EU-Wahlkampf: Schmutzwäsche statt Klimaschutz bei den Grünen
Skandale gehören wie Schnitzel zu Österreich. Die Grünen wollten mitmischen. Mit ihrer Spitzenkandidatin liefern sie reichlich Material. Ein Kommentar.
Nein, dass der Vorsitzende der FPÖ, Herbert Kickl, ganz ähnlich wie der deutsche AfD-Europaparlamentarier Maximilian Krah, bei der Waffen-SS brave Soldaten sah, denn schließlich könne die sonst als Mörderbande geltende Einheit nicht "kollektiv schuldig gesprochen werden", ist kein Skandal, über den gesprochen wird.
Das Private ist politisch – vor allem bei Frauen?
Die mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich in Österreich ganz auf die junge Spitzenkandidatin der Grünen, Lena Schilling. Ihr erster Fehler ist vermutlich, und das stellt dem Land kein gutes Zeugnis aus, eine Frau zu sein. Durch den gesamten Skandal – oder die mutwillige Skandalisierung einiger Aussagen Schillings – zieht sich ein Sexismus, der im Jahr 2024 überwunden sein sollte.
Lesen Sie auch:
Die endgültige Zähmung der Grünen
Politisch instinktlos: Robert Habeck hat die tiefen Teller nicht erfunden
Grüne ohne linken Flügel: Wer wird die neue Zielgruppe?
Baerbock für Aufrüstung und Abschreckung: Demokratie zu Tode verteidigen?
Aufstand der Jugend: Ampel-Nachwuchs rebelliert gegen Scholz' geplanten Sparkurs
Lena Schilling ist mit 23 Jahren für eine Spitzenkandidatin sehr jung, fotogen und scharfzüngig. Sie hat nicht den ersten ihr von Gott erwählten Mann genommen und sich mit ihm unter die Dorfbuche gesetzt, um Nüsse zu knacken, sondern führte ein heute übliches Beziehungsleben, zu dem eben auch Trennungen gehören.
An dieser Stelle ist das Interesse des Medienboulevards geweckt, frei nach dem Motto "das Private ist politisch". In Österreich gibt es eine schlimme Tradition, die das Privatleben und Aussehen von Politikerinnen für die interessantere Story hält, als die Ansichten und politischen Ziele der Person. Die Lernkurve wird hier relativ flach gehalten.
Problematische Äußerungen der grünen Spitzenkandidatin
Nun hat Schilling allerdings Aussagen im privaten Umfeld über das Beziehungsleben von Freunden oder ehemaligen Freunden getätigt, die zu einer Unterlassungserklärung geführt haben. Schilling wurde gerichtlich das Verbreiten von Gerüchten über ein befreundetes Paar verboten. Dieses Urteil ist öffentlich und stellt fraglos einen gravierenden Sachverhalt von öffentlichem Interesse dar.
Es blieb aber nicht bei dieser Aufdeckung. Seit Anfang Mai kommen immer mehr Chats zu Tage, die die grüne Spitzenkandidatin in ein unvorteilhaftes Licht rücken. Manches davon sollte nicht öffentlich diskutiert werden, weil es einfach flapsige Aussagen gegenüber Freunden waren. Weil die Affäre aber längst eine Eigendynamik entwickelt hat, wird jetzt hervorgekramt, was sich finden lässt.
In einem langen Chatverlauf sagt Schilling, sie habe mit dem Gedanken gespielt, die Grünen nach Einzug ins EU-Parlament zu verlassen und zur Linksfraktion zu wechseln, schließlich "hasse" sie die Grünen. Diese Aussage gegenüber einer Freundin geschah zwar im privaten Umfeld, klingt aber wirklich nicht unbedingt hilfreich für eine Spitzenkandidatin.
Grüne und Klimabewegung: Eine konfliktreiche Beziehung
Hintergrund ist, dass Schilling als parteilose Klima-Aktivistin immer wieder Gründe hatte, den mitregierenden Grünen Inkonsequenzen vorzuwerfen, dann aber als Zugpferd für eine Art Glaubwürdigkeitsoffensive der Grünen gewonnen wurde – was ihr nun Teile der Klimabewegung vorwerfen.
Schilling trat nach Bekanntwerden jener Aussagen in die Partei der Grünen ein, um den Verdacht zu entkräften, sie benutze die Grünen nur, um ins EU-Parlament zu gelangen. Im Umgang mit diesen Aussagen hat Schilling manches und die grüne Partei so ziemlich alles falsch gemacht, was sich falsch machen lässt.
Öffentliche Person seit ihrer Schulzeit: Lena Schilling
Für Schilling besteht zunächst ein Problem, das nur wenige Menschen kennen. Seit ihrer Schulzeit ist Lena Schilling als Umweltaktivistin eine Person des öffentlichen Lebens. Dieses "Growing Up in Public" (Lou Reed) bringt Schwierigkeit mit sich, die nicht leicht zu meistern sind.
Zunächst scheint es im Medienzirkus keine Bremse und keinen Rückwärtsgang zu geben. Ungeschriebene Regel Nummer eins der Politkommunikation "Gebe nie einen Fehler zu", denn der wird dir dann immer vorgehalten.
Menschlich gesehen hätte Schilling "reinen Tisch" machen müssen und die Größe beweisen, die Dinge, die sie wahrheitswidrig gegenüber Freunden behauptet hat, richtigzustellen, die Beteiligten um Verzeihung zu bitten und damit die Konflikte zu überwinden.
