EU-Wahl: "Wir haben Zaunpfähle gegessen"

Sibylle Berg und Martin Sonneborn

Bild: Die Partei

Deutsche sollen immer genau das wollen, was sie am wenigsten können. Interview mit dem Wahlkampfduo der Partei: Sibylle Berg und Martin Sonneborn.

In der EU, wo man bei 35 Milliarden-schweren Impfstoffdeals mauschelt und SMSt, ist kein Platz für Spaßparteien und "Kinder an die Macht", die noch grün hinter den Ohren sind. Gefragt sind hier unbestechliche Watchdogs und abgefeimte Profis.

"Die Partei" schickt daher erneut den nun mit einem zehnjährigen Praktikum gestählten Abgeordneten Martin Sonneborn ins Rennen sowie als politischen Newcomer die wortgewaltige Schriftstellerin und Dramatikerin Sibylle Berg.

"Positiv an Deutschland ist vor allem der Kräuterquark"

▶ Frau Berg, was möchte eine Weltbürgerin mit Wohnsitz Schweiz im EU-Parlament? Sind Sie darüber informiert, dass es in Brüssel nur eingeschränkt warmes Wasser und solches mit Legionellen gibt?

Sibylle Berg: Ich komme aus dem Osten. Wir haben Zaunpfähle gegessen in den harten sibirischen Winterjahren. Es hat mich stärker gemacht, und gleichsam auf die Arbeit in der EU vorbereitet.

Dort werde ich genauso scheitern wie alle anderen Idealisten, aber ich werde es legitim tun: Ich sammle Staatsbürgerschaften. Biografien, Pässe. Im Fall von irgendwas kann man nie genug davon besitzen.

Im Moment bin ich als Schweizerin in deutscher Mission unterwegs, denn ich bin überzeugt, die EU sollte von beiden Ländern das Beste vereinen. Von der Schweiz das System der Volksmacht, das schon ganz gut funktioniert und nur noch einige Utopien benötigt.

Positiv an Deutschland ist vor allem der Kräuterquark.

Und die Obrigkeitshörigkeit, die in Ordnung ist, wenn ich die Obrigkeit bin. Die Schweiz kann Europa nicht ignorieren, denn sie liegt in ihr. Einen Eintritt des Landes in die EU werde ich mit diplomatischen Mitteln verhindern. Deutschland hingegen benötigt die Schweiz, als Ort der Freude für Menschen, die schon alle Steuervermeidungsgesetze in Deutschland ausgeschöpft haben. Eine Win-Win-Situation.

Die Versprechen an das Wahlvolk

▶ Herr Abgeordneter, in zwei Legislaturperioden ist Ihnen im EU-Parlament noch immer keine Machtübernahme gelungen. Was versprechen Sie dem Wahlvolk denn diesmal?

Martin Sonneborn: Dass wir die Wähler bitterlich enttäuschen werden. Das tun nach der Wahl zwar alle Parteien, aber wir sind die Einzigen, die es vorher zugeben. Außerdem fordern wir eine Bierpreisbremse, eine Dönerpreisbremse und einen Mietenrückwärtsgang.

Dazu eine Prise Frieden und Verhandlungen, ein bisschen weniger Überwachung und mehr Pressefreiheit, die Listung von Amazon als "feindlicher nichtstaatlicher Akteur", ein Zwei-Prozent-Ziel für Bildung und die sofortige Wiederabschaffung von angeschweißten Milchtütendeckeln ... So was halt.

"Alle EU-Parlamentarier für einen Monat beurlauben"

▶ Frau Berg, Sie verkünden eine "Abneigung gegen Faschisten, Lobbyisten und Ungerechtigkeit". Sind Sie sicher, dass Sie wirklich in das EU-Parlament wollen?

Sibylle Berg: Ich habe noch viel mehr Abneigungen, Menschen, die meinen, im Recht zu sein, zum Beispiel. Also – fast alle.

Erstaunlicherweise findet man bei Menschen, denen meine Zuneigung gilt – es sind jene, die bewusst oder unbewusst aus dem System gefallen oder ausgestiegen sind – selten Klugscheißerei, Anmaßung; und eine meiner brillanten Ideen ist, versuchsweise alle EU-Parlamentarier für einen Monat zu beurlauben, und das Parlament mit ausgelosten BürgerInnen aus ganz Europa, also auch jenen Ländern, die sich die EU bis jetzt nicht leisten konnten, zu besetzen.

Das beträfe dann auch die wenig sichtbaren Menschen, die Randgruppen, die sogenannt Schwachen. Mich würde interessieren, was den nicht PolitikerInnen für ihre Länder wichtig ist.

