Digitale Wölfe im analogen Schafspelz
Digitaltechnik ist nun selbstverständlich, jetzt soll die Optik auch zufrieden stellen
Als die ersten digitalen Armbanduhren auf den Markt kamen, waren die damaligen roten Leuchtziffern Design genug: die Mondlandungs-Optik reichte, um zu begeistern, auch wenn die Uhr im ausgeschalteten Zustand nur ein klobiges Stück Metall mit einem dunklen Plexiglasbuckel war. Heute dagegen sind Digitaluhren zumindest am Arm „out“, das traditionelle Design mechanischer Chronometer ist gefragt, selbst wenn eine hochmoderne Funkuhr dahinter steht. Man fühlt sich von einer Analoganzeige zudem weniger gestresst. Ähnlich scheint es sich in der Fotografie zu verhalten.
Die ersten digitalen Fotokameras kamen von Kodak und Casio und sahen wie klobige beziehungsweise etwas missratene Taschenrechner aus. Die Bedienung war unendlich unkomfortabel und das Ergebnis scheußlich, vergleichbar einem sehr einfachen Kamerahandy heute. Dafür wurden Batterien in rauen Mengen verschlungen. Benutzt wurden solche Teile eigentlich nur von Verrückten, sprich Onlinern, um die Bilder vom letzten Usertreffen sofort in der gleichen Nacht ins Forum stellen zu können. Die dabei an einem Abend vom Fotografen zurückgelassenen Batterien konnten Radios, Fernbedienungen und Wanduhren der anderen Teilnehmer noch Monate versorgen…
Olympus brachte dann die erste digitale Kamera heraus, die auch tatsächlich wie ein Fotoapparat aussah. Doch das Gerät hatte noch erhebliche Macken: Es war sehr unempfindlich, sodass in Innenräumen fast nur verwackelte Aufnahmen entstanden, es hatte den Ausschalter genau da, wo bei einer normalen Kamera der Auslöser sitzt, weshalb es meistens fünf bis sechs Versuche brauchte, um ein Bild in den digitalen Kasten zu bekommen, statt einfach auszuschalten, und es hatte nur eine langsame, serielle Schnittstelle.
Von dieser dauerte die Übertragung der damals noch nicht megapixelgroßen Bilder etliche Minuten und man musste zittern, ob die Batterien solange durchhalten. Der Hersteller betonte, dass man die Kamera nur mit angeschlossenem Netzteil entladen solle, und auch, dass nur das Original-Netzteil verwendet werden dürfe. Doch das war serienmäßig selbstverständlich gar nicht dabei. Dass man die aufgenommenen Bilder also nicht nur den Umsitzenden stolz auf dem kleinen LCD zeigen, sondern tatsächlich dauerhaft abspeichern wollte, galt offensichtlich als ungewöhnlicher Sonderwunsch.
In der Folgezeit war es daher am einfachsten, Bilder mit einer Videokamera aufzunehmen und dann den entsprechenden Frame heraus zu schneiden – oder gleich eine Standbildfunktion zu verwenden. VGA-Auflösung schaffte man so auch, hatte garantiert immer den richtigen Schnappschuss-Moment im Bild und sogar eine hohe Lichtempfindlichkeit, bei der gewöhnliche, mit Film arbeitende Fotoapparate, neidisch werden mussten.
Erst um das Jahr 2000 herum wurden die digitalen Fotokameras kleiner, erreichten mehrere Megapixel Auflösung und eine Bildqualität, die nun außerhalb optimaler Beleuchtungssituationen plötzlich deutlich über der von analogen Modellen mit Film lag. Trotzdem war die Digitalfotografiererei anfangs noch die Ausnahmesituation. Heute dagegen ist sie zum Standard geworden, da eigentlich jeder einen Computer zuhause stehen hat. Und wenn man Oma ein Bild geben will, kann man ja immer noch den Drucker bemühen oder eine CD voller Bilder zum Ausbelichten ins Labor geben.
Wer darunter etwas leidet, ist der traditionelle Fotohandel, dessen eigentliches Geschäft schon immer weniger bei den Kameras, als bei der Bilderentwicklung lag, die heute eben gar nicht mehr stattfindet. Zwar nimmt man sich immer einmal vor, die Tausende von Bildern auf Festplatten und CDs durchzugehen, die besten herauszusuchen und zum Ausbelichten ins Labor zu tragen, doch eigentlich kommt es nie dazu, zumal die ganzen Abzüge dann ja auch noch wieder ordentlich in ein Fotoalbum geklebt oder gerahmt und an die Wand gehängt werden müssten, wenn man nicht mit einer Digitalfotosammlung in der Schuhschachtel schockieren will.
