Drive-by-Killing in Thessaloniki

Seite 4: Monarchisten gegen Republikaner

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Wir wissen jetzt, warum ein Prinz aus Bayern und seine Gattin, Amalie, Herzogin von Oldenburg, König und Königin von Griechenland wurden und warum die griechischen Volksvertreter in einer Trutzburg mit unheimlichen Korridoren sitzen. Wir wissen nicht, warum es im traditionell republikanisch eingestellten Griechenland 1963, als Grigoris Lambrakis ermordet wurde, noch immer eine Monarchie gab, die der Chef der Ordnungskräfte verteidigen will, indem er Andersdenkende mit einem Pflanzenschutzmittel besprüht (ob er wohl von Dow Chemical beliefert wird, dem Hersteller von Agent Orange?). An dieser Stelle sollte man sich ins Gedächtnis rufen, dass die Gründer der Werte- und Solidargemeinschaft namens Europäische Union unter dem Eindruck der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts standen, als sie die Idee vom "gemeinsamen Haus Europa" entwickelten (nicht von einer Ruine auf einem Hügel in Athen). Die Griechen hatten nach dem zweiten dieser Kriege wieder einmal Pech.

Wer ein Datum für den Beginn der griechischen Nachkriegsgeschichte haben will könnte es mit dem April 1944 versuchen. Unter den griechischen Streitkräften, die im von den Briten kontrollierten Ägypten stationiert waren, gab es damals eine Revolte. Die absehbare Niederlage des Dritten Reiches hatte eine Debatte darüber ausgelöst, wie die Griechen ihr Land gestalten sollten. Die Meuterer in der von reaktionären bis rechtsradikalen Monarchisten dominierten Armee forderten die Abdankung der (königstreuen) Exilregierung und die Ausrufung der Republik. Der britische Premierminister war jedoch der Meinung, dass Griechenland nach seiner Befreiung zur konstitutionellen Monarchie zurückkehren müsse, um den ihm zugedachten Platz in der Nachkriegsordnung einnehmen zu können. Winston Churchill ließ die Meuterei niederschlagen und Tausende griechischer Soldaten internieren.

Sehr sensibel war das nicht von Churchill. Mit der Monarchie verhielt es sich wie mit vielen Dingen, die einem Land von außen aufgezwungen werden: Sie hatte die Griechen mehr getrennt als vereint, und 1924 war sie durch ein (allerdings dubioses) Referendum abgeschafft worden. 1935 hatten die Royalisten den exilierten Georg II. zurückgeholt, und dieser hatte den von 1936 bis 1941 regierenden General Metaxas unterstützt, der zwar Mussolini die Stirn geboten hatte, aber eben ein Diktator war. Das Königshaus war deshalb extrem unbeliebt. Anfangs war sogar die EDES in ihrer Mehrheit republikanisch gesinnt, eine konservative, nach der Invasion der Achsenmächte gegründete Widerstandsorganisation. Ungleich größer und bedeutender war die Nationale Befreiungsfront (EAM). Die rund 1,5 Millionen Mitglieder der antimonarchistischen, in allen Schichten der griechischen Gesellschaft verankerten EAM wurden später pauschal als kommunistische Terroristen verunglimpft. Tatsächlich war die EAM sehr breit gefächert. Politisch deckte sie ein Spektrum ab, das von stalinistisch bis linksliberal reichte. Das Land war tief gespalten, der Frontverlauf sehr unübersichtlich. Die etwa 50.000 Partisanen der Volksbefreiungsarmee ELAS (der militärische Arm der EAM) kämpften gegen die Besatzer, gegen die von der Marionettenregierung in Athen aufgestellten Sicherheitsbataillone, gegen die rechtsextreme "Organisation X" und auch gegen die EDES, die zeitweise mit den Deutschen kollaborierte und dann von den Briten unterstützt wurde, nachdem sich ihre Führung (heimlich) zur Monarchie bekannt hatte.

Nach der Kapitulation des Dritten Reichs lösten die Alliierten die deutsche Wehrmacht auf, was nach der Wiederbewaffnung keine echte "Stunde Null" ermöglichte, aber doch den Aufbau einer Bundeswehr erleichterte, die sich trotz unguter Kontinuitäten zu etwas entwickelte, vor dem Demokraten keine Angst haben müssen. In Griechenland machte man mit dem weiter, was da war. In der Vorkriegszeit hatte der eng mit dem Palast kooperierende Diktator Metaxas die Republikaner unter den Offizieren aus der Armee entfernt. Diejenigen von ihnen, die es nach der Invasion nach Ägypten schafften, wurden unter britischer Oberaufsicht wieder eingesetzt, weil es den griechischen Streitkräften an gut ausgebildetem Personal mangelte. Aber nach dem Krieg war die Armee weniger durch im Kampf erlittene Verluste geschrumpft als vielmehr dadurch, dass man die liberalen Elemente erneut aus ihr entfernt hatte. Diese nun wieder stramm rechtsgerichtete, von monarchistischen Kommunistenhassern dominierte Armee traf auf die Kämpfer der linken EAM, die schon vor dem Abzug der Deutschen große Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht und dort eigene Verwaltungsstrukturen gebildet hatte.

