Diplomatischer Amoklauf in USA
Exilkubanische Extremisten versuchen mit allen Kräften, Kuba ins Visier von Washingtons "Krieg gegen den Terror" zu rücken
Schon im Mai hätten die exilkubanischen Organisationen gewarnt sein sollen. Als der stellvertretende US-Außenminister John Bolton vor der rechtskonservativen Heritage-Foundation die kubanische Regierung in einer Rede bezichtigte, ein offensives Programm zur Herstellung biologischer Kampfstoffe zu betreiben, schwankten die öffentlichen Reaktionen in den USA zwischen staunendem Unglauben und Hohn (Neben Libyen und Syrien rückt einmal wieder Kuba ins Visier der USA). Peinlich für den Rechtsaußen in der Bush-Administration war die prompte Gegenaussage des angesehenen Ex-Präsidenten James Carter. Der reiste wenige Tage später höchstpersönlich auf die Karibikinsel, besuchte dort eine Reihe biotechnologischer Labors und beglückwünschte die Regierung Castro hiernach zu den Erfolgen auf diesem Feld. Auf eine militärische Nutzung, so Carter, weise rein gar nichts hin. Die Fürsprecher der Anticastristen in der US-Regierung ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken.
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Am Donnerstag vergangener Woche wurden die Vorwürfe wiederholt, diesmal von Otto Juan Reich, der im US-Außenministerium für die "Westliche Hemisphäre", also Lateinamerika und die Karibik, zuständig ist. Wieder vor der Heritage-Foundation bezichtigte der Politiker die Regierung in Havanna, biologische Waffen zum offensiven Einsatz herzustellen. Wie die französische Nachrichtenagentur AFP berichtet, soll Kuba laut Reich ein "zumindest begrenztes Offensivprogramm" unterhalten. Zudem versuche die sozialistische Regierung die US-Geheimdienste mit Falschinformationen im "Kampf gegen den Terrorismus" fehlzuleiten. Havanna, darauf bezog sich Reich, hatte der US-Regierung im Frühjahr nach eigenen Angaben geheimdienstliche Informationen zukommen lassen, über deren Inhalt jedoch keine genaueren Informationen gemacht wurden. Beweise für die wiederholten Vorwürfe legte Reich in keinem Fall vor.
Der gebürtige Kubaner Reich hat alles Interesse, die Regierung Castro ins Fadenkreuz Washingtons zu rücken. Der Besuch Carters auf der Karibikinsel nämlich ist nur ein Indiz der vorsichtigen Entspannung zwischen den USA und Kuba. Anfang September fand in Havanna zudem erstmals nach vier Jahrzehnten eine US-amerikanische Wirtschaftsmesse statt, auf der in erster Linie Agrar- und Medizinprodukte ausgestellt und verkauft wurden. Seither tobt in den Vereinigten Staaten ein Kampf wischen den Lobbygruppen der Agrarindustrie und der Exilkubaner. Je mehr letztere merken, Terrain zu verlieren, nehmen Panikreaktionen zu.
"Wir haben die US-Regierung schon im Mai aufgefordert, Beweise für ihre ungeheuerlichen Anschuldigungen einzelner Mitglieder zu erbringen", sagte der kubanischen Außenminister auf einer Pressekonferenz zu den neuerlichen Vorwürfen am vergangenen Freitag in Havanna. Auch das Schweigen werde als Antwort gewertet. Reich komme innerhalb der US-Regierung wie kaum ein anderer Politiker in den Genuss von Freiheiten, so Pérez Roque. Obwohl für Lateinamerika zuständig, beschäftige ihn fast ausschließlich das Thema Kuba. "Zwar wurde bislang keine der Anschuldigungen belegt", so der Pérez Roque, "aber Reich geht wohl davon aus, dass irgendetwas von seinen Vorwürfen hängenbleiben wird."
Folgt man einem Bericht der britischen Tageszeitung "The Guardian" vom Februar, so ist dieses Vorgehen nicht neu.
Otto Reich came to prominence during the Reagan administration when he was appointed head of the office of public diplomacy within the state department. According to the national security archives, Reich used this role to pursue his own agenda to such an extent that in 1987 the Comptroller-General of the US, a Republican appointee, found that some of the efforts of his office were "prohibited, covert propaganda activities ... beyond the range of acceptable agency public information activities". A letter of September 30 1987 concluded that Reich's office had violated "a restriction on the state department's annual appropriations prohibiting the use of federal funds for publicity or propaganda purposes not authorised by Congress".
Dass dem diplomatischen Amoklauf in der US-Administration nicht Einhalt geboten wird, mag daran liegen, dass sich George W. Bush vorsätzlich altgediente Hardliner in sein Team geholt hat. Neben Otto Reich, der in den achtziger Jahren in terroristische Aktivitäten der exilkubanischen Gemeinde verstrickt war, gehören dazu auch Elliott Abrams und John Negroponte, der Washington derzeit gegenüber den Vereinten Nationen vertritt. Die Rückkehr der nachweislich in Menschenrechtsverbrechen verstrickten Politiker aus der Zeit Reagans verleitete den ehemaligen Leiter der US-Interessenvertretung in Havanna, Wayne S. Smith, zu der These, dass die US-Regierung sich "in der Hand der Extremisten" befinde. Hier, und in der Tatsache, dass der Bruder des Präsidenten Florida regiert, mag ein Grund dafür liegen, dass den irrationalen Anschuldigungen kein Einhalt geboten wird.
Während die derzeitige Kuba-Politik Washingtons auf der einen Seite immer stärker kritisiert wird, nehmen die Vorwürfe aus exilkubanischen Reihen immer schärfere Formen an. Dass dies bisweilen bis zur Groteske führt, belegt recht ansehnlich ein Beitrag des Kuba-Redakteurs beim Miami Harold, Martin Arostegui. Der versuchte unlängst in einem Beitrag für das Insight-Magazin zu belegen, dass Fidel Castro Zugvögel mit dem West-Nile-Virus infizieren und in die USA fliegen lässt. Anscheinend bleibt nichts unversucht, die Terror-Hysterie im eigenen Sinne zu nutzen. Angenehm nüchtern nimmt sich da ein Kommentar des US-deutschen Expertennetzwerkes Sunshine-Projekt aus. Dort heißt es zu den Anschuldigungen gegen Kuba:
"Kleine Mengen biologischer Agenzien können in jedem Labor produziert werden. Es ist eine ganz andere Frage, ob das tatsächlich auch geschieht und ob versucht wird, diese Erreger waffenfähig zu machen."
Harald Neuber, Havanna