Geprägt durch den grünen Parteiapparat: Moralisches Versagen
Nun dürfen sich alle Leser an dieser Stelle fragen, ob ihnen dergleichen selbst im Leben immer gelungen ist; und wie viel dies von einem Menschen Anfang zwanzig abverlangt. Innerhalb eines Wahlkampfs und dem wilden Ringen um Deutungshoheit ist dies nahezu ausgeschlossen.
Moralisch gesehen muss dennoch Schilling ein Versagen attestiert werden. Sie spricht heute verklausuliert davon "in der Vergangenheit Fehler im Privaten gemacht" zu haben und teilt ansonsten aus. Das ist das übliche, üble Polit-Sprech und offenkundig hat der Parteiapparat an dieser Stelle den Menschen Lena Schilling bereist einverleibt.
Weitere aktuelle Aussagen Schillings, dass die Veröffentlichung der Chats eine Intrige aus Kreisen der SPÖ und KPÖ sei, die nicht wollen, dass sie für die Grünen kandidiert, zeigt viel Lust an der politischen Auseinandersetzung und keine Bereitschaft mehr zu Versöhnung.
Da die Grünen sich durchaus gerne moralischer gebärden als andere Parteien – die Messlatte hängt hier übrigens sehr niedrig –, ist dies eine ziemliche Katastrophe. Die Grünen meinen jetzt im Stil der niederösterreichischen Volkspartei mauern zu müssen und behaupten, es sei alles nur eine feindliche Kampagne.
Antisemitische Untertöne: Grüne Spitzenpolitiker teilen aus
Vizekanzler Werner Kogler stellte sich vor Schilling und bezeichnete die Vorwürfe als "Gefurze", um kurz danach um Entschuldigung zu bitten. Die grüne Generalsekretärin Olga Voglauer packte sogar die Formulierung "Silberstein-Methoden" aus, um Schilling zu verteidigen.
Tal Siberstein war ein Politikberater der SPÖ, der Dirty Campaigning betrieben hat. Ihn anzuführen, statt die in Österreich üblichere Wendung "Schmutzkübelkampagne" zu nehmen, verbindet unnachahmlich Antisemitismus und Sozialistenhass. Auch Voglauer bat später um Verzeihung.
Die grüne Parteispitze hat sich offenkundig emotionalisieren lassen und macht damit alles nur noch schlimmer. Besonders gravierend ist dies, weil der Wahlkampf vollständig auf Schilling ausgerichtet war. Die Plakate hatten keine andere Message als "Herz statt Hetze" und zu sehen war die freundlich lächelnde Lena Schilling.
Personenkult im EU-Wahlkampf wird Grünen zum Verhängnis
Die Zeiten, in denen Grüne Inhalte vor die Personen stellen wollten, sind eindeutig vorbei. Seit Jahren machen die Grünen vornehmlich Wahlkampf mit Sprüchlein: "Bio macht schön" und setzen ansonsten auf die Strahlkraft von Personen. Deshalb kommt viel zu viel Dampf in die Personalie Schilling.
Man könnte fast meinen, die Grünen hätten sich am Ende tatsächlich diebisch gefreut die attraktive Kandidatin den anderen linken Parteien abspenstig gemacht zu haben? Dann wäre man knietief in dem üblichen politischen Ringelreihen versunken, bei dem immer den anderen vorgeworfen wird, was man selbst macht.
Klar ist, wer moralischer erscheinen will, muss dann die hohe Moral auch auf sich selbst anwenden und kann nicht einfach blocken und behaupten die Vorwürfe seien lediglich Privatangelegenheiten, die hervorgekramt würde, weil die Konkurrenz den Grünen was ans Zeug flicken will.
Grünes Schmierentheater auf brennendem Planeten
Der ganze Skandal ist übrigens deswegen so bedauerlich, weil der Planet in Flammen steht. Statt einen echten Klimawahlkampf zu führen, geht es jetzt nur um schmutzige Wäsche. Die Rechten dürfen sich die Hände reiben und brauchen nichts weiter zu sagen, denn die Eklats sprechen für sich.
Im Herbst sind in Österreich Nationalratswahlen. Hier müsste eigentlich ein Lagerwahlkampf geführt werden, bei denen sich die linken Parteien, also SPÖ, Grünen und eben auch die KPÖ inhaltlich zusammentun, um bei allem parteipolitischen Konkurrenzkampf gemeinsam für eine ökologischere und sozialere Welt zu kämpfen.
Das sehen die beteiligten Personen grundsätzlich auch so und das steht auch in den jeweiligen Parteiprogrammen drin. Alle Linken wollen mehr Öko und mehr Soziales.
Kaum Chancen für den Klimawahlkampf
Wie sollen diese Themen aber durchdringen, wenn man sich aktuell nur Gemeinheiten über die Medien austeilt? Was sich her vor den Augen der Öffentlichkeit vollzieht, ist ein dreifaches Versagen. Sicherlich ist erstens viel menschlich schiefgelaufen und zweitens haben die Medien mit ihrer Sensationsgier fraglos Öl ins Feuer geworfen.
Aber drittens haben Grünen auch als Partei versagt und nicht nur wegen ihres schlechten Krisenmanagements. Die Gründe hierfür könnten sehr tief in den Parteistrukturen selbst verborgen liegen.
Zu Zeiten, als die Männer noch enorme Bärte trugen, schrieb ein gewisser Karl Marx seinem Brieffreund Michail Bakunin enthusiasmiert über die anstehende sozialistische Revolution. Der Russe teilte die Begeisterung des Deutschen nicht.
Alle Utopien Marx‘ würden an den Hierarchien der sozialistischen Partei und den daraus erwachsenden Intrigen scheitern. Bis heute behielt Bakunin Recht. Die politische Aktivistin Lena Schilling hat dies innerhalb weniger Wochen auf die harte Tour gelernt.