Diktatur der Angestelltenklasse
"So ein Verhör dauert schon drei Stunden, und das war’s dann mit dem Flug"
Das Problem mit den zunehmend schärferen Sicherheitsmaßnahmen sind weniger die Maßnahmen an sich; die meisten oder zumindest viele von ihnen mögen im Grunde genommen sinnvoll sein. Das Problem ist das anwachsende Klima der Unsicherheit, das missbraucht werden kann. Um diese Behauptung nicht im Zustand des Theoretischen verharren zu lassen, sei dies an einer kleinen Anekdote illustriert, die sich am letzten Wochenende im Flughafen München zutrug.
Wer öfter fliegt, kennt die Vorzüge der Exit-Sitzreihe. Dort ist der Sitzabstand dramatisch größer, damit im Katastrophenfall der Fluchtweg zum Notausgang offen steht. Nachteil für den Passagier ist, dass nicht erlaubt ist, ein Gepäckstück unter die Sitzreihe davor zu schieben, und dass es etwas kühler ist. Doch diese Einschränkungen werden leicht davon aufgewogen, dass erheblich mehr Beinfreiheit zur Verfügung steht.
Manche Billigflieger verkaufen die Exit-Row-Plätze separat, mit einem zweistelligen Europreis als Aufschlag. Doch die meisten Airlines vergeben die Exit-Row kostenlos, dafür aber erst am Tag des Flugs beim Check-in, um sich dort noch einmal genau von der Eignung des Passagiers (gute Englischkenntnisse und körperliche Eignung, nötigenfalls Hilfe leisten zu können) überzeugen zu können. Auch dieses Konzept wird nicht ganz durchgehalten. So erlaubt Lufthansa z.B. ihren Statuspassagieren ab dem Senator, Exit-Row-Plätze vorab zu reservieren. Da Senatoren als zusätzliches Statusprivileg den Nachbarplatz blockieren (d.h. freihalten) lassen können, gibt es zu dem Zeitpunkt, zu dem der Check-in beginnt, oft gar nicht mehr so viele verfügbare Exit-Row-Plätze. Folglich bleibt für langbeinige Menschen ohne Senatorkarte nur eines: Wirklich früh da sein und hoffen.
So wie letzten Freitag Abend, Flug mit Spanair nach Valencia, Sammel-Check-in der Star-Alliance bei Lufthansa. Auf meine höfliche Frage, ob es noch Exit-Row-Plätze gebe, kam die erlösende Antwort: Ja, und sogar zwei. Aber dafür müssten meine Begleiterin und ich das Handgepäck einchecken, die einzigen Gepäckstücke, die wir mitführten.
Handgepäck unterliegt strengen Richtlinien. Die so genannten IATA-Maße von 55x40x20 cm und 6 Kilo stellen nur eine Empfehlung dar, und wer wirklich sicher gehen will, dass ihn keine Airline zum Einchecken zwingt, sollte sich besser auf 50x40x20 cm und 5 Kilo beschränken, so wie wir.
Es gibt zunächst einmal keinen Zusammenhang zwischen Exit-Row und Handgepäck, außer dem, dass das Handgepäck nicht unter dem Vordersitz platziert werden darf. Da sich nun Köfferchen mit 20 cm Höhe ohnehin nicht unter dem Vordersitz platzieren lassen, landen sie in jedem Fall in den Overhead-Compartments, Exit-Row oder nicht Exit-Row. Ein Sitzplatz in der Exit-Row verringert jedenfalls nicht die dem Fluggast zustehende Menge an Handgepäck.
Genau das erklärte ich höflich Frau Sp. vom Lufthansa-Check-in, die das ignorierte und mich unwirsch fragte, ob ich nun die Exit-Row-Plätze wolle oder das Handgepäck. Ich meinte, es sei mein Fehler gewesen, ihr das Handgepäck beim Check-in überhaupt zu zeigen.
In der Tat findet die Prüfung des Handgepäcks erst beim Durchgang durch die Security oder später am Gate statt. Immer mehr Reisende checken per Internet oder auch telefonisch ein. Wenn sie nur Handgepäck mit sich führen, gibt es offensichtlich keinen Check-in-Agenten, der dies vor der Security sieht.