Um diese Faulheit des Digitalfotografen auszunutzen, gibt es nun Fotobücher, in die Hunderte von Bildern automatisch eingebelichtet werden – der Digitalfotograf muss nur eine CD voller Bilder mitbringen und kann nach ein paar Tagen sein Geschenk für Oma fix und fertig abholen. Auch diejenigen, die zwar eine Digitalkamera haben, doch keinen Computer, was zumindest bei der älteren Generation noch vorkommen kann, sind so gut bedient. Typische Billiglabore wie Cewe Color, die in analoger Filmzeit für Fotografen ein echtes Problem darstellten, weil die Filme oft beschädigt voller Kratzer, Fingerabdrücke und Kaffeetassenabdrücken zurückkamen, können nun ohne Gefahr für die unersetzlichen Aufnahmen konsultiert werden.
Nur logisch, dass eben jenes Cewe Color-Labor erstmal seinen Stand auf der Photokina gemietet hat, die dieses Jahr neben einigen Action-Arealen, in denen hübsche Vögel oder Mädchen fotografiert werden können, in der Hallenaufteilung dem klassischen Produktionsablauf eines Fotos nachempfunden ist, obwohl genau dies fast schon der Vergangenheit angehört – bei den meisten Digitalkamerabesitzern lautet der Ablauf längst: Aufnehmen, Herunterladen, auf dem Bildschirm anschauen und dann vielleicht noch per E-Mail verschicken.
Von den drei Megapixel des Jahres 2000 sind wir mittlerweile bei zehn Megapixel als neuen Standard angelangt, was nicht unbedingt bessere Bilder ergibt, weil währenddessen in den digitalen Kompaktkameras die Bildaufnehmerchips kleiner geworden sind. Das bringt zwar ein scharfes Bild von vorn bis hinten wie bei den früheren Pocketkameras, doch mit der eben von denen auch bekannten Schwäche, dass die Bildqualität zu wünschen übrig lässt: ein kleiner Chip mit vielen Pixeln rauscht viel zu stark, was dann mit Bildverbesserungsalgorithmen weg retuschiert wird, worunter aber wieder die Schärfe leidet. Bei den Kompaktkameras ist deshalb zur Zeit das Modell vom letzten Jahr, das damals noch teurer war, aber jetzt gebraucht billig zu haben ist, die technisch bessere Lösung, als sich die allerneueste Kamera mit preiswertem, aber rauschenden Minichip zuzulegen.
Wer dieses Problem vermeiden will, muss zu digitalen Spiegelreflexkameras greifen, die weit günstiger geworden sind und damit auch für den engagierten Hobbyfotografen in Frage kommen. Es bleibt nur das Problem des höheren Gewichts gegenüber den Taschenknipsen, aber das war immer schon so und selbst die Taschengeräte liefern heute bessere Bilder als ihre einstigen analogen Vorbilder, von billiger Pocket- und Disc- bis teurer Minox-Kamera.
Die Frage analog oder digital ist somit selbst für Puristen geklärt, die nur die Fähigkeiten ihrer einstigen teuren Prunkstücke vermissen – vom wertigen Aussehen bis zur klassischen analogen Bedienung. Dem kommt der Traditionshersteller Leica entgegen, indem er nun auch seine klassischen Messsucherkameras digitalisiert. Dies ist gar nicht so einfach, weil der Digitalchip mit den klassischen Leica-Objektiven zunächst einmal nicht besonders gut zusammenarbeitet: Während ein Film auch von schräg einfallenden Lichtstrahlen bestens belichtet wird, gelingt dies beim Chip nicht. Bei der neuen M8 hat deshalb Leica eine zusätzliche Mikrofresnellinse auf die Halbleitersensor gelegt, die das Licht entsprechend umlenkt.
