"Dümmste Fehler, Fehler, Fehler über Fehler"
Rainald Goetz blogt für Vanity Fair
Der Schriftsteller Rainald Goetz veröffentlicht neuerdings seine Gedanken im Blog "Klage"unter der Obhut von Ulf Poschardts neuer Lifestyle-Postille. Dabei hat Goetz in seiner Essaysammlung "Hirn" bereits Mitte der achtziger Jahre eine bündige Analyse vom Aufstieg und Fall des Popjournalismus geleistet, die sich ohne große Verzerrung auch als Bewertungsmaßstab für die neue Hochglanzpostille verwenden lässt und aus der man schlüssig darlegen kann, warum Magazine wie Vanity Fair obsolet sind .
In "Klage" schreibt Goetz über das Leben in der Berliner Medien- und Kunstbohéme, Politik (RAF, Angela Merkel), Literatur (Kleists "Prinz von Homburg") sowie Ereignisse des Alltags. Dabei schwankt er zwischen Spontanpoeterei, linksliberaler Medienbegutachtung, einer teilweise nicht uncharmanten Selbstplagiierung ("Wut hat so was Verzweifeltes, Zorn geht nach vorn, zornig produktiv, die Autoaggression von Kunst und Jugend"), dem Tasten nach Neuem, der Relativierung alter Positionen und Alltagsbeschreibungen, die überwiegend nicht der Banalität entbehren:
"[...] wie ich gerade zum Schriftsteller Mark Z. Danielewski, wie er jetzt in der Faz von Dietmar Dath vorgestellt wird, kommen möchte, läutet es an der Türe, Tobias Begalke von Vanity Fair Online aus München ist da, ja bitte, kommen Sie hoch in den vierten Stock. Er klappt seinen Computer auf und setzt sich hin. Halbe Stunde später ist praktisch alles erledigt, Wahnsinn. An den Vorbereitungen für Abfall habe ich im Winter 97/98 etwa zwei, drei Monate hingeschraubt, mit der Unterstützung von Suhrkamp und speziell von Günter Berg, danke nochmal dafür, danke heute Vanity."
Mit dem Web-Tagebuch "Abfall für Alle" hatte Goetz vor fast 10 Jahren etwas produziert, was "Klage" sehr ähnlich sieht und heute alltäglich ist . Da verwundert seine kindliche Euphorie doch etwas - auch weil Goetz bereits von mehr als 20 Jahren in den in seiner Schrift "Hirn" gesammelten Essays eine immer noch zutreffende Analyse vom Aufstieg und Fall des Popjournalismus geliefert hatte, einem Genre dessen Revival Poschardt und Vanity Fair zu praktizieren versuchen.
Gegen Friedensirrsinn und Kulturpessismus
Goetz zeigt in diesen Essays auf, wie die ersten Ausläufer des deutschen Popjournalismus auf die herrschenden Diskurse der achtziger Jahre reagierten. Der Schriftsteller richtet sich dabei nicht nur gegen Friedfertigkeitsmythen, Aussteiger- und Naturromantik sowie Sensibilitäts- und Innerlichkeitskultur, wie sie Mitte der achtziger Jahre in der Ökologie-, Friedens- und Post-Hippie-Bewegung vorherrschend waren, sondern auch gegen den Kulturpessismus und das Gegeneinanderausspielen von Hoch- und Popkultur, welche konservative Eliten und Altlinke einten. Gerade das, was damals von diesen Schichten moniert wurde, das Schnellebige und Oberflächliche, wird von Goetz als progressiv erkannt und zum Prinzip erkoren:
"Wir brauchen keine Kulturverteidigung. Lieber geil angreifen, kühn totalitär roh kämpferisch und lustig, so muss geschrieben werden, so wie der heftig denkende Mensch lebt. Ich brauche keinen Frieden, weil ich habe den Krieg in mir. Am wenigsten brauche ich die Natur. Ich wohne doch in der Stadt, die wo eh viel schöner ist. Schaut euch lieber das Fernsehen an. Wir brauchen noch mehr Reize, noch viel mehr Werbung Tempo Autos Modehedonismen Pop und nochmals Pop. [...] Das bringt uns allabendlich in beste Trinkerlaune."
