EU: Streit über nationale Mitspracherechte bei Ceta
Die EU-Kommission drängt auf Ausblendung der nationalen Parlamente. Gabriel bezeichnet dies als töricht und dumm
Das Konfliktpotential, das der Ratifizierung des Ceta-Abkommens zwischen der EU und Kanada innewohnt, zeigte sich schon länger. Zu sehen etwa am Datum des Rechtsgutachtens, das sich das Wirtschaftsministerium dazu einholte: 28. August 2014.
Der beauftragte Rechtswissenschaftler Franz C. Mayer hatte die Frage zu klären, ob es sich bei dem Freihandelsabkommen um ein "gemischtes Abkommen" handelt, d.h. ob Teile des Abkommens in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit liegen und daher von nationalen Parlamenten ratifiziert werden müssten. Der Gutachter stimmte der Ansicht der Bundesregierung zu, dass dem so sei. Nachzulesen ist die Position auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums zum Thema Ceta.
Konfrontationskurs
Die Auffassung der deutschen Regierung war in der EU-Spitze bekannt, ebenso dass die Ressort-Minister anderer Mitgliedstaaten die Position teilen. Als die FAZ am 10.Juni berichtete, die EU-Kommission habe vor, Ceta nicht als "gemischtes Abkommen", sondern als "reines EU-Abkommen" zu behandeln und also die Zustimmung der nationalen Parlamente auszublenden, wurde das schon als "Konfrontationskurs mit den EU-Mitgliedstaaten" bewertet.
Durch die Brexit-Verstörung liegen nun die Nerven blank. Beim derzeitigen EU-Gipfel bestätigte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Vorhaben. Laut Bericht der Zeit wird dies in der EU-Kommission mit der Befürchtung begründet, "dass das Freihandelsabkommen am Widerstand der nationalen Parlamente scheitern könnte, oder zumindest stark verzögert werden würde".
Gipfel-Theater
Von Juncker wird die Ansicht übermittelt, dass die Annahme falsch sei, nur nationale Parlamente könnten demokratische Kontrolle gewähren. Damit würde die Grundidee der EU geschwächt. Die Grundideen der EU sind gerade der wunde Punkt. Nun könnte man davon ausgehen, dass, wie eingangs beschrieben, die Divergenzen innerhalb der EU bekannt sind und dass darüber schon längst gesprochen wurde. Die Reaktionen auf Junckers Vorpreschen fallen theatralisch aus.
So kanzelte der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel, momentan aus mehreren Gründen um Profil bemüht, gegenüber Reuters das Vorhaben der EU-Kommission gleich zweimal als dumm ab.
Jetzt zu beschließen, dass die nationalen Parlamente zu diesem Handelsabkommen nichts zu sagen haben, ist unglaublich töricht.
Dem fügte er hinzu, dass "das dumme Durchdrücken von Ceta alle Verschwörungstheorien zu den geplanten Freihandelsabkommen explodieren lassen" würde.
Auch Kanzlerin Merkel stellte sich gegen Junckers Plan. "Wir werden den Bundestag um Meinungsbildung bitten", wird sie von der Tagesschau vom EU-Gipfels in Brüssel wiedergegeben - mit dem Zusatz, dass gute Gründe vorlägen, die nationalen Parlamente damit zu befassen.
Ein verärgerter EU-Präsident
Juncker soll sichtlich verärgert reagiert haben, berichtet das Handelsblatt vom Gipfel. Er verwies demnach auf ein juristische Analyse der Kommission, die die Zustimmung der nationalen Parlamente für nicht notwendig erachtete.
Ihm sei das aber "persönlich relativ schnurzegal", soll der Kommissionschef erwidert haben. Dem fügt die Zeitung die eigenartige Begründung Junckers hinzu: Wenn die Regierungen der EU-Staaten zur Auffassung kämen, dass Rechtsgutachten nicht zählten, wenn es um Politik gehe, sei er der Letzte, der sich dagegen wehre.
Ich werde nicht auf dem Altar juristischer Fragen sterben, aber ich hätte gern durch eindeutige Rechtsmittel belegt, dass dies kein EU-Abkommen ist.
An dieser Stelle fragt sich der Beobachter, wie gut der Austausch der EU-Spitze mit den Regierungsspitzen generell funktioniert. Wusste Junckers nichts von abweichenden Position der Mitgliedsländer, die, wie z.B. Deutschland, Rechtsgutachten dazu einholten? Dass es andere Rechtsgutachten gibt, ist aber doch längst in der Öffentlichkeit. Oder dient das gegenwärtige Theater der Vorspiegelung, wie groß die Streitkultur der EU doch ist, und wie sehr man dort, allen Unkenrufen und Kritikern zum Trotz, doch den nationalen Parlamenten Mitspracherechte einzuräumen gewillt ist. Es geht ihm übrigen nur um Teile des umstrittenen Abkommens.