Auch die technisch interessante Olympus E330 Spiegelreflex-Qualität mit dem Komfort gewöhnlicher Digitalkameras ist nun in zwei weiteren Varianten verfügbar, von Panasonic und von Leica. Der eine Unterschied liegt im Preis: Während das Original von Olympus mit einem Standardzoom um die 900 Euro verkauft wird, liegt die Panasonic-Variante schon bei 2000 Euro und das Modell von Leica bei 2500 Euro. Beide haben ein besonderes hochwertiges Leica-Objektiv und das, was bei Olympus noch gefehlt hatte beziehungsweise als digitale Mogelpackung mitgeliefert wurde: ein Anti-Verwacklungs-Mechanismus.
Dafür beherrschen sie allerdings auch nur den Modus B des Olympus-Geräts, bei dem das Monitorbild zwar wirklich direkt durch die Linse mit dem Hauptsensor aufgenommen wird und nicht mit dem Nebensensor im Sucher, doch dafür muss vor dem Autofokus und Auslösen erst einmal der Spiegel hoch geklappt werden. Die lästige Folge: Auf dem Monitor erscheint zunächst nur ein völlig unscharfes Bild, das erst nach einem Drücken des Auslösers und einer Sekunde Wartezeit scharf und erkennbar wird. Soll dann tatsächlich aufgenommen werden, ist nochmals eine Wartezeit fällig. Damit sind diese Kameras langsamer als die allerersten digitalen Fotokameras aus dem letzten Jahrtausend.
Das Gros der digitalen Spiegelreflexkameras bietet allerdings kein Monitorbild, bevor der Fotograf mindestens einmal ausgelöst hat. Den Bildschirm als Sucher hernehmen kann man an diesen Geräten also nicht, sondern muss den optischen Sucher verwenden, der aber meist nicht so lichtstark ist wie bei Kleinbildkameras und Brillenträger nervt.
Auch Hersteller wie Samsung, die gerade erst in den Markt der digitalen Kompaktkameras eingestiegen sind und dabei im Gegensatz zu den großen Digitalkameraherstellern gar nicht Wert auf eine traditionelle Bedienung legen, sondern mit höchst merkwürdigen Tastenaggregaten auf den Rückseiten der Kameras die richtige Bedienung eher zur Glückssache werden lassen, stürzt sich nun auf digitale Spiegelreflexkameras und will bald gar Nummer drei am Markt sein. Doch da ist selbst Panasonic mit seiner einzigen digitalen Spiegelreflexkamera noch in einer besseren Position, denn zumindest dieses Jahr werden digitale Spiegelreflexkameras noch nicht bei Aldi verramscht, Nonames und Newcomer haben hier noch nichts zu melden. Im Gegenteil, manche Geräte liegen in Preisregionen, die Analogfotografen neidisch werden lassen.
Doch es wird zukünftig schwieriger, sich zu entscheiden, welches Gerät nun wirklich das Beste ist: das mit dem großen rauscharmen Chip, dass mit dem guten Objektiv, das mit dem objektivunabhängigen optischen Bildstabilisator, das mit der hohen Dynamik oder dasjenige, was den Fotografen nicht durch irgendwelche unerwarteten Bedienungstücken irritiert. Wirklich falsch machen kann man allerdings beim Kamerakauf mittlerweile nicht mehr, solange man sich über die eigenen Ansprüche im Klaren ist: Reicht eine Online-Partyknipse im Handy, soll es schon eine richtige Kamera, aber noch im Kompaktformat sein oder ist wirklich ein semiprofessionelles Gerät angesagt?
Angesichts des schnellen Erfolgserlebnisses der digitalen Fotografie steigt jedoch auch die Lernkurve des Fotografen schneller an, sofern er überhaupt ein Talent für die Fotografie hat: er erkennt seine Anfängerfehler schneller und produziert zwar zunächst Unmengen digitalen Bilderschrotts, doch mit der Zeit durchaus brauchbare Ergebnisse. Und dies ist dann wiederum von der Qualität der Kamera unabhängig. Es ist nicht jeder zum Fotografieren geboren, aber ob mit oder ohne Talent, es macht digital mehr Spaß.
Nur der Umsatz der auf diese Art stärker als je zuvor boomenden Fotoindustrie geht in Sachen Hardware außer Landes: was die Handybranche erst jetzt erlebt, hat die Fotoindustrie längst hinter sich und belebt ähnlich wie die Unterhaltungselektronik nur noch alte virtuelle Werte, sprich Traditionsmarken, denn selbst die Technik in den Leica-Geräten kommt nur noch teilweise von Leica und zu großen Teilen aus Fernost – aus dem Land des „Bitte Lächelns“.