Diskriminierung von Muslimen: Zwischen Realität und Instrumentalisierung

Trauerzeremonie für Marwa El-Sherbini am Rathaus Dresden, Juli 2009. Foto: Lysippos/CC BY-SA 3.0

"Politischer Islam": Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem reale Erfahrungen nicht mehr im Vordergrund stehen, weil die Gesprächspartner aneinander vorbeireden

In einem erst kürzlich veröffentlichten Grundlagenpapier der Dokumentationsstelle Politischer Islam wird versucht, den umstrittenen Begriff nun klarer zu definieren. Dort wird beschrieben, dass mit "Politischer Islam" nicht allgemein die religiös motivierte gesellschaftliche Partizipation von Musliminnen und Muslimen gemeint ist, "sondern nur solche Bestrebungen, die im Widerspruch zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates, den Menschenrechten und den Grundlagen einer freien Gesellschaft stehen".

Die Bezeichnung meint also eine bestimmte Auslegung des Islam, die Menschen durch sozialen oder institutionellen Druck ihr individuelles Selbstbestimmungsrecht entzieht. Die Ablehnung eines solch unterdrückerischen Islamverständnisses und auch die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings gibt es einige Punkte im besagten Grundlagenpapier, die weiterhin auf Skepsis stoßen.

Verfassungsgerichtshof kippt Kopftuchverbot an Volksschulen

Zum einen gibt es offensichtlich unterschiedliche Auffassungen darüber, was als demokratisch-rechtstaatlichkonform bzw. menschenrechtskonform betrachtet wird und was nicht. Es sei an dieser Stelle auf das Kopftuchverbot an Volksschulen im Jahr 2019 hingewiesen, wobei sowohl von der ÖVP als auch von der FPÖ das Kopftuch als Symbol des "Politischen Islam" gebrandmarkt wurde.

Das Aufzwingen des Kopftuches (z.B. durch die Eltern) kann durchaus in Anbetracht der oben erwähnten Definition der Dokumentationsstelle als eine Form des politischen Islam verstanden werden, da der Zwang das religiöse Selbstbestimmungsrecht entzieht. Ob ein tatsächlicher Zwang vorliegt, ist allerdings schwer nachzuweisen.

Die Anzahl kopftuchtragender Mädchen an Volkschulen ist außerdem enorm gering, zumal die theologische Basis für das Tragen des Kopftuches bei Kindern nicht vorhanden ist. Das Kopftuchverbot müsste jedoch auch vonseiten des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle kritisch betrachtet werden, da ein pauschales Verbot ja ebenso das Recht auf individuelle Selbstbestimmung nimmt.

Dies war allerdings nicht der Fall. Mouhanad Khorchide, der den wissenschaftlichen Beirat leitet, hat sich sogar verstärkt (mit dem Verweis auf die nicht vorhandene theologischen Basis) für ein Verbot eingesetzt. Nun hat der österreichische Verfassungsgerichtshof das besagte Kopftuchverbot für Mädchen in der Volksschule aufgehoben. Das Verbot ist demnach verfassungswidrig und diskriminierend, da andere religiöse Bekleidungsstücke (wie beispielsweise die jüdische Kippa oder die Patka der Sikhs) nicht davon betroffen sind.

Überspitzt könnte man also sagen, dass Khorchides theologisch-argumentierter Einsatz für das Kopftuchverbot an Volksschulen sich am Gleichheitsgrundsatz des demokratischen Rechtsstaats beißt. Dass dieses gescheiterte Vorhaben von der Dokumentationsstelle Politischer Islam aufgegriffen und untersucht wird, ist zu bezweifeln, obwohl es sich hierbei durchaus ebenso um eine Bestrebung handelt, "die im Widerspruch zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates, den Menschenrechten und den Grundlagen einer freien Gesellschaft" steht, denn sonst hätte das Verfassungsgerichtshof das Verbot nicht aufgehoben.

Diskriminierungserfahrungen und deren Instrumentalisierung

In dem besagten Grundlagenpapier steht weiters beschrieben, dass "Themen wie Multikulturalismus, der Streit um das Tragen des Kopftuches und der Kampf gegen Islamophobie integrale Bestandteile eines Opfer-Diskurses" sind. Die Autoren des Grundlagenpapiers verorten dieses Vorhaben und die Instrumentalisierung der "Opfernarrative" bei der Muslimbruderschaft und Organisationen, die eine Nähe zu dieser pflegen.

Da in dem Paper auch offengelegt wird, dass solche Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen von der muslimischen Bevölkerung nicht bestritten werden, kann man sich auch die Frage stellen, inwieweit der politische Diskurs für solche Diskriminierungserfahren verantwortlich ist und dadurch "Futter" für die Agitation von sogenannten Hasspredigern bietet.

