Dr. Goebbels und die Weltverschwörung: Antisemitismus mit Spiel und Tanz und FSK
Seite 5: Der nationalsozialistische Mensch
Im England der Napoleonkriege gibt es auch ein junges, nationalsozialistisches Paar. George Crayton ist ein schneidiger Offizier, hat aber leider gar kein Geld. Für Bankier Bearing kommt er deshalb als Schwiegersohn nicht in Frage. Die aufrechte Sylvia stellt voller Verachtung fest, dass Bearings Tochter für ihn nur ein Posten in seinen Geschäftsbüchern ist. Bearing will die Tochter möglichst reich verheiraten wie vor ihm Ipelmeyer. Die Rothschilds und England, wird Herr Turner später sagen, das ist dasselbe. Crayton dagegen ist die Ehre viel wichtiger als Geld. Er will lieben, leben, kämpfen für Volk und Vaterland. Wie meistens im Dritten Reich klafften Theorie und Praxis weit auseinander. Nicht alle mussten durch Goebbels und seine Propagandafilme zum Mitmachen erst verführt werden. Viele waren längst dabei und durften sich über handfeste Vorteile der Judenverfolgung freuen - zum Beispiel, weil sie sich am Eigentum der Opfer bereichert, oder weil sie eine frei gewordene Position besetzt und so einen Karrieresprung gemacht hatten. Die Rothschilds projiziert die eigenen Antriebskräfte auf ein erfundenes Gegenüber, den aus Profitgier handelnden jüdischen Weltverschwörer, der als eine Art Doppelgänger bekämpft werden kann. Umso wichtiger sind Charaktere wie der wackere Crayton. Ohne ihn als Identifikationsfigur könnten die Nazis und ihre Mitläufer auf den beunruhigenden Gedanken kommen, dass sie eigentlich wie Nathan und dessen Helfer sind.
Gisela Uhlen, die es im Laufe eines langen Schauspielerinnenlebens noch zur Schwiegermutter des Försters von Falkenau brachte (übrigens nicht nur der Name eines Forsthauses im ZDF, sondern auch eines KZ-Außenlagers in Böhmen), ist die Frau an Craytons Seite. Die ideale NS-Frau zeichnet sich durch Opferbereitschaft, grenzenlose Geduld und immerwährendes Verständnis für den soldatischen Helden aus wie Inge Wagner (Ilse Werner) in Wunschkonzert, dem Kassenschlager der Saison. Phyllis Bearing ist genauso. Sie bekennt sich zu ihrem Liebsten, obwohl sie dafür von ihrem Vater verstoßen wird. Als George mit Wellington nach Spanien geht, verspricht sie, auf ihn zu warten: "Dann weiß ich, wofür ich lebe. Dann gehöre ich ganz dir!" Dieses schreckliche Frauenbild wird komplettiert durch Phyllis’ Schwangerschaft. George sagt sie davon nichts, damit er sich ganz auf das Kämpfen konzentrieren kann. Nach der Geburt des Sohnes wartet sie geduldig ab, bis er nach Hause kommt, obwohl sie in drei Jahren nicht einmal einen Brief von ihm erhält.
Der Film stellt es als höchst ungerecht dar, dass George der Soldat nach Napoleons Niederlage arbeitslos wird, während die "Mächte des Geldes" (also die Juden) ihren "Krieg" gegen die Arier ungehindert fortsetzen. Schließlich lebt auch der heiße Krieg wieder auf, weil Napoleon von Elba flieht. Der historische Nathan Rothschild kaufte britische Staatsanleihen auf, weil er (erfolgreich) darauf spekulierte, dass die Regierung diese nach dem Krieg reduzieren und so den Preis in die Höhe treiben würde. Er war besser informiert als andere, weil sein Haus in ganz Europa gut vernetzt war und sich modernster Kommunikationsmittel bediente. Der Film tut so, als sei das allein schon ein Verbrechen und schickt dann einen Handlungsstrang hinterher, der aus Fritz Langs Dr. Mabuse der Spieler entlehnt ist.
