Direkter Draht
Forscher haben erstmals den kausalen Zusammenhang zwischen den auf Gesichtserkennung spezialisierten Neuronen und der Wahrnehmung von Gesichtern beobachtet
Gesichter wieder zu erkennen gehört zu den Grundfähigkeiten des Menschen. Es funktioniert im Normalfall innerhalb kürzester Zeit und das, obwohl jedes Gesicht aufgrund seiner Mimik unterschiedlich ist. Wissenschaftler interessieren sich schon lange dafür, wie das genau funktioniert.
Um die kausalen Zusammenhänge zwischen neuralen Aktivitäten und einem spezifischen Verhalten oder bestimmten kognitiven Funktionen zu demonstrieren, setzen Neurowissenschaftler die elektrische Mikrostimulation ein. Mit dieser Methode ist es Forschern in Teheran nun gelungen, einen solchen Zusammenhang zu beobachten. In der aktuellen Ausgabe von Nature präsentieren sie ihre Ergebnisse.
Objekt- und Gesichtserkennung im inferotemporalen Kortex
Seit einiger Zeit weiß man, dass im zerebralen Kortex des Gehirns eine Region liegt, die eine wichtige Rolle beim Erkennen von Objekten und von Gesichtern spielt: Dies ist die Aufgabe der neuronalen Zellen im inferotemporalen Kortex (IT). Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen haben das erst kürzlich wieder bei Versuchen mit Rhesusaffen untermauert, bei denen die Nervenzellen des inferotemporalen Kortex Gesichter in Bruchteilen von Sekunden zuordneten. Bei ihren Experimenten konzentrierten sich die Tübinger darauf, welche Nervenzellen beim Erkennen reagierten und wie aktiv sie waren.
Doch wie sicher kann man sich bei der Messung von Gehirnaktivitäten sein, dass man wirklich misst, was man glaubt zu messen? Bislang fehlte der sichere Nachweis einer direkten ursächlichen Verbindung zwischen der Aktivität der IT-Zellen und dem Erkennen von Gesichtern. In der aktuellen Ausgabe von Nature stellen Forscher der School of Cognitive Sciences des Institute for Studies in Theoretical Physics and Mathematics (IPM), Teheran, Experimente mit Primaten vor, in denen es gelang, genau diese Verknüpfung zu demonstrieren.
Zucken mit den Augen
Für ihre Versuchsreihe trainierte die Forschergruppe um Hossein Esteky zwei erwachsene Rhesusaffen (Macaca mulatta) darauf, Gesichter von Nicht-Gesichtern zu unterscheiden. Dabei zeigten sie ihren Probanden immer wieder Bilder der beiden Kategorien in "verrauschter" (engl.: noisy) Bildqualität. Mit kurzen Augenbewegungen gaben die Affen an, ob sie "Gesicht" oder "Nicht-Gesicht" erkannten und wurden dafür mit Saft belohnt.
Die treibende Fragestellung, die Esteky und Kollegen interessierte, war die, ob das Urteil der Affen – "Gesicht" oder "Nicht-Gesicht" – durch die elektrische Mikrostimulation der Neuronen, die auf die Erkennung von Gesichtern spezialisiert sind, beeinflusst werden kann.
Die Gesichtserkennungsneuronen befinden sich in relativ großen Clustern im inferotemporalen Kortex. Aus Sicht der Wissenschaftler bildeten sie damit ein optimales Ziel für Mikrostimulation. Dazu setzten sie den Rhesusaffen zusammen 86 Elektroden an 31 gesichtserkennenden Arealen und an 55 nicht gesichtserkennenden Arealen und stimulierten sie mit leichten Stromstößen in unterschiedlichen zeitlichen Intervallen. Dabei stellten sie fest, dass die Stimulationspulse bei den gesichtserkennenden Arealen des inferotemporalen Kortex die Entscheidung der Affen deutlich beeinflussten. Dieser Effekt war umso deutlicher, je größer der stimulierte Neuronen-Cluster war. Bei den nicht gesichtserkennenden Neuronen ließen sich die Affen in ihrem Urteil nicht beirren.
Um auszuschließen, dass die Affen sich die Bilder gemerkt hatten, wurde eine sehr große Datenbank verwendet.
"Unsere Ergebnisse demonstrieren einen kausalen Zusammenhang zwischen der neuronalen Aktivität des IT und der visuellen Objektwahrnehmung und -kategorisierung. Obwohl die allgemeine Rolle des inferotemporalen Kortex bei der Objektwahrnehmung bereits in vorausgegangenen Experimenten aufgezeigt wurde, stellen unsere Ergebnisse einen kausalen Zusammenhang auf einer feineren räumlichen Skala her", schreibt Esteky zusammenfassend.