Durchbruch in Nordirland
Mit einer gemeinsamen Regierung findet die irische Provinz endlich zum Frieden mit sich selbst. Der Friedensprozess kann durchaus auch Lehren für andere Konflikte bieten
Gestern haben die größten nordirischen Parteien eine gemeinsame Regierungsbildung vereinbart. Damit geht ein acht Jahre währender Friedensprozess in eine neue Phase über. Bereits Anfang März wurde in Nordirland ein neues Parlament gewählt. Bis zum gestrigen Montag sollten die Parteien sich auf eine gemeinsame Regierung geeinigt haben. Das 2003 gewählte Parlament war nie zusammengetreten, da sich die beiden größten Parteien, die IRA nahe Sinn Fein und die Democratic Unionist Party des Pfarrers und protestantischen Hardliners Ian Paisley nicht einigen konnten. Vor allem Paisley warf der Gegenseite immer wieder die ungenügende Umsetzung der im Friedensabkommen von 1998 festgelegten Bedingungen vor.
Der von Anbeginn immer wieder totgesagte Friedensprozess scheint sich letztendlich auszuzahlen. Und es wird klar, dass nach 30 Jahren Konflikt Frieden nicht mit einem Stück Papier und durch unzählige Ultimaten zu haben ist, sondern Geduld und vor allem Mut auf allen Seiten vorhanden sein muss. Besonders dann, wenn eine oder beide der Seiten ihre Abmachungen nicht einhalten. Diese Rolle nahm vor allem immer wieder Sinn Fein bzw. die ihr verbundene IRA ein - und das aus gutem Grund. Frieden passiert nicht über Nacht.
Die verschiedenen Punkte des Karfreitagsabkommen mussten nicht nur politisch von den Verantwortlichen vereinbart werden - die politischen Führer mussten diese Maßnahmen auch verkaufen, ohne all zu viele Anhänger zu verlieren. Während die Rhetorik der IRA immer die alten Parolen propagierte - vereinigtes Irland, keine Aufgabe des bewaffneten Kampfes, keine Aufgabe der Waffenbunker, Aufklärung von Übergriffen der britischen Streitkräfte (z.B. Bloody Sunday) -, näherten sie sich Stück für Stück den tatsächlichen Eckpunkten des Vertrages an. Nach acht langen Jahren hatten sie ihre Anhänger soweit und konnten ihnen sogar die Teilnahme in der Kontrollkommission für die bei Katholiken so verhasste Polizei schmackhaft machen.
Faktoren des Erfolges
Der Erfolg in Nordirland, kann auf ein paar zentrale Aspekte zurückgeführt werden, die so deutlich im täglichen Lärm der Politik nicht immer gleich wahrnehmbar waren:
- Frieden braucht Zeit und Geduld: Krieg kostet im Zweifel mehr und bringt keine nennenswerten Erfolge.
- Frieden kostet Geld, sehr viel Geld: In der Folge des Abkommens von 1998 wurden in Form von EU-Geldern enorme finanzielle Mittel in die Provinz gepumpt ist, mit dem die Kontrahenten (vor allem die Paramilitärs) auf schnöde, aber effektive Art überzeugt wurden - durch Jobs, Unterstützung für Hilfs- und Gemeinde-Projekte usw..
- Reden und Tun sind zweierlei Dinge: Die Rhetorik der IRA durfte nicht zu ihrem Ausschluss führen. Es war der einzige Weg, diese radikalen Kräfte (und vor allem ihre Anhänger und Unterstützer) auf lange Sicht bei der Stange zu halten. Das gilt gleichermaßen für die Forderungen, die von protestantischer und britischer Seite gestellt worden sind. Auch hier war es vor allem Rhetorik der britischen Regierung um die Spannung hoch zu halten und den Protestanten Unterstützung zu signalisieren. Alternativen zum Frieden gab es nach 30 Jahren Konflikt ohnehin nicht mehr - für niemanden.
- Politik ist nur die Hälfte der Wahrheit: Politische Berichterstattung, die immer wieder vom Scheitern des Friedensprozesses sprach, hat die Lage und Stimmung der Bevölkerung missachtet. Diese aber wählt und muss mit den Konsequenzen leben. Für sie hat schon der Friedensschluss von 1998 einen enormen Fortschritt bedeutet. Alle gewonnenen Verbesserungen wollten von niemandem aufgegeben werden - vor allem nicht die wirtschaftlichen. Alle Verantwortlichen waren zu Lösungen verdammt.
- Entscheidend für das Zustandekommen des Abkommens 1998 war aber, dass die Paramilitärs als Verhandlungspartner anerkannt wurden. Ohne sie hätte es zu keinem Zeitpunkt eine Aussicht auf einen beständigen Frieden gegeben.