Dabei lehnte Goetz in seinen Hirn-Essays die Hochkultur nicht ab, er ließ sie nur gleichrangig neben der Popkultur stehen: Egal welcher Sphäre das Kunstwerk entstammt, ob es sich nun um Andreas Dorau, ein Huchel-Gedicht, Grace Jones, einen Motown All Time Greatest, Bacon, Charlotte von Kalb oder Goethe handelt, solange es die "Dialektik von Aufklärung und Unterhaltung" erfüllt, also Vergnügen und Erkenntnis bereitet, eben nicht zerstreut und gedankenlos macht, sondern inspiriert und Kraft gibt, riss Goetz keine Gräben auf:
"Im besten Fall ist der Klassiker logisch das, was auch Pop im besten Fall ist: nämlich ein Hit. Hits sind so gut, dass sie einen nie langweilen, genau umgekehrt, je auswendiger man sie kennt, desto noch auswendiger mag man sie kennen lernen. Außerdem sind Hits von einer prächtigen Kurzlebigkeit, ein Hit stürzt den nächsten Hit, was insgesamt das totale Vollgastempo ergibt, in jeder Bewegung dieses Tempo, das es nicht gäbe, gäbe es keine Hits. Und man kommt immer wieder zu ihnen zurück in Zeiten der Schwäche und der Mutlosigkeit [...]. Denn ein Merkmal, geradezu das Kardinalssymptom des Hits wie des Klassikers ist schließlich: dass er Mut macht, einem neue Kraft gibt, neue Stärke, neues Neu und neue Wut für die nächste neuerste Attacke."
In diesem Sinne konnte also Pop unter Umständen befähigter als die Hochkultur sein, die Zeit adäquat auszudrücken. So wurde damals von Götz die Lektüre des Pop-Theoretikers Diedrich Diederichsen ("Nirgendwo konnte man in den letzten vier, fünf Jahren so viel Neues und Wichtiges über die Welt erfahren, wie im intelligenten Musikjournalismus") als notwendiger erachtet als das Lesen des postmodernen Theoretikers Jean Baudrilliard. Malern und Popmusikern wurde im Gegensatz zu den Literaten das Prädikat "die Besten" verliehen, der Pop-Art-Künstler Andy Warhol als "der einzig wirklich moderne Mensch dieses Jahrhunderts" gepriesen und der "BUNTEN" der Vorzug vor dem "Stern" gegeben:
"Denn die Affirmation der Welt gibt es nur bei den Allerbesten und bei Rechtsradikalen, Anenzephalen und Vollidioten."
Niedergang des Popjournalismus
Gleichwohl, so Goetz in seiner damaligen Erkenntnis, ließen sich beide Sphären nicht gleichsetzen, da sie unter wesentlich verschiedenen Rahmenbedingungen funktionieren und der Versuch, von der Pop-Ebene einfach in die Hochkultur überzuwechseln, genau den Referenzrahmen sprengt, der Pop-Phänomene erst für sich erfassbar macht:
"Es stimmt eben auch nicht hier, dass man ungestraft seriös werden kann, einfach so den Ort, das Medium wechseln, dass etwas was in einem Kontext lustig, vielleicht ganz interessant war, in einem anderen Kontext auch noch recht hat, und am allerwenigsten funktioniert der bedenkenlose Wechsel von Spaß-haben-und-Kunst- machen in Kunstkunst."
Darüber hinaus, schrieb Goetz, drohe die Popkultur vom Mainstream der Medien aufgesogen zu werden:
"Unterdessen sind die Popkämpfer selbst beim Rundfunk, beim Fernsehen, bei Verlagen, Zeitungen und Zeitschriften, den ganzen bürgerlichen Kultur-Medien, kurzum beim Establishment angekommen. Wir sollen plötzlich ganz echt mitspielen dürfen, man redet mit uns wie mit Erwachsenen. [...] Und wir sollen dankbar sein, anstatt zurückzuspucken. Da steht jeder wieder allein da und muss sich entscheiden, wieviel Schneid er sich abkaufen lassen kann, wieviel Verführung und Korruption sein Hirn schadlos übersteht.."