Beide, Nathan Rothschild und Mabuse, kommen auf dubiosen Wegen zu ihren Informationen, lancieren eine Falschmeldung und lösen so eine Börsenpanik aus, durch die sie ein Vermögen verdienen, während andere ruiniert werden. In der Fortsetzung zum Mabuse-Film, Das Testament des Dr. Mabuse, machte Lang deutlich, dass der Doktor für ihn ein Vorläufer der Nazis war. Die Rothschilds übernimmt das Lang’sche Element, baut es in das antisemitische Welterklärungsmodell ein, schiebt die Schuld am Börsenkrach und an der folgenden Wirtschaftskrise den Juden in die Schuhe. George könnte das Schlimmste noch verhindern und Nathans Falschmeldung als solche entlarven, wenn man ihm nur zuhören würde. Das leitet den letzten Akt des Films ein.
In Jud Süß lässt Süß Oppenheimer die Schwaben von einer Geheimpolizei bespitzeln (da fällt einem doch eher Himmler ein). In Die Rothschilds erfährt man, wo die Meinungsfreiheit unterdrückt wird: In England! Crayton, mit magischer Geschwindigkeit von Waterloo nach London zurückgekehrt, will berichten, wie es wirklich war: Napoleon hat die Schlacht verloren, und die Preußen unter Blücher haben ihn besiegt (Wellington ist für die vorherigen Niederlagen verantwortlich, weil er sich mit losen Damen auf Tanzveranstaltungen herumtrieb, statt Blücher die versprochene Hilfe zu leisten). Dafür wird er unter einem Vorwand eingesperrt. "Wenn man die Wahrheit sagt", konstatiert George verbittert, "stört man in diesem Lande die öffentliche Ordnung."
An dieser Stelle tritt nun ein Problem auf. Aus Feinden konnten im Dritten Reich sehr schnell Freunde werden und umgekehrt. Das bekamen die antirussischen Propagandafilme zu spüren, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt verboten und nach dem Überfall auf die Sowjetunion wieder hervorgeholt wurden. Als Erich Waschneck Die Rothschilds drehte, befand man sich im Kriegszustand mit Großbritannien, doch das Regime hoffte noch auf eine Annäherung. Die "Operation Seelöwe" war bereits geplant, aber die Luftschlacht um England stand noch bevor. Premiere des Films war am 17. Juli 1940. Zwei Tage später hielt Hitler im Reichstag seine "Sieg- und Friedensrede", in der er "einen Appell an die Vernunft auch in England" richtete und die Briten nach der Niederlage Frankreichs zum Einlenken aufforderte.
Die Macher von Die Rothschilds reagierten auf diese schwierige Gemengelage mit einem Sowohl als Auch. Die britischen Bankiers, Wellington und der Schatzkanzler sind kaum besser als die Juden. Das britische Volk dagegen ist das unschuldige Opfer übler Machenschaften. Auch das ist nicht ganz unproblematisch, weil sich das Kino eines militaristischen Führerstaates herzlich wenig für das Volk interessierte, obwohl immer etwas anderes behauptet wurde. In Die Rothschilds tritt es erst kurz vor Ende der Handlung in der Gestalt kleiner ruinierter Sparer auf und das so, als habe man sich gerade noch an dieses Volk erinnert, bevor die Geschichte ganz vorbei ist.
Bankier Bearing ist nach dem Bankrott einem Herzinfarkt erlegen. Vor seinem prächtig eingerichteten Haus drängeln sich die Sparer. George Crayton, Bearings Schwiegersohn und der Held der freien Meinungsäußerung, sagt den Leuten endlich die Wahrheit (alle Einlagen sind verloren). Dann öffnet er das Tor und fordert das Volk zum Plündern des Hauses auf, das ihm nicht gehört. So ist er, der nationalsozialistische Mensch: Wenn die Gesetze zum Schaden des Volkes sind, zumal in einer Demokratie (in Die Rothschilds ist das ein Schimpfwort), fühlt er sich nicht an sie gebunden. Was das konkret bedeutete, hatten die Juden im November 1938 bereits erfahren. Umso mehr musste herausgestellt werden, wie schlimm die Opfer solcher Gewaltexzesse waren.
