EU-Kommission wollte Elektrofischen erlauben
Das EU-Parlament lehnte den trickreichen Vorstoß ab, "zerstörerische Fangmethoden" zu verbieten, um das Elektrofischen auszuweiten
Nicht sonderlich große Beachtung fand in der Öffentlichkeit die Tatsache, dass sich am Dienstag das Europaparlament mit der sogenannten "Elektrofischerei" befasst hat. Viel sprach dafür, dass das hoch umstrittene Elektrofischen, bisher zu Forschungszwecken erlaubt, ausgeweitet wird. Doch genau das wollten verschiedene diverse Meeresschutzorganisationen und Fischereiverbände verhindern, die vor den dramatischen Folgen gewarnt hatten.
Tatsächlich ist es den Kritikern gelungen, eine klare Mehrheit im Parlament zu überzeugen. Zu den Kritikern gehörten auch 220 herausragende Köchinnen und Köche wie Christopher Couteanceau, Elena Arzak oder Quique Dacosta, die es ablehnten, mit dieser Methode gefangene Fische zu verarbeiten und die die Verbraucher aufgefordert hatten, auf diese Art gefangene Meerestiere nicht zu kaufen.
Die Wirkung auf die Parlamentarier blieb nicht aus. So wurde nicht nur die Ausweitung der seit 2006 erlauben Tests abgelehnt, sondern mit einer großen Mehrheit von 402 gegen 232 Stimmen ist ein Änderungsantrag angenommen worden, mit dem diese zerstörerische Methode verboten wird. Diverse Parlamentarier sprachen von einem "historischen" Sieg, wie der französische Linke Younous Omarjee. Er hatte als erster den Änderungsantrag 303 unterzeichnet und bedankte sich per Twitter vor allem bei der niederländischen NGO Bloom, die die Kritiker angeführt hatte, seiner "Fraktion, seinen Kollegen und all denen sich gegen die Elektrofischerei gestellt hätten". Es war aber eine fraktionsübergreifende Entscheidung. Auch Konservative, wie der Brite John Flack, hatte von "barbarischen Praktiken" gesprochen und erklärt, das sei "ein Schritt zu weit in die Industrialisierung der Meere".
Nun ist man auf einem richtigeren Weg. Schließlich ging es in dem Entwurf angeblich um "technische Maßnahmen für die Erhaltung der Fischereiressourcen und den Schutz von Meeresökosystemen". Das klang nach Meeresschutz und hörte sich an, als wolle Brüssel für eine nachhaltige Fischerei und die Erhaltung der Ressourcen antreten. "Ziel ist es, die bei einem bestimmten Fischereiaufwand zulässigen Fangmengen zu begrenzen und die Auswirkungen der Fischerei auf das Ökosystem zu verringern", hieß es auch großspurig im Text.
Ausführlich wurde auf Seite 19 vom Verbot zerstörerischer Methoden gesprochen. "Bestimmte zerstörerische Fanggeräte oder Fangmethoden, bei denen Sprengstoff, Gift, betäubende Stoffe, elektrischer Strom, Presslufthämmer oder andere Schlaginstrumente, gezogene Geräte für die Ernte roter Korallen oder anderer Arten von Korallen oder korallenähnlichen Organismen und bestimmte Harpunengewehre eingesetzt werden, sollten verboten werden, mit Ausnahme des besonderen Falls von Pulsbaumkurren, deren Einsatz unter bestimmten strengen Auflagen erlaubt werden kann."
Wer sich nicht auskennt, von Pulsbaumkurren keine Ahnung hat oder angesichts der scheinbar tollen Ziele nicht mehr weiterliest, erfährt nichts von dem krassen Widerspruch in diesem Entwurf. Denn bei Pulsbaukurren handelt es sich genau um das Elektrofischen, das man eigentlich als zerstörerisch brandmarkt: "Die Pulsbaumkurre ist mit einer Reihe von Elektroden versehen, die in Schlepprichtung angebracht sind und kurze elektrische Impulse aussenden", heißt es dann auf Seite 33.
