E-Mail-Affäre um Springer-Chef: Der Ekel vor Demokraten

Seite 2: Demütigen, diffamieren, disziplinieren

Alle falschen Weichenstellungen müssten laut dieser Sicht nach westlichem Modell in einem mühseligen Prozess korrigiert werden. "Das ist die Bürde der neuen Bundesrepublik nach 1990", so Wehler. Ist die Bürde nicht vielmehr, dass das völlige Missachten östlicher Erfahrungen eine bis heute mühselige Korrektur erfahren muss? Dass die plumpen Diffamierungen jetzt nur noch in privaten Tweets gewagt werden, ist zwar ein Fortschritt, zeigt aber zugleich, wie quicklebendig sie noch sind.

Der Dichter Wolfgang Hilbig beschrieb die Demütigungen als "Unzucht mit Abhängigen". Lange Zeit hatte man das hinzunehmen. Und auch der öffentliche Widerspruch von Westprominenz blieb übersichtlich. Gaus, Grass, Bahr – sie wurden dafür gescholten. Wer gar im Osten wagte, die Versimpler anzugreifen, wie ich in meinen Büchern, wurde des "Osttrotzes" bezichtigt.

Gegen den Axel-Springer Konzern habe ich ein halbes Dutzend Verleumdungsklagen geführt, weil ich in Texten des moralisierenden Hauses mit abenteuerlichen Spekulationen mal in Stasi-, mal in Nazi-Nähe gerückt wurde.

Das Schmerzensgeld, zu dem der Konzern verurteilt wurde, hat er gern aus der Porto-Kasse bezahlt und weiter gemacht. Die Lust am versuchten Disziplinieren blieb eine dauerhafte Erfahrung struktureller Gewalt. Es gab lange keine denunziationsfreien Räume für die Ostdeutschen. Und nie hat sich dafür jemand entschuldigen müssen oder wurde gar zum Rücktritt aufgefordert, wie jetzt Döpfner.

Aber warum war und ist gerade die Demokratiefähigkeit der DDR-Sozialisierten so ein Reizthema? Solange sie 1989 ihre Regierung zum Rücktritt zwangen, wurden sie für ihre Gewaltlosigkeit und ihren Humor selbst von der Springer-Presse gelobt. Sobald aber ihre Vorstellungen von Demokratisierung Gefahr liefen, auch den Status quo der Bundesrepublik in Frage zu stellen, hörte der Spaß auf.

Klaus Hartung lobte in der taz den Runden Tisch und das Kabinett Modrow für das klare Programm der Demokratisierung. "Insofern geht die Macht wirklich vom Volke aus und bleibt vor allem bei ihm – in einem Maße, wie es im ehemals freien Westen nie denkbar war und ist. In der Demokratie DDR ist jetzt schon die Straflosigkeit des gewaltlosen Widerstands garantiert, ein Prozess, der unsere Sicherheitsgesetze noch peinlicher machen wird.

Die repräsentative Demokratie, die im Grunde eine Großparteienherrschaft ist, wehrt nach wie vor alle Ansätze direkter Demokratie und Kontrolle von unten ab. In der DDR hingegen wird inzwischen selbst der innerste Repressionsbereich einer demokratischen Kontrolle von unten unterworfen."

Zu der Zeit war ich Mitglied der ersten unabhängigen Untersuchungskommission; wir hatten das Mandat, die Verantwortlichen für die Übergriffe von Polizei und Staatssicherheit auf Demonstranten zu befragen. Auch wenn diese unwillig waren und blockierten, sie hatten uns Rede und Antwort zu stehen. Wir erreichten den Rücktritt des Berliner Polizeipräsidenten.

"Nicht nur Euer Land, Ost und West stecken in einer tiefen Krise", hieß es in einer Erklärung von wichtigen Stimmen wie Inge Aicher-Scholl, Karl Bonhoeffer, Helmut Gollwitzer, Margarethe Mitscherlich oder Heinrich Albertz. Es würden bewusst nationalistische Gefühle angeheizt, um die Bemühungen für eine sozialistische Demokratie zu verschütten. Dann würden auch die "sozialen Bewegungen in unserem Lande einen schweren Rückschlag erleiden".

Ein Mitunterzeichner, der österreichische Futurologe Robert Jungk, flehte geradezu: "Lassen Sie sich um Gottes willen nicht von den Konzepten kapitalistischer Staaten verführen. Wenn bei uns weiter in der bisherigen Art regiert und produziert wird, stehen unvermeidlich schwere, nicht wiedergutzumachende Krisen ins Haus."

Hatten wir die SPD mitgerissen, die mitten in der Wendezeit, auf ihrem Berliner Parteitag im Dezember 1989 ein neues Programm beschloss? "Es ist eine historische Grunderfahrung, dass Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig."