EU Gericht: Glyphosat-Studien müssen zugänglich sein
Nach Auffassung der Luxemburger Richter überwiegt das öffentliche Interesse den Schutz von Geschäftsinteressen
Das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg (EuG) hat zwei Urteile gefällt, die den Zugang zu Informationen in Umweltangelegenheiten stärken. Geklagt hatten ein belgischer NGO-Berater (Schwerpunkt Toxikologie) und vier EU-Parlamentarier. Die Kläger verlangten den Zugang zu Studien zur Toxizität von Glyphosat. Glyphosat wird vom Gericht eingestuft als "eines der gängigsten Herbizide in der Union". Entsprechend hoch ist das Interesse der Öffentlichkeit.
In beiden Rechtssachen hatte die Europäische Behörde, die für Lebensmittelsicherheit zuständig ist (EFSA), die Offenlegung von Unterlagen verweigert. Darunter befinden sich zwei Schlüsselstudien "zur Bestimmung der zulässigen täglichen Aufnahme" des umstrittenen Herbizids. Der Antrag der Parlamentarier auf Offenlegung richtete sich zudem auf Versuchsbedingungen und -methoden sowie Analyseergebnisse im Zusammenhang mit diesen Studien.
Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA begründete in dem Rechtsstreit ihre Verweigerung so:
1. Die Verbreitung der Informationen könne ernsthaft die geschäftlichen und finanziellen Interessen der Unternehmen beeinträchtigen, die die Studienberichte vorgelegt hätten.
2. Es bestehe kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.
3. Die EFSA halte den Zugang zu den fraglichen Teilen der Studien für nicht erforderlich im Hinblick auf die wissenschaftliche Risikobewertung.
Die Luxemburger Richter erklärten in ihrem Urteil am Donnerstag diese Haltung für nichtig (Rechtssachen T-716/14, T-329/17).
Hypothesen versus Realitäten
Die EFSA ist die in der Union für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständige Behörde. Ihr Direktor Bernhard Url hatte gegenüber EU-Abgeordneten erst im vergangenen Sommer die Zulassungswege für solche Mittel selbstbewusst als "sehr solides Verfahren" bezeichnet, "das ausreichende Unabhängigkeit von der Industrie" aufweise.
Mit ihrem Urteil von dieser Woche geben die Richter nun ein klares Signal in Richtung öffentliches Interesse - und in Richtung Realitäten: Das Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt bestehe gerade darin, nicht nur zu wissen, was in die Umwelt freigesetzt oder absehbar freigesetzt werde, sondern auch zu verstehen, in welcher Weise die Umwelt durch die fraglichen Emissionen beeinträchtigt werden kann. Dabei unterscheidet das Gericht deutlich nur hypothetisch angenommene Emissionen (unter Laborbedingungen) von real nachweisbaren Rückständen "eines tatsächlich in der Umwelt vorhandenen Wirkstoffs", wie er sich u.a. in Pflanzen, in Wasser oder Lebensmitteln niederschlägt.
Der Begriff der Informationen, die "Emissionen in die Umwelt betreffen", ist deshalb dahin auszulegen, dass er nicht nur die Informationen über Emissionen als solche erfasst, d.h. die Angaben über Art, Zusammensetzung, Menge, Zeitpunkt und Ort dieser Emissionen, sondern auch die Daten über die mehr oder weniger langfristigen Auswirkungen dieser Emissionen auf die Umwelt.
Gericht der Europäischen Union, Pressemitteilung vom 7.3.2019
Klares Votum: Öffentliches Interesse
Die EFSA darf dem Urteil zufolge eine Offenlegung von Dokumenten nicht mit der Begründung verweigern, dass die Zugänglichmachung den Schutz von geschäftlichen Interessen der Rechteinhaber an den angefragten Studien beeinträchtige. Die Behörde könne auch nicht geltend machen, dass sich die angefragten Studien weder auf reale Emissionen noch auf die Wirkungen realer Emissionen bezögen. Mit anderen Worten: Die in dem konkreten Fall angefragten Informationen betreffen notwendigerweise die Qualifikation "Emissionen in die Umwelt", da ja das Ziel des Wirkstoffs darin bestehe, ihn auch auszubringen.
Die seitens der Kläger angefragten Studien waren Teil der Akte über die Erneuerung der Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat. Gegen das Mittel hatte es vor allem hierzulande heftige Proteste gegeben. Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC), eine Unterorganisation der Weltgesundheitsorganisation (WHO), stufte Glyphosat im März 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" ein; die Lebensmittelbehörde EFSA sah dafür allerdings keine Bestätigung (Glyphpsat - und kein Ende?).
Der Pharma- und Agrarchemie-Riese Bayer muss sich unterdessen in den USA einer Flut von Glyphosat-Klagen stellen. Bis Ende Oktober seien Gerichtsschriften von insgesamt etwa 9300 Klägern zugestellt worden, so Bayer-Chef Werner Baumann bei Vorlage der Quartalsbilanz Mitte November. Zu dem jetzt ergangenen Urteil aus Luxemburg weist der Leverkusener Konzern auf Nachfrage auf eigene Initiativen hin, so auf die Transparenz-Website Cropscience Transparency. Noch im März 2019 werde Bayer Studienberichte, die im Rahmen der Erneuerung der Zulassung von Glyphosat in der EU eingereicht wurden, ebenfalls zur Verfügung stellen.