Als das Kopftuch-Verbot eingeführt wurde, verteidigte die ÖVP ihr Vorhaben mit der Begründung, dass dies "ein entscheidender Schritt zur besseren Integration und zur Verminderung von Diskriminierungen" sei. Zum einen wird hier "Integration" mit "Assimilation" verwechselt und zum anderen wird die diskriminierte Person (die das Kopftuch trägt) als Problem betrachtet, nicht der oder die Diskriminierende(n).

Der Politologe und Islamwissenschaftler Rami Ali hat in einem Vortrag zum Thema "antimuslimischer Rassismus" exemplarisch beschrieben, welche Gefahren das Ignorieren von Hass gegenüber Muslimen mit sich bringt. So erzählt er von der ägyptischen Handballnationalspielerin und Pharmazeutin Marwa Ali El-Sherbini, auf die während einer Strafverhandlung im Landgericht Dresden im Jahr 2009 vom Angeklagten aufgrund rassistischer Motive 18 Mal mit einem Messer eingestochen wurde. Sie überlebte diese Gewaltat nicht.

Ihr Ehemann versuchte, dazwischen zu gehen, wobei er vom Täter ebenfalls drei Messerstiche abbekommen hat. Die Polizei hat fatalerweise bewusst auf den schwerverletzten Ehemann gezielt und auf ihn geschossen, weil sie diesen aufgrund seines äußeren (nicht-autochthon deutschen) Erscheinungsbildes für den Täter hielt.

Marwa El-Sherbini war zu diesem Zeitpunkt schwanger und starb mit ihrem Baby im Bauch. Ihr dreijähriger Sohn wurde Zeuge der Bluttat. Die deutschen Medien haben diese Tat zunächst lediglich als einfache "Tragödie" abgestempelt.

Da die klare Benennung der Motive des Täters (nämlich Hass gegenüber Muslimen) und das Fehlverhalten der Polizei durch die deutschen Medien und Politiker zunächst ausblieb, konnte sich der neo-salafistische Prediger Pierre Vogel diesen Vorfall zunutze machen. Der Vorfall verdeutlicht sowohl die Realität von muslimischen Diskriminierungserfahrungen als auch die Instrumentalisierung dieser Erfahrungen vonseiten neo-salafistischer Prediger.

"Islamophobie"

Die Vertreter der Dokumentationsstelle Politischer Islam gehen davon aus, dass Opfernarrative rund um den Begriff "Islamophobie" zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Heiko Heinisch, der ebenfalls ein Teil des wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle ist, ist ein großer Kritiker des Islamophobie-Begriffs:

"Durch die Vermischung der Diskurse ist der Begriff selbst zu einem Kampfbegriff geworden, der einer offenen und kritischen Diskussion im Wege steht."

Mouhanad Khorchide sieht dies ganz ähnlich und bezeichnet Begriffe wie "Islamfeindlichkeit", "Islamophobie" und "antimuslimischen Rassismus" ebenfalls als "Kampfbegriffe des Politischen Islam". Solch pauschale Aussagen machen ein weiteres Problem deutlich: Umstrittene Begriffe werden laut Khorchide von Gruppen instrumentalisiert, die er wiederum unter einem ebenso umstrittenen Begriff (nämlich "Politischer Islam") zu homogenisieren versucht. Wohin soll diese Abstraktion des Diskurses führen?

Über Begriffe und deren unterschiedliche Definitionen zu streiten, ist nichts Neues, weder in politischen noch in wissenschaftlichen Diskursen. Allerdings ist es problematisch zu behaupten, dass die besagten Bezeichnungen lediglich als Instrument der Akteure des "Politischen Islam" verwendet werden, da dadurch die Gefahr besteht, dass man tatsächlichen Diskriminierungsopfern die Stimme nimmt, wodurch sie erneut ausgegrenzt werden.

Gleichwohl gibt es selbstverständlich auch Gruppen, die ihren Nutzen aus diesen Diskriminierungserfahrungen ziehen, wie oben am Beispiel des Mordes von Marwa El-Sherbini dargelegt wurde. Ein Teil der Lösung ist es, den Hasspredigern die Möglichkeit zu nehmen, diese Vorfälle für ihre Agitation zu missbrauchen, indem man rassistische Hassattacken und Ausgrenzungserfahrungen öffentlich als solche bezeichnet und verurteilt.

Wir sind jedoch mittlerweile an jenem Punkt angelangt, an dem reale Erfahrungen nicht mehr im Vordergrund stehen, weil die Gesprächspartner aneinander vorbeireden.

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