Darüber schreibe ich dann ein Buch, bekomme einen Preis und kaufe mir Firmenmäntel.

Müssen Politiker so aussehen, als ob sie jeden Moment mit einer Wand verschmelzen könnten?

▶ Der literarische Selbstanspruch von Politikern, die "gute KiTa-Gesetze" und "Doppel-Wummse" beschließen, gilt als überschaubar. Werden Sie als Dramatikerin den politischen Wortschatz bereichern?

Sibylle Berg: Deutsche wollen immer genau das, was sie am wenigsten können – Krieg machen zum Beispiel oder Worte kreieren. Sie sporteln und bespaßen sich durch die Spaßbadewelt der nicht vorhandenen Wortbeherrschung und rühren mich mithin sehr in ihrem Wunsch nach Kreativität. Waren sie schon mal im Parlament? Haben sie sich die Menschen da angesehen? Ich weiß nie genau, ob Politiker aussehen müssen, als ob sie jeden Moment mit einer Wand verschmelzen könnten.

Egal, zurück zur Frage. Alle Worte, die mir Magenschmerzen verursachen, werden demokratisch von mir verboten, oder ich sperre die Erfinder in einen Raum, wo sie das Mist-Wort 1.000-mal sagen müssen.

▶ Mit Literaten in der Politik hat man zumindest im Bereich "Kinderbuch" nicht durchgehend positive Erfahrungen gemacht. Zudem drohen bei wortschöpfenden Politikern Folgekosten, etwa wie die 750.000 Euro teure Umbenennung von "Familienkasse" in "Familienservice". Kann sich Europa Ihre Mitwirkung leisten?

Sibylle Berg: Bis ich die Grenze des Militärausgaben-Sondervermögens von – vergessen, wie viele Milliarden es gerade sind – 10? 100? – egal, gesprengt habe, kann ich ordentlich texten.

Was im Fall von der Leyen noch fehlt

▶ Die Spitzenkandidatin der CDU Andrea Wechsler ist keine Literatin, sondern eine ehemalige McKinsey-Mitarbeiterin. Herr Abgeordneter, wie sind denn so Ihre Erfahrungen mit dieser Beratungsfirma in der EU?

Martin Sonneborn: Spitzenkandidatin der CDU? Kenne ich nicht. Aber McKinsey. Das ist der undurchsichtigste Mafialaden, der es je in demokratische Strukturen geschafft hat. Schlimmer als Blackrock, und das will etwas heißen.

Apropos Strukturen, wussten Sie eigentlich, dass die EU, die sich eine eigene Stabsstelle für Meinungsforschung hält, noch niemals Daten zur Beliebtheit von Frau von der Leyen erhoben hat? Wir wissen genau, wie viel Prozent Olaf Scholz hassen oder Macron, aber nach der Kommissionspräsidentin, die ja jetzt einfach weitermachen soll, obwohl Verfahren gegen sie laufen, wird vorsichtshalber gar nicht gefragt ...

▶ SPD-Spitzenkandidatin Barley befürwortete den Upload-Filter, wollte den ungarischen Ministerpräsidenten "aushungern" und fordert eine europäische Atombombe. Muss das Konzept, gefährliche Politiker schadensbegrenzend nach Europa abzuschieben, überdacht werden?

Martin Sonneborn: Wenn man sich Außenministerin Baerbock ansieht, die von einer so präsidenzlosen Schlichtheit ist, dass sie in diplomatischen Kreisen sogar für dümmer als Ribbentrop gehalten wird, und Frau Faeser, diese verunglückte Kreuzung aus Mutter Beimer, Maggie Thatcher und McCarthy, dann scheinen die gefährlichsten Politiker derzeit doch eher in der Bundesregierung zu sitzen.

Übrigens haben wir eine deutsche Atombombe schon 2019 gefordert, lange vor Frau Barley und Joschka "Arschloch" Fischer. Einfach, weil wir mal die Ersten sein wollten. Im aktuellen Wahlprogramm fordern wir jetzt ZWEI Atombomben.

Oma Courage und die autoritative Publikumsbeschimpfung

▶ Zum Wahlkampfauftakt hat Ihre Mitbewerberin mit dem Kampfnamen "Oma Courage" neue Maßstäbe in der Wählerkommunikation gesetzt. Wie werden Sie deren PR-Gags angemessen kontern?

Martin Sonneborn: Die große alte Dame des Liberalismus Guy Verhofstadt, MEP und ehemaliger Regierungschef von Belgien, ist in letzter Zeit mit ähnlichen Ausbrüchen aufgefallen. Jetzt, wo die Liberalen unter Druck stehen, können sie ihren Hang zur Bürgerverachtung kaum noch verbergen.