All diese Fehler fanden sich nach Goetz konzentriert im popjournalistischen Epigonentum. Bei unreflektierter Übernahme äußerlicher Stilmerkmale der originären Popjournalisten wurde gerade das dynamische und reflexive Prinzip der Popkultur für kontextunabhängig und konstant erklärt, das soeben Erkämpfte und geistig subtil Durchdrungene als sichere Gewißheit und Altbewährtes ausgegeben und somit die Methodik des Popjournalismus ad absurdum geführt:
"[In Sounds] wurde Anfang der 1980er [...] von fähigen jungen Männern eine prächtige damals sehr wohltuende Großzügigkeit entwickelt, eine überdrehte egomane totalitäre manichäisch mutige Sprechweise, in der die Wahrheit über die Welt nicht als fitzelige krittelige Detailexegese, sondern als freches Urteil in einer Adjektivkette oder einem halben Nebensatz auszusprechen war. Dann wird das, wie fast immer fast alles, natürlich und augenblicklich mißverstanden. Die Null, die von nichts keine Ahnung hat, liest schöne großspurige Sätze, und denkt sich: das ist ja toll, das mache ich auch so. Dann reißt die Null das Maul auf, und was fällt ihr heraus? Dümmste Fehler, Fehler, Fehler über Fehler."
Epigonenzentrum
Genau diese Kennzeichen von Epigonentum vereinigt nun wiederum der Macher von "Vanity Fair", Ulf Poschardt, auf hervorragende Weise. Denn Poschardt unterstellt bei seinen (in Blättern wie Vanity Fair, der ZEIT, der Welt und der taz veröffentlichen) Thesen einen direkten Zusammenhang von Pop und Politik, wobei er nicht nur einen statischen und ausschließenden Gegensatz zwischen Mainstream (böse) und Underground (gut) behauptet, sondern gleichfalls nicht reflektiert, dass der von ihm als revolutionär propagierte Neoliberalismus nicht mehr wie in den sechziger und siebziger Jahren eine theoretische Nischenexistenz fristet und mittlerweile nicht nur von den Medien und Parteien, sondern auch im Pop (von Puff Daddy bis Dieter Bohlen) unentwegt formell wie inhaltlich propagiert wird, weswegen Poschardts Pop nach seinen eigenen Maßstäben kein Pop mehr ist.
Der Professorensohn aus Mittelfranken geht von der Position aus, dass Pop per se emanzipatorisch sei, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung davon zu besitzen, dass Pop ambivalent ist und sich in widersprüchlichen Tendenzen bewegt: Da es dabei um die Besetzung von allgemeinen Werten und Zeichen durch Mehrheiten geht, die selbst aber als Minderheiten behandelt werden (oder umgekehrt), kann Pop sowohl emanzipatorisch als auch reaktionär sein, je nachdem, was von wem auf welche Weise umgebogen wird. Scheinbar identische Popphänomene können also mit der Zeit ihre Bedeutung verkehren. Das beste Beispiel hierfür ist vermutlich Poschardts Popansatz selber: Ein untrügliches Zeichen nämlich, dass Pop total auf den Hund gekommen ist, ist nämlich seine Propagierung durch den betont unsubtilen Kolumnisten (in der "Welt" hatte er z. B. sogar das Kunststück fertig gebracht, die Handlung des "Marathon Man" wesentlich zu missdeuten.
Poschardt ist nicht Pop, sondern nur einer, der gerne Pop wäre, wobei es sich mit beiden noch schlimmer verhält als mit dem Hasen und dem Igel: Immer wo Poschardt meint, am Ziel angelangt zu sein, ist der Pop schon wieder weg. Trotz des hinterhältigen Versuchs, eine prozyklische Bewegung als antizyklische auszugeben bleibt aber auch hier ein positiver Kern übrig: Wer konnte schon ahnen, dass es soviel dämliche und peinliche Gründe pro Pop-Kultur gibt - und Poschardt hat sie alle genannt!
BUNTE-Leser mit und ohne Abitur
Ein praktischer Beleg für Poschardts Unfähigkeit, Phänomene der Popkultur auf kluge und unterhaltsame Weise für den Leser zu entschlüsseln, ist nicht zuletzt das von ihm betreute deutsche Vanity Fair. Ein Magazin, dass auf die übliche langweilige und altbackene Weise zwischen pseudoelitärer Gehirnwäsche und nicht minder gehirnerweichenden Promi-Goes-Human-Interest-Themen pendelt, so dass man Eindruck bekommt, die "Leistungselite", auf die das Organ abzielt, wären nicht einmal halbprominente Adlige und Werbeagentur-Mausis, die auf der Suche nach sich die Yellow Press durchforsten, sondern schlicht und einfach BUNTE-Leser mit und ohne Abitur .