Bei den Historikern gibt es hier zwei Denkschulen. Die eine berichtet von einer Graswurzelbewegung, aus der heraus die Linken eine echte parlamentarische Demokratie geschaffen hätten. Die andere hält das für eine unzulässige Verklärung der Wirklichkeit und wendet ein, dass sich am Ende die Stalinisten durchgesetzt und aus Griechenland eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild gemacht hätten. Beides bleibt graue Theorie, weil Churchill eigene Pläne hatte und diese in der Praxis nun auch durchsetzte. Die Linken sollten das Erkämpfte aufgeben, obwohl sie eigentlich die Sieger waren. Die wichtige Positionen bekleidenden EAM-Leute wurden vorerst von den argwöhnisch beäugten Briten abgelöst, was selten harmonisch verlief. Es gab schwere Kämpfe mit Toten und Verwundeten.

Unter Georgios Papandreou wurde eine provisorische Regierung der nationalen Einheit gebildet, der aus dem Exil heimgekehrte Politiker genauso angehörten wie Vertreter der EAM. Diese Regierung zerbrach unter anderem daran, dass man sich nicht über den Aufbau einer neuen Armee verständigen konnte. Die EAM wollte einer Entwaffnung ihrer Kämpfer nur zustimmen, wenn auch die aus Ägypten zurückgekommenen Streitkräfte ihre Waffen abgaben. Als die Verhandlungen gescheitert waren, zog sie am 1. Dezember 1944 ihre Minister aus der Regierung ab und rief für den 3. Dezember zu einer Kundgebung in der Innenstadt von Athen auf. Dort gingen britische Truppen gewaltsam gegen Demonstranten vor; unterstützt wurden sie von griechischen Polizei- und Sicherheitskräften, die zuvor mit den Nazis kollaboriert hatten. Das war der Auftakt zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Hunderten von Toten.

Keine Demokratie in unserem Sinne

Seit griechische Politiker Motorrad fahren und präpotente Auftritte hinlegen, in denen sie die Malaise ihres Landes mit nicht geleisteten Reparationszahlungen vermengen, ist es in deutschen Mainstream-Medien üblich geworden, dem Bild von Griechenland als Urlaubsparadies und Pleitestaat eine Facette hinzuzufügen, in der es um die Verbrechen der SS und der Wehrmacht geht. Vor der Sommerpause reiste Reinhold Beckmann als ARD-Reporter in die Ägäis. Zu sehen gab es Urlauber am Strand; Operettensoldaten vor dem Parlament; reiche Steuerhinterzieher; Varoufakis als Popstar; Frauen, für die Schäuble ein SS-Mann ist; das Elend der kleinen Leute. Und zwischendurch fuhr der Reporter nach Distomo, um eine Überlebende des dort begangenen Massakers bei der Hand zu nehmen und sich die Schädel der Ermordeten zeigen zu lassen. Was bei so etwas herauskommt ist ein Betroffenheitsjournalismus, der für ein paar feuchte Taschentuchmomente gut ist und letztlich so wenig einen Erkenntnisgewinn bringt wie die ins Bild gerückte Akropolis, weil der Gebührenzahler hinterher so klug ist als wie zuvor.

Was hat die Gedenkstätte in Distomo mit einem Armenkrankenhaus in Athen zu tun? Gar nichts, wenn man es so hintereinander schneidet wie in dieser "Reportage", die sich geschichtsbewusst gibt, ohne sich für Geschichte zu interessieren. Varoufakis fordert im Interview einen Marshallplan, wie er Deutschland nach dem Krieg zuteil geworden sei, und Beckmann scheint nicht zu wissen, dass es einen solchen Plan längst gegeben hat, mit für Griechenland desaströsen Konsequenzen. Für solche Details hat diese Sendung keinen Platz, weil zwischen einem Massaker im Juni 1944 und Griechen, die 2015 keine Krankenversicherung haben, nur ein Filmschnitt liegt. So tappt man in die Sentimentalitätsfalle und liefert (beim mitfühlenden Beckmann sicher ungewollt) denen die Argumente, die es ungehörig finden, wenn die Griechen ihr heutiges Elend in einen Zusammenhang mit der Besetzung ihres Landes durch Nazideutschland bringen. Einen solchen Zusammenhang gibt es sehr wohl, aber er erschließt sich einem nur, wenn man die Welt nicht zu sehr durch die deutsche Brille betrachtet, sondern auch in den Blick nimmt, was geschah, als die Wehrmacht abgezogen war - und was ohne die Invasion der Wehrmacht so nicht stattgefunden hätte.

