hochglanzschunds eines Michael Bay werden ihre Filme aber nie erreichen.
In Japan sieht die Sache anders aus. Ein filmischer Extremist wie Takashi Miike, weltweit vor allem bekannt für das großartige Horrordrama Audition und das entsetzliche Blutbad Ichi The Killer, findet dort Bedingungen vor, die es ihm ermöglichten, in den ersten 20 Jahren seiner Regie-Karriere rund 70 Produktionen erfolgreich zu realisieren. Dass dabei in seinem Werk Mark und Bein erschütternde Gewaltexzesse neben feiner Poesie wie The Bird People in China oder harmlos-buntem Action-Radau wie Dead Or Alive stehen, scheint symptomatisch für die japanische Unterhaltungsindustrie – die Grenzen zwischen Avantgarde und Kommerz, zwischen Kunst und Massenwirksamkeit, wirken dort fließend. Wenn sie denn überhaupt existieren.
Ein ähnliches Bild bietet die japanische Spieleindustrie. Ein Spiel wie etwa das erstaunliche Bayonetta ist einerseits dazu in der Lage, all diejenigen zu beschämen, die immer noch dem wunderlichen Glaubenssatz anhängen, ein Videospiel könne niemals Kunst sein, funktioniert aber auch hervorragend als virtuelle Achterbahnfahrt, die keinen Wunsch nach rasanter Action unbefriedigt lässt. Dass die Produzenten des feinsinnigen Spiels aber auch stolz darauf verweisen, dass alleine am tatsächlich prachtvollen Hintern der weiblichen Hauptfigur über 20 Mitarbeiter gebastelt haben, wirft ein weiteres Schlaglicht auf die generelle Unbefangenheit der japanischen Herangehensweise.
Der weiblichen Kehrseite kommt auch im eben veröffentlichten Lollipop Chainsaw eine wichtige Rolle zu – schließlich präsentiert das 3rd-Person-Spiel seine Heldin Juliet Starling in erster Linie von hinten. Der Titel ist eine Koproduktion von Goichi Suda, bekannt vor allem durch No More Heroes und Shadows Of The Damned, und dem Amerikaner James Gunn, dem einen oder anderen durch seine Drehbucharbeiten für allerlei Troma-Trash, aber auch für seine Mitarbeit am Remake von Romeros Zombie-Klassiker Dawn Of The Dead, geläufig.
Gunns Troma-Wurzeln sich bereits in der Inhaltsangabe bemerkbar. Cheerleader Juliet Starling bemerkt auf dem Schulweg, dass überall grummelnde Untote herumwanken, die ihr auf den sehr schön animierten Leib rücken wollen. Gottlob: Die junge Dame führt stets eine gewaltige Kettensäge mit sich. Man weiß ja nie.
Damit ist der Spielinhalt eigentlich auch schon erklärt. Der Spieler lässt die Süße Level für Level zwischen den Untoten herumspringen und –tänzeln, um die vermoderten Gestalten zunächst mit Pompom-Attacken zu verwirren und anschließend in Stücke zu sägen. Für Abwechslung sorgen dabei Einschübe wie „Zombie Basketball“, wo es darum geht, möglichst vielen Zombies den Kopf abzusägen, um ihn anschließend im Korb zu platzieren.
Die Grafik wird von der Unreal-Engine generiert, die für ein Spiel mit strikt linearem Level-Design traditionell gut geeignet ist, ohne dabei für besondere Aha!-Erlebnisse zu sorgen. Für diese ist definitiv die Hauptfigur zuständig: Juliet Starling gehört zu den schnuckeligsten und am besten animierten Heldinnen der Videospielgeschichte. Charmant: Auf die unvermeidlichen Versuche des Spielers, seinem attraktiven Avatar unter den Rock zu linsen, reagiert Juliet mit sanfter Empörung. Immerhin: Nach gutem japanischem Brauch kann man für die erspielten Punkte immer knappere Outfits für das kämpferische Mädchen erwerben.
Es handelt sich also um ein typisches Hack’n’Slay-Spiel mit leichten Rollenspielansätzen – ein eindrucksvolles erzählerisches Werk wie die bereits erwähnten Titel ist Lollipop Chainsaw aber nicht geworden. Eher ein kurzweiliger, schon aufgrund von Themen- und Schauplatzwahl recht amerikanisch anmutender Action-Reißer, dem aber die deutlich spürbaren japanischen Beigaben und irrsinnigen Ideen das gewisse Etwas und einen nicht zu leugnenden Unterhaltungswerk verleihen. Keine große Kunst also, aber sehr gut als der lustige Unfug, als der das Spiel offenbar konzipiert wurde.
Sogar die sonst so gestrenge USK musste sich dem Charme der jugendlichen Zombiejägerin geschlagen geben und hat das wahrlich nicht zimperliche Gemetzel mit einer 16er-Freigabe unzensiert durchgewunken.
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