Diesen Traum verkauft die AfD

Manchmal kommt Politik jenseits der Fakten besser an als halbherzig faktenbasierte Politik. Bild: PantheraLeo1359531 / CC BY-4.0

Nach AfD-Logik könnte Deutschland eine Insel der Glückseligen sein – durch Abschottung und Leugnung ernster Probleme. Warum die Grünen ihr wenig entgegensetzen können.

Die Debatte um das Heizungsgesetz könnte einen wesentlichen Anteil am Höhenflug der AfD in den Umfragen haben: 18 bis 20 Prozent der Wahlberechtigten würden sich momentan für sie entscheiden. Mehr als für die Grünen. Die wenigsten der Befragten dürften dabei direkt von den Grünen zur AfD wechseln. Beide Parteien sprechen völlig unterschiedliche Milieus an.

Aber Grüne und AfD beeinflussen sich dennoch gegenseitig stark: Die Schwächen der Grünen werden von der AfD sofort populistisch ausgenutzt – und aus Angst vor der AfD werden die Grünen dann weniger scharf von links kritisiert. Auch wenn sie Wahlversprechen brechen, mit denen sie um Stimmen aus dem linken Lager geworben haben, gibt es dort Beißhemmungen, sobald die AfD von rechts gegen die Grünen ausholt. Im Ergebnis verschiebt sich das gesamte politische Koordinatensystem nach rechts.

Beispiel Heizungsgesetz: Das halbherzige Bemühen der Grünen um ein bisschen Klimaschutz mit relativ hohen Kosten für einzelne Haushalte wirkte einfach nicht konsequent im Vergleich zur Position der Leugner des menschengemachten Klimawandels, die sich innerhalb ihrer eigenen Logik keine Versäumnisse vorzuwerfen haben: Ein Problem, das nicht existiert, muss nicht gelöst werden – also stellt sich gar nicht erst die Frage, wie ein Beitrag zur Lösung sozialverträglich gestaltet werden kann.

In diesem Fall war es ein sehr bescheidener Beitrag – die Ampel-Parteien, allen voran die Grünen, sind trotzdem an dieser Aufgabe gescheitert. Für die Springer-Presse war es ein "Heiz-Hammer", der nun erst mal verschoben und abgeschwächt wurde – selbst die Bild spricht jetzt nur noch von einem "Hämmerchen"; weder Umwelt- noch Sozialverbände lassen daran ein gutes Haar. Gemessen an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, auf die sich Aktive der Klimabewegung berufen, wären viel ambitioniertere Maßnahmen zur Senkung der Emissionen nötig.

Regierungshandeln, als hätte die AfD doch ein bisschen Recht

Stattdessen will die Ampel-Regierung inklusive der grünen Minister nun die Sektorziele im Klimaschutzgesetz streichen. Demnach soll die Verantwortung für den Ausgleich verfehlter Ziele nicht mehr bei den zuständigen Ministerien liegen, sondern bei der Bundesregierung als Ganzes. Das wird manchen Ressortchef aufatmen lassen. Wer aber daran interessiert ist, dass die Ziele eingehalten werden, ahnt Böses.

Die Leugner von der AfD offiziell als Scharlatane zu betrachten, aber selbst so zu handeln, als hätten sie doch ein bisschen Recht – nämlich stillschweigend den Weltklimarat und die Warnungen vor den Kipppunkten im Klimasystem nicht ernstzunehmen – wirkt unglaubwürdig.

So gesehen haben es Parteien, die das Problem als solches anerkennen und versprochen haben, Teil der Lösung zu sein, natürlich von Haus aus schwerer. Es wird ihnen aber auch nicht gedankt, wenn sie tun, was die Grünen zwar nie zugeben würden, aber in der Praxis doch tun: sich in einer Politik der ausgewogenen Mitte zwischen der "Follow the Science"-Fraktion und den Leugnern versuchen.

Letztere werden nämlich ausnahmslos jeden Klimaschutz zu teuer für Staat und Gesellschaft finden – egal, wer ihn genau bezahlen soll und ob er sozial abgefedert wird oder nicht. Schlicht und einfach, weil aus ihrer Sicht überhaupt kein Schaden durch Unterlassung und "Weiter so" droht. Wozu dann die nervige Transformation? Dass der Normalwahnsinn, den die Mehrheit – nicht nur der AfD-Wähler – täglich mitmacht, in die Katastrophe führt, ist keine angenehme Erkenntnis.