Jetzt kommt der Teil, der aus dem ganzen Vorfall mehr macht als eine Auseinandersetzung mit rüdem Bodenpersonal. Frau Sp. sah nämlich ihre Autorität untergraben, wurde schlagartig laut und meinte, ziemlich wörtlich, dass dies, was ich da vorhabe, „einen gefährlichen Eingriff in die Luftsicherheit darstelle“. Sie würde jetzt umgehend die Bundespolizei rufen, und „so ein Verhör dauert schon drei Stunden, Herr Rie-del-ber-ger, und das war’s dann mit ihrem Flug.“
Ich meinte etwas eingeschüchtert, dass mir unklar sei, wo ich denn den „gefährlichen Eingriff in die Luftsicherheit“ vornehme, und ob es denn auch illegal sei, wenn ich ganz ohne Handgepäck einchecke und mir dann, sobald ich im Besitz einer Bordkarte sei, in einem der vielen Geschäfte in Terminal 2 ein Köfferchen in IATA-Maßen kaufe. Frau Sp. beantwortete meine Frage nicht, sondern griff zum Telefonhörer und fragte mich, ob ich jetzt das Handgepäck mit in die Kabine nehmen wolle, die Exit-Row will oder ob sie mit ihrem Vorgesetzen telefonieren soll.
Aufgrund ihrer überzeugenden Argumente (und aufgrund nicht der nicht von der Hand zu weisenden Möglichkeit, sie könnte sich verwählen und die Bundespolizei erwischen) verzichtete ich auf die Exit-Row-Plätze und ließ mir die Bordkarten geben. Meine rumänische Begleiterin meinte etwas nachdenklich, dass sie zum letzten Mal in den Achtzigern in Rumänien erlebt habe, dass Leute eingeschüchtert wurden, indem jede Silbe des Namens einzeln betont wurde. Und zwar von Securisten, die die Autoritätsverhältnisse im nachbarschaftlichen Umfeld zurecht rücken wollten.
Trotz einer dreistelligen Anzahl von Flügen habe ich mich noch nie beschwert. Jetzt aber war wohl der Zeitpunkt gekommen. Aber wo? Ein Anruf bei Spanair ergab, dass ein Exit-Row-Platz keine Auswirkungen auf Größe und Gewicht des Handgepäcks habe. „Aber vielleicht ist das ein neues deutsches Gesetz?“. Ich solle doch das Formular auf der Website ausfüllen. Ob die wirklich meine Verärgerung über die Drohung weiterleiten werden?
Lufthansa wäre vielleicht ein näher liegender Ansprechpartner. Aber auf der spartanischen Kontakt-Website für Lob & Kritik werde ich informiert, dass diese Adressen doch bitte „nur bei Lob & Kritik zu einer abgeschlossenen Flugreise mit Lufthansa“ nutzen soll. Hier also eher Fehlanzeige.
Wie wär’s mit dem Flughafen München, bei den „World Airport Awards 2007“ zum dritten Mal in Folge zu Europas bestem Airport gewählt wurde? Ein Kriterium dieser Bewertung war laut Vorwort des Flugplans „die Freundlichkeit und Kompetenz des Flughafenpersonals“. Das stimmt schon auch, jedenfalls in den allermeisten Fällen, aber wenn etwas passiert, muss es auch Ansprechpartner für Kritik geben. Der gedruckte Flugplan hat ein „Service (A-Z)“-Verzeichnis, von „Apotheke“ bis „Zoll“. „Krankenscheine“ und „Seelsorge“ gibt es da als Einträge, aber weder „Beschwerden“ noch „Kritik“.
Wer sich ein bisschen mit Website-Navigation auskennt, findet eventuell das Kritikformular auf der nagelneuen Flughafen-Website. Es lohnt, diesen Klickweg nachzuvollziehen, um mit eigenen Augen zusehen, wie gut sich Beschwerdeformulare verstecken lassen: Reiter „Der Konzern“ rechts oben, dann links unten unter „Qualitätsmanagement“ der Eintrag „Kontaktformular“, dann merkwürdigerweise ganz rechts unter „Weiterführende Links“ noch einmal „Kontaktformular“; dann wiederum unter „Weiterführende Links“ noch einmal „Anregungen und Beschwerden“.
Insgesamt bleibt ein schaler Nachgeschmack. Die Zuständigkeiten bei Beschwerden sind alles andere als klar. Dies, zusammen mit dem insgesamt nervöser werdenden Sicherheitsklima, machen es schwarzen Schafen allzu leicht, die eigene Autorität unter Hinzuziehung der Staatsmacht zu vergrößern.