Der europäische Liberalismus ist auf seine picklige kleine Schwester zusammengeschrumpft: die autoritative Publikumsbeschimpfung. Das aber können Peter Handke, die Partei und zwei Millionen Internettrolle im Zweifelsfalle besser.

▶ Bei den grünen Kernwählern, die sich über "emotionale Angebote" und Symbolpolitik freuen, ist eine Dichterin eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Welche heiße Luft werden Sie aufrufen?

Sibylle Berg: Ich werde trotz besseren Wissens zur Überwindung des aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems aufrufen, und alles daransetzen, dass die Bevölkerungen all den Scheiß bleiben lassen, den sie gerade tun. Ihr Leben im Netz vergeuden, einander verachten, sich gegeneinander ausspielen zu lassen. Duldung kann man lernen. Es ist hart, andere Lebenssichten zu akzeptieren.

Mein erster Reflex, wenn ich Menschen wie Strack-Zimmermann beim Kriegsjubel zuhöre, ist auch erst einmal ratloser Ekel. Doch ich bemühe mich, sie als Mensch mit Menschengefühlen anzunehmen (tolles Wort), dem die Waffenbegeisterung beim Einzug eines Kindes an die Front sehr schnell vergehen würde, und der das Zeug zu einem Käthe Kollwitzschen Umdenken in sich trägt.

Ich möchte gerade beten – wie immer, wenn ich an Wesensfremde denke. Auf jeden Fall vertrete ich theoretisch die Akzeptanz aller und selbst aus meiner Sicht – noch so blöden Meinungen.

Haben die Grünen das europäische Klima gerettet?

▶ Während die Grünen vor fünf Jahren nach dem Rezo-Video sagenhafte 20,5 Prozent einfuhren, scheint es diesmal nicht so gut zu laufen. Herr Abgeordneter, haben die Grünen in den letzten fünf Jahren das europäische Klima gerettet?

Martin Sonneborn: Nein, Sie Spaßvogel. Das war auch nicht in erster Linie ihr Anliegen. Den Grünen geht es um Ökologie genauso wenig wie der FDP um Liberalismus, der SPD um die Interessen der Arbeiterschaft, der CDU um christliche Werte, der Partei um den tödlichen Witz.

Das ist alles nur Marketing. Sonst würden sie nicht auf teures LNG-Gas setzen, den schmutzigsten Energieträger der Welt. Die Grünen haben schon signalisiert, Frau von der Leyen zu unterstützen – obwohl die ihren sogenannten Green Deal längst wieder beerdigt hat ...

▶ Ihr aktuelles Buch über Ihre verstörenden Abenteuer in Brüssel birgt Potenzial zur Radikalisierung wie einst die Schriften der 68er. Statt terroristische Vereinigungen gründen jedoch immer mehr Leute Kleinparteien mit Personenkult. Haben Sie mit Ihrem Vorbild möglicherweise einen Trend zur Basisdemokratie gesetzt, in der jeder seine eigene Partei hat?

Martin Sonneborn: Ja. Joseph Beuys und Christoph Schlingensief würden das begrüßen.

Über die Grenzen des Vorhandenen hinausdenken

▶ Anders als Ihr Mitstreiter Sonneborn verfügen Sie, Frau Berg, über keine parlamentarische Erfahrung. Sie sind jedoch gutes Schauspiel gewohnt. Wie bereiten Sie sich psychologisch auf das Amateurtheater im EU-Parlament vor?

Sibylle Berg: Alles, was ich über politische Arbeit weiß, habe ich von Martin Sonneborn gelernt. Also vom Besten. Ich bin kein Fan von Berufspolitik und Parteien. Ich denke, das System hat zu viele monetäre Schwachstellen. Es ist sinnvoll, von Menschen wie mir – Laien der Politikarbeit, Utopien zu erfahren, neue kreative Wege, wie wir aus der Situation der heutigen EU herauskommen.

Scheinbar ist sie ein Hort des Gewinnzuwachses um jeden Preis, des Militarismus und der Bürger-Fernheit. Wenn der demokratische Gedanke sich auf eine Wahl beschränkt, dann ist es keine wirkliche Macht des Volkes, sondern ein Placebo.

Zur Bevölkerung Europas gehören nicht nur Aktionäre und Obdachlose, sondern ebenso Verzweifelte, Ratlose, Spinner, Arme, Reiche – wobei sich im EU-Parlament vornehmlich die Angehörigen der letzten Gruppe gut vertreten sehen sollten, bei dem überwiegend konservativen Personal.

Um die 300 Millionen in Europa Lebenden zu motivieren, über die Grenzen des Vorhandenen hinauszudenken, muss ich die Institution besser begreifen und zum anderen gehört werden, und das auch bei Menschen, die keine Bücher lesen und Stücke sehen.

"Ein Hoch der Utopie der Kapitalmacht-Überwindung"

▶ Während sich derzeit die Parteien mit Identifikationsangeboten beim weiblichen Wähler anbiedern, treten Sie als nicht-binär gelistete Vizekandidatin an. Haben Sie die rund zwei Prozent nicht-binären Wählenden im Sack?

Sibylle Berg: Ich bin vielmehr der Menschwerdungen-Universalismus.

Und meine Utopie ist, die Menschheit nicht in immer kleinere Randgruppen zu verstauen, sondern daran zu arbeiten, den Zuschreibungen, die jetzt eher teilen, ein großes, freundliches "Egal" als Überschrift zu geben.

Ich halte Klassenunterschiede für weitaus dividierender als Geschlecht oder empfundenes Geschlecht. Und zur großen Klasse der Unterdrückten gehören weltweit vor allem immer noch Frauen. Es gibt biologische Frauen, Männer, Intersexuelle, es gibt Menschen, die sich in einem falschen Körper fühlen, oder denen es komplett Stulle ist. Und fast alle vereint ihre Machtlosigkeit.

Dass die Mehrheiten um Minderheiten wissen, ist wichtig. Lieben müssen sie sie nicht, wer liebt schon jemanden, der einem fremd ist, aber man kann alle in Ruhe lassen. Ihn oder sie über ihre Körper bestimmen lassen, und als was sie gesehen werden wollen.

Es ist wichtig und beruhigend, weiterhin die Gleichberechtigung aller einzufordern, und Konservativen schlechte Laune zu machen, und gleichzeitig direkt die Ursache beheben – das System, die Klassenungerechtigkeit.

Ein Hoch der Utopie der Kapitalmacht-Überwindung. Ich hoffe also, dass ich neben den Prozenten, die ich mit Straight-Edgern, Vegetarismus, Frausein, Nerdtum, Ostvergangenheit, Kampfsportkentnissen abgreife, an die 88 Prozent gehen.

Der Kampf gegen den Überwachungsstaat

▶ In Ihren Werken huldigen Sie ausgiebig den Nerds, die sich gegen Überwachung wehren. Haben wir denn den Kampf gegen den Überwachungsstaat nicht schon längst verloren?

Sibylle Berg: Im Moment ja, aber nichts hat ewig Bestand. Die digitale Allmacht der USA kann innerhalb kurzer Zeit durch die überschwängliche EU-Förderung von Open Source und Peer-to-Peer-Netz und Messanger beendet werden.

Wenn man EU-weit beschlösse, Palantir als feindliche Sabotagesoftware zu bannen (kleines Beispiel), würden unsere Banken und Sicherheitskräfte nicht mehr die Daten Ihrer BürgerInnen an die USA verschenken.

Wenn wir sofort alberne Versuche unsere Patientenakten in unsichere Infrastruktur zu laden, abbrächen, die Chat-Kontrolle als Witz beiseitelegten, (sehr realistisch) die Herstellung von Kryptowährung, die den Energiebedarf ganzer Städte übertreffen bannten, wenn man Musk und die Herstellung seiner Überwachungsfahrzeuge mit 80 Prozent besteuerte, ließ sich die Angelegenheit schnell zum Guten verändern.

"Es könnte eine unterhaltsame Legislatur werden"

▶ Herr Abgeordneter, was haben Sie in Ihrer dritten Amtsperiode noch vor?

Martin Sonneborn: Erstmal gehe ich ab dem Wochenende mit Frau Berg auf Lesereise, zwölf Tage durch die Republik. Es ist ganz gut, mal wieder mit dem einfachen Volk in Berührung zu kommen. Zu sehen, wie die Leute ticken. Und zu schauen, welche Landstriche wir zukünftig mit EU-Milliarden zuscheißen wollen ... Smiley!

Außerdem will ich im Plenarsaal unter der Bank meine Trilogie vollenden. Der dritte Band heißt dann "Herr Sonneborn kehrt zurück aus Brüssel".

Die EU-Politik für die nächsten fünf Jahre wurde eh schon festgeschrieben, unabhängig vom Ausgang der Wahl, und durch den verstärkten Einzug nonkonformistischer politischer Kräfte könnte es eine unterhaltsame Legislatur werden.

Disclosure: Der Autor hat alle möglichen Interessenkonflikte.