Im Februar 1945 wurde unter britischer Vermittlung ein Abkommen unterzeichnet, das die Wiederherstellung der Bürgerrechte, eine Entwaffnung der ELAS-Kämpfer, die Entfernung von Rechtsradikalen aus Polizei und Militär sowie noch für 1945 ein Referendum darüber vorsah, ob Griechenland eine Monarchie oder eine Republik sein sollte. Die ELAS gab nur einen Teil ihrer Waffen ab. Polizei und Militär taten nicht einmal so, als würden sie sich von den Faschisten und Kollaborateuren in ihren Reihen trennen. Im September 1945 beschloss die Regierung, vor der versprochenen Volksabstimmung eine Parlamentswahl abzuhalten. Die Rechten waren inzwischen längst dabei, Landsleute zu verfolgen, die zur Linken gehörten oder auch nur im Verdacht standen, mit diesen zu sympathisieren. Lincoln MacVeagh, der Botschafter der USA, berichtete dem Außenministerium von rechtsradikalen Exzessen in Griechenland und von der Organisation X, die bereits Verhaftungslisten mit den Namen von Kommunisten und anderen Feinden erstelle.

Der Historiker Yiannis P. Roubatis zitiert in seinem Buch Tangled Webs aus einer Depesche vom Oktober 1945, in der MacVeagh auch vermeintlich Gutes zu vermelden hat. Solange die Armee politische Partei sei, schreibt der Botschafter, könne aus Griechenland keine "Demokratie in unserem Sinne" werden. Das sei leider nicht zu ändern, habe aber den Vorteil, dass die Armee in ihrer jetzigen Verfassung keinen Aufstand der Kommunisten zulassen werde. Außerdem gebe es einen kommunistisch kontrollierten Teil (geschätzte 15 Prozent) des Militärs, der wiederum ein Eingreifen der Streitkräfte zu Gunsten der Rechten verhindern werde. Anzustreben sei daher nicht eine politisch neutrale Armee (ohnehin nicht realisierbar), sondern ein "Gleichgewicht der Kräfte". Aus diesem scheinbaren Pragmatismus spricht die - aus Afghanistan, dem Irak oder Libyen bekannte - Tendenz amerikanischer Funktionsträger, sich die Lage schön zu denken oder ein weitgehend fiktives Szenario zu entwerfen, das die eigenen Entscheidungen begründen kann. Die 15 Prozent waren aus der Luft gegriffen. Kommunistische Offiziere, die in der griechischen Armee etwas hätten kontrollieren können, gab es im Oktober 1945 nicht mehr. MacVeagh weist in seiner eigenen Depesche auf die engen Verbindungen des Generalstabschefs zur Organisation X hin.

Bei der von Briten und Amerikanern als wichtiger Schritt zur Demokratie gepriesenen Parlamentswahl vom 31. März 1946 gingen die Monarchisten als Sieger hervor. Allerdings hatten die Kommunisten und andere linke Gruppierungen die Wahl boykottiert, und die Amerikaner hatten ein Kriegsschiff in die Ägäis entsandt, was die Rechten als Ermunterung verstanden, die Verfolgung ihrer Gegner zu intensivieren. Man kann deshalb fragen, was für eine Demokratie das war, in der sich ein großer Teil der Bevölkerung dem politischen Prozess entfremdet fühlte, Rechtsextreme die Armee dominierten und nun die alten, in der Besatzungszeit von der EDES und der ELAS ausgetragenen Kämpfe zwischen Rechts und Links wieder aufflammten, bis ein Bürgerkrieg daraus geworden war, der das Land erneut verwüstete und eine Spaltung zementierte, unter der Griechenland bis heute zu leiden hat. Ein - von den Kommunisten ebenfalls boykottiertes - Referendum erbrachte am 1. September eine Mehrheit für die Wiedereinführung der konstitutionellen Monarchie.

Trotz nachvollziehbarer Gründe war der Boykott von Wahl und Referendum taktisch unklug. Die Rechten nahmen das Geschenk dankend an und konnten fortan behaupten, die Mehrheit des Volkes hinter sich zu haben, bewiesen durch zwei Abstimmungen. Die Rückkehr des Königs verschärfte die Polarisierung innerhalb der griechischen Gesellschaft. Daran änderte sich auch nichts, als Ende 1947 Paul I. seinem durch die Nähe zum Diktator Metaxas diskreditierten Bruder auf dem Thron nachfolgte. Mit ihm hängt nicht irgendein Frühstücksdirektor beim Sicherheitschef an der Wand. Costa-Gavras signalisiert mit den Bildern des Königspaares, in welches politische Lager der Oberst gehört. Nicht jeder griechische Royalist war ein Anti-Demokrat. Die Reaktionäre in den Führungsebenen von Polizei und Militär waren es sehr wohl.

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