Dieses subtile Gefühl der Angst
Monoliths F.E.A.R. versucht dem gewohnten Schock-Horror im Egoshooter leisere Akzente abzugewinnen - und mahnt dabei die ureigensten Möglichkeiten des Genres ein
Horror im Computerspiel - die Idee der Verbindung dieser zwei Publikumsmagneten ist nicht neu. Auch subtileren Grusel im Spiel gibt es seit Jahren, allerdings vor allem in Form von hauptsächlich auf den Konsolen beheimateten Action-Adventures, gemeinhin als Survival-Horror-Games bezeichnet. Silent Hill, Resident Evil und eine Unzahl anderer Titel sind seit Jahren auf den Konsolen große Publikumslieblinge, die das Spiel mit der Angst perfektioniert haben. Ins Genre des Egoshooters allerdings ließ sich der leise Horror bisher nur bedingt übertragen; obwohl zahllose Shooter teils recht ausgiebig mit Horrorelementen und -plots spielen, lag hier der Fokus in den meisten Fällen auf der Schockwirkung von plötzlich auftauchenden Gegnern und makabren Dekorationen. Und so konnte man sich in ganz dem Horror verschriebenen Spielen wie Blood, Undying, Painkiller und natürlich Doom III, aber auch in dementsprechenden Szenen anderer Spiele (etwa die Begegnung mit dem "Swarm" in Halo, die Headcrab-Zombies bei der Half-Life-Reihe etc.) regelmäßig erschrecken lassen. Der subtilere Horror, den Konsolengrößen wie etwa Silent Hill mit ihrer atmosphärischen Mischung aus David Lynch, Dario Argento und japanischen Mangas perfektioniert haben, ließ sich bisher jedoch nicht richtig mit dem Genre des Egoshooters in Einklang bringen.
Ein Ansatz zur Erklärung dieses eigentlich überraschenden "Mangels" liegt vielleicht in den Besonderheiten des am Computer beheimateten Genres Egoshooter. Konsolentitel, die typischerweise am TV gespielt werden, lassen als "Lean back"-Medien vielleicht der subtilen Angst mehr Raum als Egoshooter am PC, die als "Lean forward"-Spiele mit einem mehr oder weniger angespannt am Arbeitsplatz Computer sitzenden Spieler rechnen müssen.
Abgesehen von diesen möglicherweise technischen Ursachen stellt aber auch der das Genre Egoshooter definierende Blick durch die Augen des Protagonisten eine Herausforderung für komplexeren Spannungsaufbau und die "Produktion" von Angst heraus; den im Spiel mit der Angst des Spielers sehr erfolgreichen "Survival-Horror"-Spielen gemeinsam ist die von Szene zu Szene wechselnde, mehr oder weniger fixe Kameraeinstellung, die filmische Einstellungen ermöglicht und die Spielfigur von außen darstellt. Analog zum Film können so bedrohliche Szenen stärker durch Schnitte, Kamerawinkel und Inszenierung betont werden, ein wichtiges atmosphärisches Hilfsmittel, das beim Egoshooter ausgespart bleiben muss - wenn der Spieler gerade in eine andere Richtung schaut, nutzt das gruseligste Script-Ereignis nichts, und filmische Zwischensequenzen zerstören oft die nahtlose Immersion des Spielers und die für jede Spielart der Phantastik nötige "Suspension of Disbelief".
Ein möglicher "missing link": Surreal Software, für das ebenfalls kürzlich bei Publisher Midway erschienene Horrorspiel The Suffering: Ties that bind verantwortlich, bezeichnen ihre Genrenische als "Action-Horror", der sich deutlich vom Survival-Horror-Genre japanischer Prägung unterscheide - die "American version of Horror", wie es Suffering-Produzent Noah Heller nennt. The Suffering verbindet die vom Survival-Horror bekannte Außensicht der Spielfigur mit dem stark action-orientierten Gameplay und der intuitiven Steuerung von Egoshootern. Auch der zweite Teil der Suffering-Reihe bietet allerdings hauptsächlich Schock-Horror; die beklemmenden Angstszenarien, wie sie zuletzt die inzwischen leider aufgelassenen Spielehersteller Troika im Action-Rollenspiel Vampire - The Masquerade: Bloodlines (2004) im dafür viel gerühmten "Ocean House Hotel"-Schauplatz zuwege gebracht hatte, werden in "Suffering" oft durch die massiven Kämpfe unterbrochen und atmosphärisch abgewertet.