Elktrofischen erhöht den Fang und senkt die Treibstoffkosten
Vor allem in den Niederlanden werden die mit Elektroden gespickten Netze schon seit Jahren getestet. Mit dem Vorstoß sollte die Begrenzung auf 5% fallen, um die breite Anwendung in den Gewässern der EU zu ermöglichen. Über diese Elektronetze werden Krabben und Plattfische vom sicheren Meeresboden aufgescheucht und über den Strom in die Netze getrieben. Niederländische Fischer berichten, dass die Ausbeute um bis zu 20% ansteige. Die Elektronetze werden in geringem Abstand über den Meeresboden gezogen. Darin läge der Vorteil gegenüber Schleppnetzen, welche auch den Meeresboden stark schädigen. Es werde auch deutlich weniger Diesel verbraucht. Gesprochen wird davon, dass mit dieser Methode nicht einmal die Hälfte des Treibstoffs verbraucht werde.
So wurden als Umweltargumente der Klimaschutz und eine geringere Schädigung des Meeresbodens durch Schleppnetze angeführt, um die neue zerstörerische Methode einzuführen. Allerdings sind das Argumente, die nur ein Scheitern der EU-Kommission markieren. Denn die sehr schädliche Schleppnetzfischerei sollte längst verboten sein. Brüssel wollte sie unter Kommissionspräsident Barroso bereits vor fünf Jahren verbieten. In dem Entwurf der neuen Verordnung, in der in Kapitel II die "verbotenen Fanggeräte und Fangmethoden" aufgeführt werden, sucht man aber vergeblich nach einem Verbot von Schleppnetzen, was auch der slowenische Grüne Igor Šoltes kritisiert hat, der mit 102.000 Menschen auch eine Petition gegen die Elektrofischerei unterzeichnet hat. Diese zerstörerische Bodenfischerei macht weiterhin etwa 60% der gesamten Fischerei in EU-Gewässern aus.
Die Kritiker befürchten, dass einer zerstörerischen Methode nun mit der Elektrofischerei eine weitere hinzugefügt werden soll. Deshalb sprachen 17 europäische Nichtregierungsorganisationen und Fischereiverbände von einem "Skandal" und haben sich vergangene Woche in einem Brandbrief an die zuständige EU-Kommissarin gewandt. Sie erklärten Karmenu Vella: "Elektrofischerei ist weithin als zerstörerisch bekannt und ist in den meisten Fischerei-Nationen der Welt verboten, auch in China." Deshalb fordern die Organisationen alle auf, eine Petition gegen die Elektrofischerei zu unterzeichnen.
Tatsächlich wird in einigen Ländern Asiens diese zerstörerische Methode weiter angewandt. Die Kritiker verweisen darauf, dass dabei nicht nur die Erträge steigen, sondern vor allem der sogenannten unerwünschte Beifang, auch "discard" genannt. Der steige um 50 bis 70% in die Höhe. Bis zu zehnmal so viele Tiere würden im Vergleich zur handwerklichen Kiemennetzfischerei als unerwünschter Beifang gefangen und zurück ins Meer geworfen, kritisieren die 17 Nichtregierungsorganisationen und Fischereiverbände.
China habe die Elektrofischerei einst eingesetzt, aber im Jahr 2000 wegen der sehr schädlichen Auswirkungen auf die Biodiversität verboten. Das elektrische Fischen schädige oder töte die meisten Fische, auch "Fischroggen und andere Meerestiere" und habe eine "langfristig schädliche Wirkung auf die Fischereiressourcen und das marine Ökosystem", erklären die Kritiker.
EU: Untätig gegen Überfischung und Rückwurf des Beifangs
Angeblich will die EU diese unerwünschten Beifänge seit einigen Jahren bekämpfen. Das sind oft auch Jungfische und andere Fischarten, die meist tot oder nicht mehr überlebensfähig wieder ins Meer zurückgekippt werden. Und auch in dieser Frage steht Brüssel unter heftiger Kritik, da schönen Worten praktisch keine Taten gefolgt sind und diese Beifänge in der Realität kaum bekämpft würden. So hatte kürzlich die Deutsche Umwelthilfe und die Organisation "Our Fish", die den Brandbrief ebenfalls unterzeichnet hat, "das Versagen der EU-Fischereiminister" kritisiert, die "Überfischung zu beenden". Eines der größten Probleme sei, dass trotz der bestehenden Anlandeverpflichtung die Rückwürfe der unerwünschten Beifänge nicht ausreichend kontrolliert würden.