Da glaubt man doch viel lieber, dass die deutsche Durchschnittsfamilie noch in 50 bis 100 Jahren mit dem Diesel ins Naherholungsgebiet fahren kann und trotzdem gesunde Bäume, Schmetterlinge und Blumen vorfindet. Und wenn nicht mit dem Diesel, dann eben im Elektro-SUV, der mit Kohlestrom geladen wird, damit nicht zu viele Windräder die Landschaft verschandeln.

Denn die allermeisten AfD-Wähler hassen ja die Natur nicht. Sie wollen nur beispielsweise nicht einsehen, dass sie sich zwischen einer halbwegs intakten Umwelt und dem langjährigen Erfolgsmodell "Autoland" entscheiden müssen. Aber das wollen ja auch viele Wähler anderer bürgerlicher Parteien nicht – bis hin zu manchen Anhängern der Noch-Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht. Auch Grünen-Politiker wie Baden-Württembergs Landesvater Winfried Kretschmann stehen für einen versöhnlichen Kurs gegenüber der Autoindustrie und bereiten der umweltbewussten Zielgruppe Bauchschmerzen.

Wer die Umweltkrise nicht leugnet, aber in der Praxis auch nicht richtig ernst nimmt, muss Frust und Enttäuschung in der eigenen "Bubble" aushalten und mit Stimmenverlusten rechnen. Da ist die AfD klar im Vorteil: Sie ist zur Wohlfühlpartei derjenigen geworden, die das Problem nicht wahrhaben wollen oder glauben, sie seien schon alt genug, um dadurch nicht mehr beeinträchtigt zu werden.

Die AfD bietet ihnen dazu noch die Illusion an, dass auch die Generation ihrer Kinder und Enkel nichts zu befürchten hätte, wenn – ja, wenn doch nur endlich die Grenzen dichtgemacht würden.

Eine Wohlfühlpartei der "Follow the Science"-Fraktion gibt es nicht

Die Grünen sind aber nicht die Wohlfühlpartei der "Follow the Science"-Fraktion, des Humanismus und der besorgten jungen Leute, die fest davon ausgehen, die Klimakatastrophe im Lauf ihres Lebens noch deutlich zu spüren bekommen. Klimabewegte verteidigen zwar die Grünen gegen haltlose Hetz- und Hasstiraden der Leugner, sie sehen aber in den Grünen keine parlamentarische Vertretung, auf die sie sich verlassen können.

Die Klimabewegung orientiert sich nach wie vor an den Notwendigkeiten, die vom Weltklimarat, vom UN-Generalsekretär und vom Bundesverfassungsgericht kommuniziert werden. Deshalb wird ihr auch weiterhin nicht entgehen, wenn die Politik der Bundesregierung trotz aller Lippenbekenntnisse unzureichend ist, um irreversible Schäden abzuwenden – und sie wird darauf hinweisen, wie es aktuell Fridays for Future, Ende Gelände, Extinction Rebellion, die "Letzte Generation" und diverse Umweltverbände tun.

Die Grünen glauben, wenn sie ein bisschen was bin Richtung Klimaschutz tun, sind sie die Guten oder werden zumindest als kleineres Übel gewählt. Sie wollen aber die Verdrängungsgesellschaft nicht überfordern und die Superreichen nicht zur Kasse bitten, um die ökologische Transformation wirklich sozial zu gestalten.

Die AfD ist in der komfortablen Situation, keine Vorschläge zur sozialen Ausgestaltung machen zu müssen, weil das Problem für sie nicht existiert und deshalb sowieso keine Gegenmaßnahmen getroffen werden müssen. Der AfD gelingt es, kurzfristige Existenzängste in Bezug auf steigende Kosten zu instrumentalisieren, während die Grünen und die Ampel insgesamt keine beruhigende Antwort auf mittel- bis langfristige Existenzängste im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe geben können.

Die Systemfrage ist mit Händen zu greifen

Das ist das Dilemma der Grünen – unsozialer Klimaschutz ist nicht mehrheitsfähig, sozialer Klimaschutz passt aber nicht zum Wirtschaftssystem. Wachstum, Wachstum, Wachstum in einer Welt mit endlichen Ressourcen ist überhaupt nicht mit effektivem Umwelt- und Klimaschutz vereinbar. Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann hat das begriffen – sie sieht vor diesem Hintergrund den Kapitalismus am Ende und ist daher für die FDP als Koalitionspartner der Grünen ein rotes Tuch.

