EU plant Notbremse für Strom- und Gaspreise
EU-Präsidentin von der Leyen will einen speziellen Preisdeckel für russisches Gas. Putin droht in diesem Fall mit einem Stopp sämtlicher Energielieferungen. Tschechien, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat, rät von solchen "neuen Sanktionen" gegen Russland ab.
In der EU denkt man dringlich über Preisdeckel für Strom- und Gas nach. Für den morgigen Freitag ist eine Krisensitzung der EU-Energieminister anberaumt. Nach Erklärungen der EU-Kommissionspräsidentin sollen die "astronomischen Strompreise" gesenkt werden. Große Wellen macht der Vorschlag Ursula von der Leyens, die Preise für russisches Gas zu deckeln.
Die Antwort des russischen Präsidenten aus Wladiwostok erfolgte schnell und eindeutig: Putin drohte mit einem kompletten Stopp der russischen Lieferungen von Gas, Öl und Kohle.
Inwieweit diese Replik Putins den EU-Verantwortlichen zu denken gibt, ist noch offen. Die Debatten zur Bewältigung der Energie-Krise über einen Strom- und Gaspreisdeckel laufen noch. Die Rechtstexte dazu sollen nach Informationen des Handelsblatt erst in der "nächsten Woche vorgestellt werden".
Von der Leyen stellte gegenüber der Wirtschaftszeitung klar, dass es sich um einen "Testfall" für die europäische Einigkeit und Solidarität handele. Putin manipuliere unsere Energiemärkte und setze Gaslieferungen als Waffe ein. Eine "Erpressung Putins" weise sie zurück. Die EU sei vorbereitet, rechnet von der Leyen auf Twitter vor:
Zu Beginn des Krieges betrug der Anteil des russischen Pipeline-Gases an den gesamten Gasimporten 40 Prozent. Heute sind es nur noch neun Prozent unserer Gasimporte.
Ursula von der Leyen
Wie exakt die Angabe der EU-Präsidentin ist, lässt sich schwer nachprüfen. Die New York Times präsentiert heute eine Grafik von Eurostat, die zwar eine stark abfallende Kurve bei den EU-Gasimporten aus Russland zeigt, aber keine genaue Monatsangabe für 2022. Die Kurve nach unten stoppt bei etwa 17 Prozent. Doch kommt seit Montag dieser Woche kein russisches Gas mehr über Nord Stream 1..
Geht es nach der Interpretation einer Aussage des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow, die diese Woche in der Financial Times zu lesen war, so wäre mit einem vollem Umfang der Gaslieferungen aus Russland über Nord Stream 1 erst dann zu rechnen, wenn die westlichen Länder ihre Sanktionen gegen Russland aufheben. Auch der Spiegel versteht das so.
Auf größere Schäden einstellen
Die Zeichen stehen so, dass sich beide großen Wirtschaftsräume, der europäische wie der russische, auf größere Schäden einrichten müssen. Der Niedergang des Gasexportes in die EU trifft auch Russlands Wirtschaft schwer. Die Mär, wonach Russland nicht wirklich unter den Sanktionen zu leiden hätte, wird sich nur kurzfristig halten. Mit einem Gasgeschäft, von dem beide Seiten, Russland wie die EU, wirtschaftlich profitierten, ist es vorbei. Wie darauf reagieren?
Im kommenden Winter werden die Importe aus anderen Quellen eben nicht reichen, so Franziska Holz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Sie wurde zusammen mit anderen Experten kürzlich vom rbb danach befragt, wie gut "wir auf die drohende Gasknappheit vorbereitet sind. Das Ergebnis in aller Kürze: "schwierig bis unklar."
Sowohl Berechnungen von Holz als auch von namhaften Ökonomen wie Rüdiger Bachmann von der University of Notre Dame legen nahe, dass aktuell immer noch etwa 25 Prozent des Gasbedarfs nicht gedeckt werden können, wenn man vom Verbrauch aus vorherigen Jahren ausgeht. Entsprechend helfen nur Einsparungen.
rbb
Zwar sei laut Ökonomen und Ökonominnen unwahrscheinlich, dass Deutschland wirklich im Winter das Gas ausgehe, aber um zu wissen, wie sehr dies die Haushalte und die Industrie belaste, wie sehr das Entlastungspaket plus Einsparungen helfen, für "alle Nuancen" würden noch die Daten fehlen.
Auch wie sehr welche Regionen von Deutschland betroffen sein werden und wie sehr für Berlin und Brandenburg das der Fall sein wird, bleibt ungewiss.
So sagt die Ökonomin Holz, dass man zurzeit nur grobe, regionale Abschätzungen vornehmen könne. Weil gasintensive Industrie wie Glasherstellung eher in Bayern, Thüringen und Sachsen zuhause sei und die Chemieindustrie eher in Mitteldeutschland, gehe sie davon aus, dass die Berliner und Brandenburger Wirtschaft vielleicht etwas weniger betroffen sein werden. Viel mehr als Pi-mal-Daumen-Abschätzung sei das aber nicht.
rbb
Der Vorschlag aus Tschechien
Interessant wird in den folgenden Tagen sein, wie sich Tschechien, das momentan die EU-Ratspräsidentschaft innehat, positioniert und welche Unterstützung das Land für seine Vorschläge bekommt. Sie wurden an Medien durchgestoßen. Das österreichische Blog Kontrast.at, herausgegeben vom sozialdemokratischen Parlamentsklub, erwähnt folgende Punkte zur Deckelung von Energie-Preisen:
• vorübergehende Begrenzung des Preises für Gas, das für die Stromerzeugung verwendet wird;
• vorübergehende Begrenzung des Preises für importiertes Gas aus bestimmten Ländern;
• vorübergehender Ausschluss der Stromerzeugung aus Gas vom Merit-Order-System und der Preisbildung auf dem Strommarkt.
Entspricht dieser Vorschlag dem, was Tschechien den EU-Energieministern vorlegt, so ist von keiner expliziten Preisdeckelung für russisches Gas die Rede.
Bestätigt wird dies von einer Meldung von Radio Prag International. Demnach will die Tschechien die Frage einer möglichen Deckelung des Preises für Gas aus Russland beim EU-Ratstreffen am Freitag in Brüssel "nicht besprechen".
Das ist aus wirtschaftlicher Perspektive nachzuvollziehen, da die russischen Gaspreise unter denen der Konkurrenz liegen. Eine Entscheidung für die spezielle Deckelung russischer Gaspreise ist ein politischer Vorstoß.
Geht es nach Industrie- und Handelsminister Jozef Síkela (parteilos) so zieht er es vor, "zum Beispiel über das sogenannte 'iberische Modell' für den Umgang mit Strom- und Gaspreisen zu diskutieren. "Es sollen jedoch keine neuen Sanktionen gegen Russland auf den Tisch kommen".
Die EU besteht aus 27 Mitgliedstaaten. Der Gewinner der Gas-Krise gehört nicht dazu.