Im März 2015 hatte Brüssel die schrittweise Einführung der neuen Anlandeverpflichtung angekündigt. Damit sollte die Praxis beendet werden, "marktfähigen Fisch zurück ins Meer zu werfen, was sich als schlecht für Fischbestände und Meeresumwelt und als kostspielig für die Fischer erwiesen hat". Rückwürfe erfolgten immer dann, wenn Fischer unabsichtlich Fisch gefangen hatten, für den sie keine Quote hatten, oder wenn sie beschädigten, wenig profitablen Fisch bzw. untermaßigen Fisch gefangen hatten, den sie nicht verkaufen konnten.
Doch geändert habe sich in den letzten Jahren wenig, meinen die Kritiker: "So können Rückwürfe weiterhin stattfinden, trotzdem werden gleichzeitig die zulässigen Gesamtfangmengen wegen der verpflichtenden Anlandungen erhöht", erklärte der Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe. "Vier Jahre nach der Fischereireform hätten wir von Landwirtschaftsminister Schmidt verstärkte Bemühungen erwartet, das Problem der Überfischung so anzugehen, wie es das Gesetz vorsieht." Wer kontrolliert auf hoher See, ob unerwünschte Beifänge, die weniger profitabel sind, zurück ins Meer geworfen oder an Land gebracht werden?
Da die E-Methode deutlich effizienter sei, aber dabei viele Meerestierarten getötet würden, die man gar nicht töten will, wird sich vermutlich das Problem der Überfischung weiter verschärfen. Eine wichtige Frage wäre hierbei die Kontrolle. Doch die kann auf offener See praktisch nicht gewährleistet werden. Größere Stromstöße bedeuten eben einen größeren Fang, sorgen aber auch für höhere Schäden. Und ob die Fische, die Stromschläge überleben, im Meer noch überlebensfähig sind, ist völlig unklar. Noch unwahrscheinlicher ist, dass sie einen Rückwurf überleben, nachdem sie schon gekrümmt vom Schock an Bord gezogen wurden. Ohnehin werde nicht selten durch die auftretenden Muskelkrämpfe das Rückenmark durchtrennt.
Wissenschaftliches Gutachten nicht berücksichtigt
Die 17 Organisationen, die sich gegen die Elektrofischerei gewandt haben, können sich bei ihrer Kritik auch auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Gutachtergremiums im Fischereiausschuss (STECF) berufen. Auf dieses Gutachten der eigenen Wissenschaftler hatte sich in Brüssel gestützt, als die Tests 2006 im Sinne der niederländischen Fischereiindustrie zugelassen wurden. In dem Brandbrief wurde deshalb darauf hingewiesen, dass die STECF-Wissenschaftler sich tatsächlich gegen eine Rücknahme des Verbots ausgesprochen hätten.
Die Wissenschaftler hätten vor der Verwendung der Pulsbaumkurren gewarnt. Zunächst müsste eine "Reihe von Problemen" gelöst werden, bevor es auch nur eine Ausnahme geben dürfe, zitieren die Kritiker das Gutachten, da die Auswirkungen unbekannt seien. "Taken into account in particular the unknown effect of pulse trawl fisheries on non target species and the potential impact on vertebrates and invertebrate species, STECF concludes that although the development of this technology should not be halted, there are a number of issues that need to be resolved before any derogation can be granted."
So habe sich die EU-Kommission entschieden, das Gutachten der eigenen Wissenschaftler zu ignorieren, die sich nur einen Monat vor der Zulassung der Tests gegen die Zulassung der Pulsbaumkurren ausgesprochen hätten, schrieben die Kritiker. Es sei eine "schockierende Verletzung des Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder". Obwohl sich das Gutachten gegen die Elektrofischerei ausgesprochen habe, flössen seit 11 Jahren viele Millionen Euro in die Förderung der umstrittenen Fangmethode. In dem Brandbrief wurde die zuständige Kommissarin aufgefordert, ihre Vorschläge zurückzuziehen: "Wir rufen Sie dazu auf, Kommissar Vella, die Umwelt und die soziale Gerechtigkeit in dieser Angelegenheit zu bedenken." Wenn die EU-Kommission so zur Entscheidungsfindung komme, werden die Glaubwürdigkeit der gemeinsamen Fischereipolitik und die der europäischen Institutionen in Frage gestellt, wird der gemeinsame Brief der 17 Organisationen abgeschlossen.