In der Tat scheint es problematisch, die im Actionspiel (also etwa im Egoshooter) obligatorische souveräne Heldenfigur, die es im Verlauf eines Spiels mit unzähligen Gegnern aufnimmt, mit den relativ schwachen und in ihrer Bedrohtheit menschlichen Helden/Opfern in Einklang zu bringen, die in vielen Horrorfilmen (und auch im Survival-Horror-Genre) als Hauptfiguren erst für das Gefühl der Bedrohung durch das Böse sorgen.
Ringu meets SWAT
F.E.A.R., der kürzlich von Monolith Games veröffentlichte, heiß erwartete Egoshooter, verspricht, diese Gegensätze zu vereinen - und einen neuen Ansatz beim Angstmachen. Kurz zusammengefasst erzählt F.E.A.R. die Geschichte eines Sondereinsatzkommandos für Paranormales, das im Lauf einer Nacht einem telepathisch begabten Mutanten hinterher jagt, der von einer Armee von geklonten Soldaten verteidigt wird. Dabei trifft der Spieler wiederholt auf furchterregende Visionen, die auf die geheimnisvolle Vergangenheit sowohl des Verfolgten als auch des Verfolgers selbst hinweisen.
Im Spiel zeigt sich diese Mischung aus militärischem und übernatürlichem Setting leider nicht ganz bruchfrei als Wechsel zwischen beeindruckend in Szene gesetzten Horrorvisionen und routinierten Kämpfen gegen die intelligenten, aber auf Dauer etwas einförmigen Gegnerscharen. Technisch und spielerisch interessant ist der gelungene Einsatz von verfremdenden Grafikfiltern und die aus Max Payne bekannte Zeitlupenfunktion, die die Kämpfe erleichtert und die Feuergefechte spektakulär in Szene setzt. (Detail am Rande: Ein weiterer mit Horrorelementen spielender, in Deutschland indizierter Egoshooter, Cyclone Studios Requiem: Avenging Angel, war bereits 1999 eines der ersten Spiele, das zwei Jahre vor Max Payne die Zeitlupe als Spielelement einführte.)
Der große Erfolg des uninspiriert "J-Horror" getauften jüngeren asiatischen Horrorkinos im Westen, 1998 eingeleitet durch Hideo Nakatas "Ringu", hat in F.E.A.R. seinen Niederschlag im Genre des Egoshooters gefunden, nachdem in einigen Hollywood-Remakes (mit "The Ring" 2002, "The Grudge" 2004 und "Dark Water" 2005 sind drei der erfolgreichsten Horrorstreifen aus Hollywood Remakes japanischer Erfolgsfilme) der Kulturtransfer zumindest im Kino kommerziell erfolgreich war. F.E.A.R. bedient sich recht selektiv bei den großen Motiven der drei genannten Filme, die nicht nur im Westen als kommerziell und künstlerisch relevanteste Exponenten des J-Horrors gelten (Obwohl, dies sei angemerkt, ambitioniertere und originellere Regisseure seit Jahren erfolgreich an der Erweiterung und Dekonstruktion des gehypten Klischees arbeiten, wie etwa zum Beispiel Takashi Miike mit "Chakushin Ari" (One Missed Call, 2003) oder der Koreaner Ji-Woon Kim mit "Janghwa, Hongryeon" (A Tale of two Sisters, 2003).).
Vor allem die im Spiel zentrale Figur des als bedrohlicher Geist auftauchenden Mädchens mit langen schwarzen Haaren kann wohl inzwischen als stereotypes Symbol für J-Horror schlechthin betrachtet werden. Doch nicht nur ikonografisch, sondern auch stilistisch versucht sich F.E.A.R. an den Werkzeugen des J-Horrors. Besonders gelungen ist das Sounddesign des Spiels; im Großteil relativ ruhig gehalten überraschen und erschrecken punktuell perfekt gesetzte filmische Sound-Glanzlichter. Der abwechslungsreiche, aber nie aufdringlich eingesetzte Dark-Ambient-Soundtrack erinnert an Bill Laswells diesbezügliche Arbeiten oder gar Aphex Twins legendäre "Selected Ambient Works II" und leistet ganze Arbeit, wenn es um die Herstellung beklemmender Atmosphären geht.
Im Körper des Opfers
Was F.E.A.R. jedoch in Sachen Horror von anderen Spielen abhebt, ist das konsequente Spiel mit der Wahrnehmung. Gerade im Egoshooter, der den Spieler konkret im Körper und somit in der Wahrnehmung einer Spielfigur verortet, ist der Spieler einer tatsächlich subjektiven Weltsicht ausgeliefert. F.E.A.R. verunsichert diese Perspektive durch clever gesetzte, oft nur Sekundenbruchteile dauernde Halluzinationen, durch alptraumhaft anmutende Filter- und Verlangsamungseffekte und nicht zuletzt durch aus dem Off kommende "innere Stimmen", die als Botschaften des vom Spieler Verfolgten oder aus der Vergangenheit zu kommen scheinen.
