Dschihad in der Roten Moschee
Zwei Brüder, die mit Waisenkindern in den Krieg ziehen - Muscharraf profitiert von dem lauten Drama
Normalerweise ist Islamabad (im Gegensatz zur Schwesterstadt Rawalpindi) eine langweilige Stadt, eine echte Verwaltungsstadt, gegliedert in ordentliche, schnurgerade, quadratische Sektoren, die zum Beispiel E9, F 7-2 oder G 6-1 heißen. Doch seit vergangenem Dienstag spielt sich in Sektor G 6-4 ein Drama ab, das die ganze Welt beschäftigt: die Auseinandersetzung zwischen pakistanischen Sicherheitstruppen und islamistischen Extremisten, die sich in der Roten Moschee (Lal Masjid) verschanzt haben.
Seit Dienstag läuft die "Operation Silence" der pakistanischen Security-Forces. Operationsziel ist die Räumung der Moschee von den radikalen Elementen, die Wiederkehr von Ruhe und Ordnung in dem Sektor der Hauptstadt, der in der Nachbarschaft von Regierungsgebäuden liegt und das Ende der Peinlichkeiten, die von der Roten Moschee seit etwa einem halben Jahr ausgingen.
Man stelle sich vor, im Berliner Regierungsviertel würden religiöse Extremisten einer Kirche ein mittelalterliches Gesetz ausrufen, die Polizeigewalt übernehmen und die Mädchen aus der Schwesternschule, die zur Kirche gehört, mit Stöcken ausstatten und auf Streife schicken. Verdächtig aussehenden Frauen würden von der selbsternannte Exekutive dann tagelang eingesperrt und verprügelt - unter Androhung noch härterer Strafen. Die echte Berliner Polizei würde nichts unternehmen (ein paar von ihnen würden von den Schülerinnen ebenfalls entführt und verprügelt) und die Bundesregierung würde die Aktionen ebenfalls ignorieren. So lange jedenfalls, bis die selbstfabrizierte Sittenpolizei in ihrem moralischen Feldzug gegen Frauen aus einem fremden Land vorgehen, mit dem man sehr wichtige Geschäftsbeziehungen pflegt.
Wenn man sich die „Saga um die Rote Moschee“ so auf unsere Verhältnisse übersetzt, zeigt sich die erste große Auffälligkeit an dem ziemlich bizzaren Drama um die Rote Moschee – in pakistanischen Medien„ Lal-Masjiid-Saga „ genannt: Dass der pakistanische Präsident Musharraf so lange nichts getan hat.
Für manche Beobachter gab erst die Entführung und „Re-education“ von sechs Chinesinnen durch die radikal-militanten Schülerinen der Roten Moschee den Ausschlag für Muscharrafs „Operation Silence“. In den Augen der militanten Scharia-Zeloten mögen die Chinesinnen, die man verdächtigte, Massagesalons zu betreiben, nach anderen Quellen aber Akupunktur praktizierten, große Sünder sein. Nach Meinung der chinesischen Regierung sind sie zuallererst vor Willkürakten schützenswerte Staatsbürger und Gäste in einem fremden Land; also folgten Beschwerden und Muscharraf musste Farbe bekennen.
Seit der Noch-Armeechef seine Rangers und andere Soldaten zur Moschee losschickte, kam es zu Schießereien und Tumulten. 19 Tote seit Dienstag, so die Zahlen, welche die pakistanische Zeitung Frontier Post meldet, Quelle: Regierungsbehörden (andere berichten von mehr Opfern). Am frühen Samstagmorgen, so meldet ein Live-Blog, sollen sich Special Forces an der Roten Moschee versammeln. Die Lage bleibt schwierig: In der Moschee sollen sich nach Informationen des pakistanischen Geheimdienstes etwa „50 – 60 hardcore militants“ verschanzt haben. Ob die 250 Studenten (so die niedrig angesetzte Schätzung von Geheimdienstquellen), einschließlich der Frauen und Mädchen, die sich auch innerhalb der Moschee befinden, dort freiwillig sind, ist nicht ganz klar.
Laut Frontier Post gehen amtliche Beobachter davon aus, dass 30-40 dieser Studenten „die-hards“ seien, „der Rest ist da, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen, die Mehrheit unter ihnen sind Weisen, die kein anderes Zuhause haben.“ Andere verdächtigen die miltanten männlichen Insassen der Moschee, dass sie die Mädchen als menschliche Schilde missbrauchen.
Manche halten es auch für möglich, dass der stellvertretende Leiter der Moschee, Abdul Rashid Ghazi, der die Moschee bereits räumen wollte (allerdings unter Bedingungen, z.B. völlige Straffreiheit, die für die pakistanische Regierung unannehmbar waren) und jetzt insistiert, auf keinen Fall zu kapitulieren und lieber den Märtyrertod zu wählen, von Extremisten kontrolliert wird.
Die Festnahme seines Bruders, Maulana Abdul Aziz, dem Leiter der Moschee, brachte den pakistanischen Truppen bislang noch keinen entscheidenden Vorteil. Zwar rief Aziz im Fernsehen zur Kapitulation auf, das blieb allerdings ohne Wirkung. Im Gegensatz zu seiner vereitelten Flucht, die für einige Heiterkeit sorgte. Abdul Aziz versuchte unter einer Burka versteckt im Pulk mit Studentinnen, das Gebäude unerkannt zu verlassen. Er fiel den (weiblichen) Kontrolleuren jedoch wegen seines Bauches auf und trotz seiner Bemühungen, seine Stimme zu verstellen, wurde die „Auntie“ als Mann identifiziert und festgenommen. Man benötigt nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wieviel Spott diese Situation, die über die internationalen Nachrichtenmedien verbreitet wird, generiert. Möglich also auch, dass der Bruder und die Extremisten nun noch viel mehr daran setzen, ihr Gesicht auf keinen Fall zu verlieren.
Wer die Extremisten genau sind, ist noch nicht bekannt. Nach einer Interpretation der Asia Times gehört die Rote Moschee zu einer Bewegung, die mit den Taliban und Extremisten aus der Provinz Wasiristan verbunden ist. Das gibt der gegenwärtigen Saga in Islamabad größere, international wichtige zeichenhafte Bedeutung. Es geht um den Kampf gegen einen Virus, die „Talibanisierung“ von Pakistan, das ein wichtiger Verbündeter der USA und des Westens ist.
Das Wort „Talibanisierung“ stammt von Muscharraf selbst und wurde erst kürzlich in einem Artikel, der in der New York Times erschien mit neuer Dringlichkeit versehen: neueste Informationen würden zeigen, dass die Taliban und deren Sympathisanten nicht länger nur im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan operierten, sondern sich mehr und mehr auf Gebiete und Zentren innerhalb des Landes selbst vorwagten. Die Sorge, die damit zusammenhängt: Dass das Klima im Land kippen könnte, zugunsten der radikalen religiösen Kräfte.
Der dramatische Showdown dazu spielt derzeit auf der Bühne im Sektor G 6-4 der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, auf dem Gelände um die Rote Moschee. Und der augenblickliche Sieger dieses Spektakels in der Weltöffentlichkeit heißt Musharraf, der sich jetzt als entschlossener Kämpfer gegen die Extremisten feiern läßt.
Ob das auch innerhalb Pakistans so gesehen wird, ist eine andere Frage. Viele der Militanten in der Moschee sollen aus der Northwest Frontier Province stammen, Paschtunen, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr dem Fundamentalismus zugewandt haben.