EU-Kommissar kämpft für Recht und Ordnung im Netz

António Vitorino stellt die europäischen Pläne zur Eindämmung des Cybercrime im Überblick vor

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António Vitorino, als Mitglied der Europäischen Kommission zuständig für Justiz und Inneres, will gegen das computerisierte Verbrechen mit einem Mix aus Überwachungsmaßnahmen, internationalen Abkommen und dem Bestärken der Selbstregulierung der Internetprovider und Verbraucher durch Filter-Software vorgehen. Die Privatsphäre soll dabei aber nicht verloren gehen. Um den E-Commerce zu bestärken, setzt der Kommissar auf ein Online-Schiedsgericht bei Streitigkeiten zwischen Händlern und Käufern.

Ein kleiner Mann hat Großes vor: António Vitorino will Europa zu einem sicheren Raum ausbauen, gegen illegale Einwanderung, Drogenhandel, den sexuellen Missbrauch von Frauen und Kindern sowie gegen Geldwäsche vorgehen, ohne den alten Kontinent aber in eine isolierte Festung zu verwandeln. Natürlich spielt dabei auch die "Befriedung" des Cyberspace eine wichtige Rolle, was mit dem Ausschöpfen der Potentiale des ECommerce Hand in Hand gehen soll. Einen Überblick über die Pläne der Kommission nach der Sondertagung des Europäischen Rats Mitte Oktober vergangenen Jahres im Tampere gab der Portugiese, dessen Heimatland gerade den EU-Vorsitz übernommen hat, gestern abend nach Gesprächen mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) in Berlin.

Im finnischen Tampere hatten sich die Staats- und Regierungschef der Europäischen Union in Anlehnung an den Amsterdamer Vertrag sowie an das Ratstreffen in Wien Ende 1998 entschlossen gezeigt, die gemeinsame Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in den Bereich Inneres, Strafverfolgung und Rechtspolitik weiter auszubauen. 62 Beschlüsse wurden dazu getroffen, worin es unter anderen um Immigrationsfragen geht, um einen besseren Zugang auf das Justizwesen der einzelnen Länder sowie den Aufbau von Clearingstellen für die europaweite Strafverfolgung bei Verbrechen, die nationale Grenzen überschreiten. Dazu gehört naturgemäß nicht nur die Geldwäsche, der internationale Drogen- oder Menschenhandel, sondern auch die Cyberkriminalität, die bei den durch die neuen Technologien ermöglichten Finanzverbrechen anfängt und bei der Verbreitung von Kinderpornografie übers Netz endet. Um eine "sichere Informationsgesellschaft" zu garantieren, ist sich Vitorino daher sicher, "müssen wir das Computerverbrechen mit aller Macht bekämpfen."

Im Prinzip ist das Internet zwar ein Medium der unbegrenzten Möglichkeiten, das es zu fördern gilt. "Wir müssen erkennen, dass wir in einer wundervollen Welt leben, die von der Netzrevolution profitiert", sagt der gelernte Jurist. Wir dürften aber auch die Augen nicht davor verschließen, dass das Internet für kriminelle Aktivitäten missbraucht werden könne. "Wir sollten die Strafverfolger daher nicht zurückfallen lassen" hinter die immer elaborierter die Technik nutzenden Gangster, beschwört der ehemalige Verteidigungsminister Portugals, der ein "globales Abkommen für die Herstellung von Recht und Ordnung im Netz" fordert.

Von Enfopol mag Vitorino nicht sprechen. Stattdessen betont er die "Überwachung bestimmter Bereiche" und die Notwendigkeit von "internationalen Konventionen" sowie "Codes of Conduct" für den Kampf gegen das Netzverbrechen. Nur auf einem globalen Level könne man dagegen angehen, an erster Stelle stehe aber die Zusammenarbeit "mit anderen Ländern, die extrem mit dem Internet verknüpft sind." Dazu zählt der Überflieger, der schon mit 23 als jüngster Abgeordneter ins portugiesische Parlament zog, natürlich vor allem die Vereinigten Staaten und Kanada, aber auch Japan und China, wo immer mehr Menschen das Netz entdeckten. Einen Regulierungsrahmen erhofft sich Vitorino zunächst auf der Ebene der OECD, aus dem sich ein "internationales Instrument" bei dem Vorgehen gegen Cybercrime entwickeln könnte. Vitorino setzt aber nicht nur auf das öffentliche Recht und die Strafverfolgung, sondern auch auf die Selbstregulierung, die auf der Ebene der Internetprovider und der Verbraucher selbst anzusetzen habe. Filtersoftware soll es möglich machen.

Angesprochen auf das Thema Überwachung und den großen Lauschangriff durch Echelon, gibt Vitorino zu, die jüngsten STOA-Berichte vom Frühjahr 1999 noch nicht gelesen zu haben: "Ich bin kein Spezialist beim Spionieren", sagt er scherzend. Aber natürlich handele es sich um eine "empfindliche Angelegenheit", der er sich bald auch im Bürgerrechtsausschuss des EU-Parlaments stellen werde: "Wir müssen den Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre vis-à-vis der technologischen Entwicklung ansprechen." Demzufolge, was er der Presse bislang entnommen habe, könne der Report von Duncan Campbell zwar "nicht viel Neues" über Echelon gebracht haben. Er werde aber alles daran setzen, die Privatsphäre auch im digitalen Zeitalter zu schützen. "Privacy" sei nämlich "nach wie vor ein wichtiges Element einer humanistischen Gesellschaft, in der ich leben möchte."

Da trifft es sich gut, dass die Kommission neben einem "Scoreboard", auf dem für alle transparent verzeichnet werden soll, wie gut die EU-Mitgliedsstaaten bei der Schaffung eines den gemeinsamen Beschlüssen entsprechenden freien und sicheren Rechtsraumes vorankommen, auch eine Grundrechts-Charta aufstellen will. Das sei ein guter Ort, um das Recht auf ein "sicheres Umfeld der Informationsgesellschaft" festzuschreiben, glaubt Vitorino. Mit der Charta, für deren Entwicklung sich vor allem Deutschland stark gemacht hat, sollten nationale Verfassungswerte zwar keineswegs ausgehebelt werden, aber doch eine gemeinsame Plattform für die Zusammenfassung der Bürgerrechte etabliert werden.

Rechtlichen Handlungsbedarf sieht Vitorino auch, um das Vertrauen der Verbraucher in den ECommerce zu stärken: "Die Geschwindigkeit und die Flexibilität, mit der man dabei in Vertragsbeziehungen gelangt", sieht der Jurist als "Herausforderung für die traditionellen rechtlichen Systeme" an. Es sei daher wichtig, ein spezifisches Verfahren für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Händlern und Verkäufern aufzubauen, das nicht von den nationalen Gerichten abhänge, sondern gleich online ablaufen solle. Auch dabei sei das europaweit bzw. international einheitliche Vorgehen wichtig.