EU-Gipfel: Hilflose Drohgebärden gegen Russland

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem portugiesischem Regierungschef Antonio Costa. Bild: European Union

Beim EU-Gipfel in Brüssel stellten sich Briten, Niederländer und Belgier quer. Weder beim Brexit noch beim CETA-Abkommen mit Kanada ging es voran

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Es sollte ein normaler Gipfel werden. "Diesmal gibt es keine Krise", gab sich ein EU-Diplomat vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel optimistisch. Doch dann kam alles ganz anders. Am Abend des ersten Gipfeltags war klar: Die EU hat sich in ihren eigenen Widersprüchen verheddert - und kann nur mit einem neuen Feindbild den Schein von Einheit wahren. Der Feind heißt Russland, wie im Kalten Krieg. Just in dem Moment, da die EU einmal ganz grundsätzlich über den Umgang mit dem "strategischen Partner" im Osten und die mögliche Lockerung der Ukraine-Sanktionen reden wollten, zauberten Großbritannien, Frankreich und Deutschland das neue Feindbild aus dem Hut. Wie üblich spielte Kanzlerin Angela Merkel eine Schlüsselrolle.

Noch am Montag hatte ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor Sanktionen wegen der russischen Bombardements in Syrien gewarnt. Strafmaßnahmen würden nur langfristig wirken, nun gehe es aber um eine schnelle Waffenruhe, so der SPD-Politiker. Doch schon am Mittwoch, noch vor dem Krisen-Treffen mit Staatschef Wladimir Putin in Berlin, gab Merkel eine neue Linie vor.

Beim EU-Gipfel werde man zwar keine Sanktionen beschließen, aber Strafmaßnahmen würden "auf dem Tisch" bleiben, so die Kanzlerin. Dabei lagen sie offiziell gar nicht auf dem Tisch. Bis dahin hatten sich nur Frankreich und Großbritannien für die Sanktions-Keule ausgesprochen, eine Mehrheit der EU-Staaten war dagegen. Doch wenn Merkel etwas von Brüssel will, dann bekommt sie es.

Schon am Donnerstagmorgen, Stunden vor Beginn des EU-Gipfels, lag dann ein neuer "Draft" (Entwurf) auf dem Tisch, in dem die 28 EU-Chefs auch Unterstützern der syrischen Führung Sanktionen androhen, sollten die "Gräueltaten" in der nordsyrischen Stadt Aleppo anhalten. In dem Beschlussentwurf wird auch der Syrien-Verbündete Russland für die Angriffe verantwortlich gemacht.

Putin ist kein Partner mehr, sondern ein Gegner

"Die EU zieht alle Optionen in Betracht", hieß es dann am Abend, "darunter weitere restriktive Maßnahmen gegen Individuen und Institutionen, die das Regime unterstützen, falls die gegenwärtigen Grausamkeiten weitergehen sollten." Damit war die Aussprache zu Russland, die beim Abendessen stattfand, im Grunde sinnlos geworden. Putin ist kein Partner mehr, sondern ein Gegner.

Das ist aber auch schon der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die 28 noch mühsam verständigen konnten. Bei allen anderen Gipfel-Themen gab es Streit. Das fing schon beim Brexit an. Die neue britische Premierministerin Theresa May war zwar vorsorglich nur zu einem "Info-Point" geladen worden, sie sollte bloß über den Stand ihrer Brexit-Vorbereitungen berichten.

Das Land, das die EU verlassen will, will der Rest-EU auch noch Vorschriften machen

Stattdessen spielte sie die Scharfmacherin in Sachen Russland und die Bremserin bei Anti-Dumping-Maßnahmen gegen China. May blockiert einen EU-Beschluss, obwohl sie gleichzeitig neue bilaterale - also exklusiv britische - Handelsabkommen plant! Außerdem besaß sie die Unverfrorenheit, die (durch den Brexit nötig gewordenen) Sondergipfel der 27 Rest-EU-Mitglieder wie zuletzt in Bratislava zu kritisieren.

Sollten sich die EU-Chefs noch einmal ohne die Briten treffen und dabei Beschlüsse fassen, so werde dies Konsequenzen haben, so die Brexit-Führerin. Großbritannien werde solche Beschlüsse nicht einfach abnicken. Das Land, das die EU verlassen will, will der Rest-EU auch noch Vorschriften machen! Das hätte man sich vor sechs Monaten in Brüssel nicht einmal träumen lassen.

Britische Regierungschefin Theresa May mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Bild: EU

Doch nicht nur die Briten spielten Foul. Auch die Niederländer halten die Union hin. Premier Mark Rutte sollte seinen Amtskollegen erklären, wie es mit dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine weitergehen soll, nachdem die Niederländer im Frühjahr bei einem Referendum Nein gesagt hatten. Doch er konnte keine klare Antwort geben - und hielt die EU weiter hin.

Ärger gab es dann auch noch mit Belgien, wegen des geplanten CETA-Abkommens mit Kanada. Zwar steht Belgien nicht allein auf der Bremse. Das tun auch Bulgaren und Rumänien, die Visa-Freiheit für ihre Bürger in Kanada verlangen. Doch der Druck konzentrierte sich beim EU-Gipfel auf die belgische Provinz Wallonie. Sie verweigert ihre Zustimmung, weil sie Bedenken gegen den geplanten Investitions-Gerichtshof hat und Nachteile für ihre Landwirte fürchtet.

Ceta könne doch nicht an 2,5 Millionen Wallonen scheitern, warnten die EU-Führer. Er sei tief besorgt, erklärte EU-Gipfelchef Donald Tusk nach einem Gespräch mit dem belgischen Premierminister Charles Michel. "Europas Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel." Hektisch wurde eine Sondersitzung der EU-Botschafter einberufen, die EU-Kommission intervenierte. Doch am Abend war immer noch keine Lösung in Sicht. Die Gespräche mit der Kommission wurden abgebrochen.

Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette verließ wortlos die Krisensitzung, kurz vor Mitternacht lehnte seine Regierung den Kompromissentwurf ab. Am Freitag Morgen soll das wallonische Regionalparlament erneut über Ceta beraten. Mit einem Durchbruch wird aber nicht mehr gerechnet, die Zeichen stehen auf "Non".

Zwar könnte Ceta auch nach dem EU-Gipfel noch kommen: Die Staats- und Regierungschefs werden für die Zustimmung nicht gebraucht. Wenn Belgien seinen Widerstand doch noch aufgibt, reicht sogar ein schriftliches Umlaufverfahren. Doch der Streit hat das Gipfeltreffen überschattet und gezeigt, dass nach dem Süden (Eurokrise) und dem Osten (Flüchtlingskrise) nun auch der Westen Europas zum Problemfall geworden ist.

Die einzig neue Botschaft aus Brüssel könnte am Ende die Sanktionsdrohung gegen Russland sein. Die verlorene Einheit kann die Europäische "Union" jedoch auch mit dieser Drohgebärde nicht verbergen. Und den Krieg in Syrien beenden wird sie auch nicht.