Durch Kultur begrenzter Experimentwert
Die drei neuen Wirtschaftsnobelpreisträger und ihre Mode
Streng genommen gibt es keinen Wirtschaftsnobelpreis. Dass trotzdem alle Welt davon spricht, liegt daran, dass die Schwedische Reichsbank sich mit einem eigenen "Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften" als Trittbrettfahrer an die Nobelpreisbekanntgaben- und verleihungen angehängt hat. Dieses Jahr hat sich ihre Jury für die Vergabe dieses Preises an drei Entwicklungsökonomen entschieden: An den Amerikaner Michael Kremer, den Inder Abhijit Banerjee und die Französin Esther Duflo (die mit Banerjee verheiratet ist).
Alle drei arbeiten in der Nähe von Boston: Kremer an der Harvard-Universität, Banerjee und Duflo am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort beschäftigen sie sich mit Experimenten, die der Jury zufolge dazu beitragen "Armut zu bekämpfen". Ihre experimentellen Wirkungsanalysen sollen abseits reiner theoretischer Postulate empirisch zeigen, welche Anreize und Bedingungen die wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich stärken und welche nicht. Die "randomisierten Kontrollversuche" (RCTs) orientieren sich dabei an der Arbeitsweise von Medizinern, die den Erfolg von Medikamenten und Therapien mittels Kontrollgruppen vergleichen. Bei Entwicklungsökonomen funktioniert das dann so, dass beispielsweise einem Dorf eine Ernteausfallversicherung angeboten wird und einem benachbarten Dorf nicht.
Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), lobte die Vergabe des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für diesen Ansatz gestern als "exzellente Wahl" (vgl. Wirtschaftsnobelpreis für Armutsforscher: "Exzellente Wahl"). Ganz anderer Ansicht zeigte sich der Wirtschaftsblogger Norbert Häring (vgl. Warum die experimentelle Entwicklungsökonomik den Nobelpreis nicht verdient).
Seiner Ansicht nach hat man mit dieser Wahl einen "Hype" ausgezeichnet, den Banerjee und Duflo vor acht Jahren mit ihrem Buch Poor-Economics - A Radical Rethinking of the Way to Fight Global Poverty auslösten. Die Erkenntnisse, die man aus den häufig eher teuren RCTs gewinnt, sind seiner Ansicht nach aber häufig nur begrenzt verwertbar, worauf auch schon andere Beobachter hinwiesen. Weltweite Gültigkeit haben sie nur, wenn man mit ihnen anthropologische Konstanten oder deren Auswirkungen ermittelt.
Mit scheinbar allgemeingültigen Postulaten schnelle und große Aufmerksamkeit
Solche anthropologischen Konstanten sind allerdings nur ein kleiner Teil dessen, was über wirtschaftlichen Erfolg oder Nichterfolg entscheidet. Andere wichtige Faktoren sind die materielle Umgebung und die Kultur, in die wirtschaftliche Handlungen eingebettet sind, wie Karl Polanyi bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausfand. Seine Erkenntnisse hinderten den Mainstream der Wirtschaftswissenschaften allerdings lange nicht daran, diesen Faktor zu vernachlässigen und stattdessen von Fiktionen wie einem reinen homo oeconomicus und einer rational choice festzuhalten (vgl. Empirisch geerdete Wirtschaftswissenschaft und Die dunkle Seite des Wirtschaftsnobelpreisträgers).
Ob die zukünftige Sicht auf die Vergabe des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises an drei Entwicklungsökonomen eher der von Fratzscher oder eher der von Häring gleicht, dürfte deshalb auch davon abhängen, inwieweit die Richtung die Rolle der Kultur akzeptiert und der Versuchung widerstehen kann, mit scheinbar allgemeingültigen Postulaten schnelle und große Aufmerksamkeit zu erregen.
Freihandel: Alter Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman gesteht "großen Fehler" ein
Eine Warnung könnte ihr dabei Paul Krugman sein, der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2008 (vgl. Eine politische Wahl). Er musste in einem bei Bloomberg erschienenen Artikel mit dem Titel What Economists (Including Me) Got Wrong About Globalization gerade einräumen, dass seine in den 1990er Jahren aufgestellte Behauptung, die Globalisierung würde Arbeitern nicht spürbar schaden, von der Realität falsifiziert wurde.
"Konsensökonomen", so Krugman heute, hätten sich damals nicht in ausreichendem Maße mit "analytischen Methoden beschäftigt, die sich auf die Arbeiter in bestimmten Industrien und Gemeinschaften konzentrieren", sonst hätte sich seinem Eingeständnis nach ein anderes Bild der "kurzfristigen Trends" ergeben. Das sei ein "großer Fehler" gewesen. Für viele Amerikaner im Rust Belt hatte dieser "große Fehler" massive Konsequenzen. Auf diese Opfer eines alten Wirtschaftsnobelpreisträgers wollte Fratscher aber wahrscheinlich nicht anspielen, als er gestern zu den drei neuen meinte, es habe "wohl selten Wirtschaftsnobelpreisgewinner gegeben, die das Leben so vieler Menschen so verbessert" hätten.
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