Doppelstandards in Sachen Brexit
Seite 2: Corbyn oder Brexit?
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Denn Johnson hat einen Trumpf darin, dass er sich als Alternative zu einem sozialdemokratischen Premierminister Corbyn präsentierten kann. Wenn sie die Wahl zwischen einem Brexit oder einem Premierminister Corbyn haben, würden manche einen Austritt aus der EU als das kleinere Übel sehen.
Daher haben auch überzeugte Brexit-Gegner im Unterhaus bisher nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Johnson zu stürzen und Corbyn zu wählen. Auch bei der Diskussion im Deutschlandfunk wurde klar, wie verhasst Corbyn auch in vielen proeuropäischen Kreisen ist. Da behauptete einer der Referenten, der Marxist Corbyn hätte keine Unterstützung im Land und sei deshalb keine Alternative.
Tatsächlich hat er es bei der letzten Wahl geschafft, der Labourpartei einen Stimmenzuwachs zu verschaffen. Vor allem aber hat er mit seiner Hinwendung zu einer linkssozialdemokratischen Programmatik viele junge Menschen, aber auch sozial abgehängte Schichten, angesprochen. Daher war er gewiss vorschnell von Teilen der Linken in Deutschland schon zum Hoffnungsträger erklärt worden.
Doch Corbyn und seine Unterstützer gewannen Zustimmung, indem sie von den sozialen Verheerungen sprachen, die der Kapitalismus seit Margreths Thatcher in Großbritannien angerichtet hat. Es wurde mit den Menschen gesprochen, die in den ehemaligen Industriegebieten, aber auch in den neuen Zentren des Billiglohns unter die Räder dieses Kapitalismus gekommen waren. Und unter Corbyn wurde der Kapitalismus auch wieder beim Namen genannt.
Das hat ihm Vertrauen bei einem Teil der Menschen eingebracht, die in den letzten Jahren erfahren haben, dass zwischen Labourpartei und den Tories in den entscheidenden wirtschaftlichen Fragen kaum ein Unterschied bestanden hat. Die Tragik besteht darin, dass durch die Brexitdebatte diese soziale Dynamik teilweise in den Hintergrund getreten ist. Die Diskussion über einen Austritt aus der EU leidet darunter, dass vergessen wird, dass Briten in und außerhalb der EU weiter den Zwängen des Kapitalismus ausgeliefert sind.
Das waren sie als Teil der EU die letzten 40 Jahre und das könnte sich noch verstärken, wenn sich die ultrakapitalistischen Vorstellungen einiger einflussreicher Brexiteers durchsetzen, die aus der Insel ein globales Billiglohnland mit niedrigen Steuern machen wollen. Doch es gibt auch linke Brexit-Anhänger, die gerade deswegen aus der EU rauswollen, weil sie die von ihnen favorisierten sozialen Maßnahmen im Rahmen dieses Clubs der kapitalistischen Staaten nicht durchsetzen könnten. Es wäre notwendig, hier eine klare Differenzierung zu machen und die Frage "Für oder gegen den Brexitß" niedriger zu hängen.
Was Vincent Welsch von der linksreformistisch-proeuropäischen Formation Diem 21 in einem Beitrag für die Tageszeitung Neues Deutschland für das EU-Parlament konstatiert, kann man auch auf die Brexit-Debatte übertragen:
Jahre des Sparzwangs und der politischen Apathie haben dagegen auf dem Kontinent und auch anderswo die Renaissance der Rechten vorangetrieben. Hieraus entsteht eine falsche Dichotomie, die Wählerinnen und Wähler scheinbar nur die Wahl zwischen einem kleineren Übel und der populistischen Wildcard lässt. Establishment und Nationalisten nähren sich gegenseitig: In ihrer Inkompetenz und Bedrohlichkeit sind sie voneinander abhängig und auf die Ablehnung des jeweils anderen angewiesen, um als Option für die Wählerschaft wahrgenommen zu werden.
Vincent Welsch, Neues Deutschland.
Es wäre auch in der Brexitdebatte nötig, eine dritte Position einzunehmen und die einseitigen Darstellungen in den meisten Medien als das zu erkennen was sie sind, Propaganda für das deutsche EU-Projekt.