Hier zeigt sich ein viel versprechender Ansatz, dem speziellen Standpunkt des Genres eine eigenständige Horrorthematik zuzuordnen: die Verunsicherung der Realität, die Verwischung der Grenzen der Wahrnehmung, die für wahr nehmen muss, was präsentiert und wahrgenommen wird. In diesen Momenten ist F.E.A.R. tatsächlich als Spiel sogar dem Film in Sachen Immersion um einige Gänsehautgrade überlegen.
Dabei spielt F.E.A.R. auch in Details mit der betonten Körperlichkeit der Perspektive - zusätzliche Animationen beim Aufstehen vom Boden, wenn sich der Protagonist mit den Ellbogen aufstützt, beim Leiterklettern oder der allgegenwärtige Schattenwurf der eigenen Figur verorten den Spieler mehr im Körper des Protagonisten, als dies den meisten Egoshootern zuvor gelungen ist. F.E.A.R. versichert den Spieler seiner virtuellen Körperlichkeit in diesem großen Ausmaß, um diese Immersion durch die Halluzinationen und Wahnvorstellungen der furchterregenden Geistererscheinungen danach wieder gekonnt zu brechen. Dieser bewusste Umgang mit der ureigensten Perspektive zeichnet F.E.A.R. vor anderen Spielen seines Genres aus. Dass die Handlung auch zentral um die Identität des namen- und sprachlosen Helden kreist, der durch diese sparsame Charakterisierung die klassische "Leerstelle" als Identifikationsfigur darstellt, hätte noch mehr dazu beitragen können, F.E.A.R. auch als paradigmatische Selbstreflexion des Egoshooters und seiner Mechanismen lesbar zu machen.
Doch leider kann F.E.A.R. diese Versprechen nicht zur Gänze und über längere Dauer einlösen. So zeigt sich auch in der relativen "Textlastigkeit" ein Manko des Spiels, denn der beabsichtigte Horror und das Verständnis der sich kompliziert gebenden, aber eigentlich recht primitiven Handlung stellen sich zum Großteil über gesprochenen Text dar. Die Momente des Grauens sind hier auch die Momente des Verstehens der Handlung - und während in manchen Szenen ärgerlicherweise für die Story essenzielle Hinweise gegeben werden, während man in alptraumhaften Zwischensequenzen hektisch gegen von allen Seiten auftauchende Geister kämpfen muss, präsentiert sich ein weiterer Großteil der Story im Gegensatz dazu in Form von schnöden Anrufbeantworternachrichten, die einen weiteren Puzzlestein an Information liefern sollen.
Die Story, die all die herausragend inszenierten Horrormomente letztlich begründen soll, ist relativ banal und entspricht dem im J-Horror fast durchgängigen Gothic-Novel-Schema: Im Verlauf der "Geistergeschichte" muss der Protagonist ein Trauma oder Unrecht der Vergangenheit aufdecken, das die Ursache für den Spuk der ruhelosen Seelen ist. Leider muss der Versuch, diese Geschichte zu erzählen und sie zugleich mit den bekannten Spielmechaniken des Egoshooters zu verbinden, als nur bedingt gelungen bezeichnet werden. Die hervorragenden Horrorelemente verbinden sich nur selten mit den eigentlich an "realistische" Shooter wie "Soldier of Fortune" oder auch "Max Payne" erinnernden Feuergefechten in oft leider etwas farblosen Fabrikshallen, Büros oder Laboratorien.
F.E.A.R. bringt das an Ermüdungserscheinungen leidende Genre Egoshooter also zweifelsohne voran, zeigt aber zugleich, dass die Verbindung der spielerischen mit den erzählenden Elementen die große Herausforderung (nicht nur) des Genres Egoshooter ist und auf absehbare Zeit bleiben wird. Vielleicht wäre es auch an der Zeit, dass innovations- und risikofreudige Entwickler auch die erzähltechnischen Chancen und Möglichkeiten der subjektiven Egoperspektive erkennen und, wie in F.E.A.R. begonnen, diese konsequent weiterentwickeln - vielleicht auch ohne Shooter-Pflichtanteil.
So bleibt F.E.A.R. ein hervorragender, routinierter Egoshooter, dessen erzählende Horrormomente den spielerischen Teil überragen, sich diesem aber nur bedingt angliedern können. Es bleibt die Freude über ein fast gelungenes Experiment - und die Hoffnung, dass dieser Weg mit mehr Konsequenz weiterverfolgt wird.