Apokalyptische Reiter
George beschließt, England mit Phyllis zu verlassen: "Es wird auf der Welt doch wohl noch einen Platz geben, wo man frei atmen kann!" Gemeint ist natürlich das Dritte Reich, auch wenn George die Filmfigur das im Jahre 1815 sagt. Am Ende betrachtet Nathan Rothschild zufrieden die Landkarte. Seine Familie hat jetzt Niederlassungen in Frankfurt, Paris, Wien und Neapel, mit Jerusalem als "Stammhaus". Damit das Publikum die Botschaft auch verstand, wurde sie von der NS-Presse brav nachgebetet. Goebbels’ Renommierblatt Das Reich (12.7.1940) fasste es so zusammen:
Wenn […] sich aus ihren Luftlinienverbindungen scheinbar zufällig, aber gleichwohl unheimlich genau die gekreuzten Dreiecke des Judensterns ergeben, die im Schlußbild gleich dem Netz einer Spinne die englischen Inseln umgreifen, dann ist der Kern des Themas unmißverständlich sinnfällig geworden.
Sechs Tage später berauschte sich der Berliner Lokal-Anzeiger (18.7.1940) an der Vorstellung, dass man nun bald Britannien erobern und dann die von Göring angekündigte Abrechnung vollziehen werde:
Die Saat Nathans ist aufgegangen. Über der Ernte aber werden Tod und Verderben stehen, und die apokalyptischen Reiter werden über dieses Land jagen, das Brandmal der Schande zu löschen.
In Die Rothschilds wie in Jud Süß werden die Juden mit dem Davidstern identifiziert. Der eine Film endet damit, der andere fängt damit an. Die NS-Propaganda setzte auf Kontinuität. Trotz hervorragender Kritiken wurde Die Rothschilds aber schon nach zwei Monaten wieder aus den Kinos genommen (um dem im September 1940 startenden Harlan-Film keine Konkurrenz zu machen, glaubt Dorothea Hollstein). Im August 1941 lief er in Deutschland plötzlich wieder. Am 1. September wurde auch im Deutschen Reich das Tragen des "Judensterns" zur Pflicht. Die propagandistische Absicht, die mit dem Neustart verbunden war, ist unverkennbar. Die Antisemiten fühlten sich durch Die Rothschilds und Jud Süß bestätigt. Wie diese Filme aber auf den Rest der Bevölkerung wirkten, kann niemand genau sagen.
Der Großteil unseres "Wissens" ist anekdotisch, meist nur durch dubiose Quellen wie Goebbels’ wechselnde Meinungen und die Spitzelberichte des Sicherheitsdienstes belegt und öfter auch mal falsch. Eine Woche nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion kam es in Rumänien zu besonders grausamen Pogromen, denen mehr als 10 000 Juden zum Opfer fielen. Das wird meistens im Sündenregister von Jud Süß verbucht. Tatsächlich war es aber der Film Die Rothschilds, der unmittelbar vor den Pogromen (und nach einer großen Werbekampagne) in Rumänien gestartet wurde. Es handelte sich auch nicht um eine spontane Volkserhebung nach dem Besuch einer Filmvorführung. Die Pogrome wurden von den rumänischen Behörden durchgeführt, mit rumänischen Truppen, und im Hintergrund zog das Reichssicherheitshauptamt die Fäden.
65 Jahre nach Führers Abgang könnten wir das Schein-Wissen von Gestern und den Hang zu unsinnigen Verboten endlich durch eine vernünftige Diskussion ersetzen. Dafür bedarf es einer Gesprächsgrundlage. Daher meine Bitte an die Murnau-Stiftung: Sorgfältig kommentierte DVD-Ausgaben für erwachsene Bürger eines demokratischen Landes mit Informationsfreiheit. Eine FSK, die miese antisemitische Musicals auf Videokassette für sechsjährige Kinder freigibt, halte ich dagegen für verzichtbar.
Weitere bereits erschiene Folgen der Serie "Das Dritte Reich im Selbstversuch":
Teil 1: Hitlerjunge Quex
Teil 2: Hans Westmar - Ein deutsches Schicksal
Teil 3: Braune Volkstänzer im russischen Wald
Teil 4: Nicht ohne die Gestapo, oder auch: Ich will meine Mutter wiederhaben!
Teil 5: Ritt in die Freiheit
Teil 6: Die Russen kommen! Aber wo?
Teil 7: Verräter und Unternehmen Michael
Teil 9: Fälschung und Entartung im NS-Kino
Teil 10: Gefahr aus dem Bierkeller
Teil 11: "Es wird ein Signal, ein Weckruf sein!"
Teil 12: "Feinde" und "Heimkehr"
Teil 13: "… reitet für Deutschland"
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