Die AfD ist in diesem Sinne kein bisschen systemkritisch: Sie spricht eine Zielgruppe an, die mehr Angst vor "Überfremdung" hat als vor einer ungebremsten Klimakatastrophe. Geschäfte mit arabischen Schriftzügen im Stadtbild scheinen diese Gruppe mehr zu stören als die Aussicht, dass vertraute deutsche Landschaften immer wüstenähnlicher werden könnten.

Wenn dann eines Tages im Sommer das Wasser rationiert werden muss, dann wird das für sie eben linksgrünversiffte Verbotspolitik sein, die keiner realen Mangellage geschuldet ist. Aber so weit ist es ja in großen Teilen Deutschlands noch nicht; und Menschen, die langjährige Erfahrung damit haben, wollen "wir" hier sowieso nicht.

Die AfD verkauft den Traum von der Insel der Glückseligen, der mit einer großen, aus ihrer Sicht "gesunden" Portion nationalem Egoismus zu verwirklichen sei. Sich gegen das Elend der Welt abzuschotten, erscheint ja auch auf den ersten Blick leichter als eine sozial-ökologische Transformation, die gegen die Interessen mächtiger Kapitalfraktionen durchgesetzt werden muss.

Eine Wohlfühlpartei für Menschen, die wirklich an fairen und nachhaltigen Lösungen interessiert sind, für "Gerechtigkeitsfanatiker" und Klimaaktivistinnen, gibt es im Deutschen Bundestag nicht. Dazu wirkt die Linkspartei, die das programmatisch am ehesten sein könnte, schon seit längerer Zeit viel zu zerstritten.

Das "Wagenknecht-Lager" ist nicht gut auf die Klimabewegung zu sprechen und umgekehrt; ähnlich sieht es mit diesem Lager und Initiativen aus, die sich für Solidarität mit Geflüchteten einsetzen. Auch hier haben die Grünen mit ihrer Zustimmung zum EU-"Asylkompromiss" gerade wieder Teile der eigenen Basis enttäuscht, die jetzt nicht so recht weiterwissen.

Allerdings könnten, wenn es zu einer Trennung der zerstrittenen Linken kommt, die Karten in der deutschen Parteienlandschaft neu gemischt werden. Eine "Wagenknecht-Partei" könnte laut Umfragen den Höhenflug der AfD beenden.

Die ehemalige Fraktionschefin der Linken zielt auf die Stimmen derjenigen ab, die "aus Protest" AfD gewählt haben, ohne ein geschlossenes rassistisches Weltbild zu pflegen – auf Stimmen von Menschen mit Abstiegs- und Existenzängsten, die die Klimakrise zwar nicht unbedingt leugnen, aber diesbezüglich auch keinen akuten Handlungsbedarf sehen. Jedenfalls nicht in Deutschland, dessen Klimabilanz sie gerne mit der von bevölkerungsreichen Entwicklungs- und Schwellenländern vergleichen. Sie wollen den "Standort Deutschland" erhalten und wünschen ihn sich ein bisschen sozialer – zumindest für Alteingesessene.

Vielleicht kann eine "Wagenknecht-Partei" hier tatsächlich die weitere Radikalisierung nach rechts stoppen. Allein deshalb sollte Die Linke sie gehen lassen, ohne auf Teufel komm raus die Schuldfrage klären zu wollen, wer denn nun die Partei gespalten hat. Was nicht zusammenpasst, passt nicht zusammen.

Die "Rest-Linke" – die im Parteivorstand allerdings die Mehrheit stellt – hätte aber vielleicht die Chance, einen Großteil derjenigen zu erreichen, die von der Klima- und Asylpolitik der Grünen enttäuscht sind, die umweltbewusst, aber nicht elitär sind und langsam begreifen, dass sie um die Systemfrage nicht herumkommen.

Dass FDP-Anhänger trotz der gegenwärtigen Machtposition ihrer Partei, die immerhin den Finanzminister auf Bundesebene stellt, so dünnhäutig sind und sich genötigt sehen, eine Mini-Demo gegen eine Lesung der Kapitalismus-Kritikerin Ulrike Herrmann zu veranstalten, könnte in diesem Zusammenhang Hoffnung machen.