War schon "Tempo" in den Achtziger Jahren gleichzeitig wahnsinnig protzend und unglaublich bieder, ein um Jahre zu spät gekommenes und wirklich schlecht gemachtes "FACE"-Magazin der Fürst-Pückler-Art für geistig Arme wie den deutschen Oberschichtsprolo, so fällt "Vanity Fair" noch um einiges hinter den Standard der Zeitgeistpostille von Markus Peichl zurück: Eine Nachmittagstalkshow zum Blättern, in der die Gäste keine Unterschichtszombies sind, sondern Untote des Showbusiness aus der B- bis C-Kategorie, die sich wie Till Schweiger mit Fragen folgenden Kalibers herumschlagen müssen: "Fühlen sie sich in Ihrem Körper wohl?".
Wenigstens zeitigte die Zeitschrift insofern positive Wirkung; als man schon lange nicht mehr durchgängig so gelungene Verrisse lesen durfte - von der Frankfurter Rundschau bis zum Standard. Dementsprechend ist das Magazin bislang eher Gegenstand von Parodien. als von politischen Debatten. Allerdings haben die Parodisten auch leichtes Spiel, wenn etwa eine zu zwei Drittel erfundene Stellungnahme mit einem "Datenübertragungssfehler" entschuldigt wird.
Für Poschardt seit seiner Zeit als Redakteur beim SZ-Magazins nichts ungewöhnliches: Jahrelang wurden von Tom Kummer gestellte Prominenten-Interviews veröffentlicht, die ihm schließlich den Job bei der Süddeutschen, aber nicht seinen Platz in der Aufmerksamkeitsökonomie kosteten. Im Gegenteil: Gar nicht selten ist der Doppelgänger von Markus Söder in den hiesigen Talkshows zu bewundern, wo er dem Publikum seine neoliberale Hausmannskost mit der Überzeugungskraft eines presbytanischen Würstelbudenbesitzers serviert.
Implosion in Bedeutungslosigkeit
Wahrscheinlich ist genau das, was Goetz seinerzeit als den Vorteil von Pop angesehen hatte - seine hohe Zerfallsgeschwindigkeit und der daraus resultierende Zwang für den Rezipienten, sich stets mit neuen Phänomenen beschäftigen zu müssen, ohne sich auf Bewährtes stützen zu können - der Grund, warum Pop letztendlich in Bedeutungslosigkeit implodiert ist. Mit dem Verwenden von verschiedenen Bedeutungsmustern, das heftige, aber nur sehr kurzfristige Erkenntniszusammenhänge herzustellen vermag, verdampft alles in Aktualität. Wenn das Neueste stets vom Neuesten gestürzt wird, ohne einen weiteren Referenzrahmen aufzubauen, wird das Prinzip des Neuen für die Erkenntnis bedeutungslos. Es entzieht sich selbst den Boden unter den Füßen. Im Reich der Sensationen ist die Sensation keine Sensation mehr. Pop verschlingt sich selbst. Der "dialektische Uhrzeiger" (Diedrich Diederichsen) hat sich anscheinend, nachdem der Spaß seit den Achtzigern in immer dürftigeren Formen bis zum Erbrechen durchexerziert wurde, wieder auf den Modus von unserem Onkel Ernst zurückgedreht.
Vielleicht ist so eine Anekdote im Vanity Fair-Blog zu interpretieren, in der Goetz eine Begegnung mit dem Lifestyle-Redakteur Claudius Seidl schildert, welcher seine Enttäuschung nicht verbergen kann, als Goetz die Frage nach dem "Thema der Woche" nicht beantworten will:
"Traurig schaute er mich aus seinen betrübten Bierseidlaugen an und ich sah ihn denken: schade, noch so ein Renegat, der abfällt vom Jetztglück des Jetzt. Das war vor vier, fünf Jahren, bei einem Eggers & Landwehr Abend in deren Café in der Rosa-Luxemburg-Straße. Dabei meinte ich ja nur, dass wir neue Impulse brauchen von irgendwoher, dass irgendetwas erschöpft sein könnte am Spaßcraze unserer vergangenen, so herrlich gewesenen Findesièclewelt. Zumindest ich selbst fühlte mich so. Aber das Zeitungsmachen duldet keinen Zweifel, daran leiden sie alle, an der Gewalttätigkeit ihrer Produktionsgewissheiten. Und wenn ich mir die Ratlosigkeit des wöchentlichen Claudius Seidlschen Unterhaltungsfeuilletons in der Fas heute anschaue, muss ich sagen: ein paar seriöse Impulse täten sehr gut."