Dass es zum Schluss noch einmal knapp und spannend wurde, lag vor allem an der Sturheit der Protestanten, allen voran Ian Paisley und seiner unbeugsamen Politik, die ihm bereits in der Vergangenheit den ehrenvollen Titel „das Nebelhorn Gottes“ eingebracht haben. Die britische Regierung hätte 2003 niemals das Parlament auflösen dürfen, sondern im Gegenteil beide Seiten - allen voran Paisley - zur Kooperation zwingen müssen. Die väterlich bevormundende Rolle Tony Blairs hat diesen Prozess nur verzögert. Und letztlich hat Paisley seine Wählerschaft anders als Sinn Fein nie auf Kompromisse vorbereitet. Umso schwerer fiel es ihm jetzt. Ob es tatsächlich klappen wird, wird sich zeigen, wenn sich Parlament und All-Parteien-Regierung tatsächlich bilden und finden müssen.
Vorbild für andere Konflikte?
Kann das Beispiel Nordirland als Vorbild für Frieden in anderen Konflikten dienen? Zwei Konflikte im speziellen kommen hier in den Sinn, welche durchaus strukturelle Ähnlichkeiten zur irischen Provinz aufweisen: Israel/Palästina und Sri Lanka.
Speziell der israelisch-palästinensische Konflikt scheint unüberwindbar - zu viele Friedensversuche verliefen im Sande oder wurden von der einen oder anderen Seite unterlaufen. Immer führte es zu einer Verschärfung des Konfliktes. Dabei wurden zum Teil greifbare Chancen offenkundig vertan. So war es mit Sicherheit ein Fehler nach dem Wahlsieg der Hamas im Gazastreifen, der dortigen Regierung den Geldhahn abzudrehen. Das Gegenteil hätte der Fall sein müssen: mehr Geld verbunden mit der Forderung, Israel anzuerkennen. Und dann hätten die EU und die USA auch Geduld haben müssen, selbst wenn sich die Forderung unmöglich von einem Tag auf den anderen umsetzen ließen.
Die Hamas sind ebenso wie die Fatah und die Hisbollah im Libanon nicht nur Terrororganisationen, sondern erfüllen ähnlich der IRA und den protestantischen Paramilitärs eine identitätsstiftende Funktion. Sie nicht als Vertreter der Menschen anzuerkennen, verkennt die innere Dynamik eines solchen Konfliktes und der sozialen Strukturen. Der aufgebrochene Konflikt zwischen Hamas und Fatah hat nur gezeigt, wie unsicher die Lage auch innerhalb der Palästinenser selbst ist. Die Nichtanerkennung der Hamas-Regierung als rechtmäßig gewählte Vertretung hat offensichtlich zu einer internen Destabilisierung geführt, bei der die Menschen eher geneigt waren, der radikalen Marschroute zu folgen, als ihre Wünsche durchzusetzen. Ein Schlüssel zum Frieden liegt auch hier in der ökonomischen Lage der Menschen selbst, nur dann sind anscheinend bereit, den Frieden auch mit zu tragen und den radikalen Kräften Zug um Zug die von ihnen beanspruchte Macht zu entziehen bzw. ihren Wünschen das entsprechende Gewicht zu verleihen. Der Bruderstreit im Gazastreifen offenbart eine tiefe Krise und müsste - neben anderen Maßnahmen - auch mit Geld und Anerkennung der beiden Organisationen als vollwertige Partner im Friedensprozess beantwortet werden.
Ohne die radikalen Kräfte wird es nicht zu einem Frieden kommen. Das dürfte auch für die noch viel mächtigere LTTE auf Sri Lanka gelten, die zudem über eine eigene wirtschaftliche Macht und entsprechende Infrastruktur verfügt.
Nachdem sich nach 4 Jahren des Stillstandes die beiden verfeindeten Parteien an einen Tisch gesetzt haben, erhält auch das Abkommen von 1998 die Bedeutung, die ihm zusteht. Auch wenn es kein 1:1-Modell für den Nahen Osten sein kann, so sollte man doch auf die vielen kleinen Details achten, die seiner Umsetzung zum Erfolg verholfen haben. Für den Nahen Osten würde das bedeuten, dass sich eher weniger Akteure in die Angelegenheiten einmischen dürften - und wenn dann mit konkreter finanzieller Hilfe und nicht mit ideologischen und politischen Forderungen, die auf kurze Sicht ohnehin unerfüllbar bleiben müssen, weil sie nicht die Realitäten widerspiegeln,
Frieden muss gekauft werden, auch wenn der Preis beinhaltet, die alten Rhetoriken noch eine Weile länger zu ertragen. Tun und Reden können durchaus verschieden sein, wenn es hilft, damit auch die Anhänger zu überzeugen, peu-à-peu eine neue Linie mitzutragen, die ihnen sonst als Verrat vorkommen würde. Genau das hat die IRA erfolgreich geschafft. Der Nahe Osten ist nicht Nordirland, aber es würde sich durchaus lohnen, auf erfolgreiche Strategien und Rezepte zu schauen, um Auswege aus völlig verfahrenen Situationen zu finden. Die Politikveranstaltung Nahost-Quartett hat diese Lösungen mit Sicherheit nicht parat.