EU startet Militäreinsatz gegen Piraten vor Somalia
Der Militärdienstleister Blackwater will in das Geschäft der Piratenbekämpfung einsteigen
Nach der im Juni verabschiedeten Sicherheitsresolution 1816 hat die provisorische Regierung des "failed state" Somalia gestattet, dass Kriegsschiffe von Staaten, die mit dieser kooperieren, in die Hoheitsgewässer fahren und mit allen erforderlichen Mitteln Piraten bekämpfen dürfen. Gerade erst wieder ist ein dänisches Frachtschiff mit überwiegend russischer Besatzung von Piraten überfallen und entführt worden. In diesem Jahr wurden mehr als 60 Schiffe gekapert, derzeit sind 11 Schiffe in den Händen von Piraten. Im Einsatz gegen Piraten an der somalischen Küste befinden sich bereits US- und Nato-Kriegsschiffe. Auch ein russisches Kriegsschiff ist vor Ort, im Dezember will die EU sechs Kriegsschiffe entsenden, die Bundeswehr wird eine Fregatte stellen. Einzelheiten werden heute beim Treffen der EU-Verteidigungsminister entschieden (Notwendige Piratenjagd oder neues militärisches Abenteuer?).
Schon vor einiger Zeit hatten Militärdienstleister angeboten, dass sie doch besser und vor allem billiger Friedenseinsätze im Rahmen der Vereinten Nationen leisten könnten. Das wäre in diesen Zeiten ein lukrativer Markt, da die reichen Länder ihre Verpflichtungen so outsourcen könnten. Daraus ist bislang noch nicht geworden, nun will aber das umstrittene private Militärunternehmen Blackwater die Situation in Somalia ausnützen und bietet, wie auch der Schifffahrts-Versicherer Lloyds in London berichtete, seine Dienste zur Piratenbekämpfung an. Blackwater hat bereits ein Schiff für diese Zwecke umgerüstet.
Blackwater Worldwide today announced that its 183 foot ship, the McArthur, stands ready to assist the shipping industry as it struggles with the increasing problem of piracy in the Gulf of Aden and elsewhere.
Mitteilung von Blackwater vom 16. Oktober
Der oberste Kommandeur der Royal Navy in der Golfregion - Keith Winstanley - hat nach Angaben des Telegraph Reeder sogar dazu aufgefordert, solche Dienste in Anspruch zu nehmen. Vor diesem Hintergrund bekommt aktuelle Analyse des niederländischen Hague Center for Strategic Studies eine besondere Bedeutung. Analyst Theodorus Niemeijer mahnt: „Allen Piraterie-Statistiken ist zu misstrauen.“ Aus Versicherungsgründen seien immer wieder Zahlen manipuliert, Überfälle nicht registriert bzw. im Gegenteil besonders penibel jede Form der Attacke gemeldet worden.
Gerade in diesen Tagen kann diese Warnung nicht oft genug wiederholt werden. Denn mit nur vermeintlich neutralen Zahlen wird zur Zeit argumentiert, um Entscheidungen über Militäreinsätze herbeizuführen. Dr. Kieling von Thyssen Krupp Marine Systems bestätigte dieses Phänomen auf der internationalen Fachkonferenz Maritime Security and Defence international (MS&D) Ende September in Hamburg. Er wies das Fachpublikum darauf hin, dass es die meisten Piratenüberfälle mitnichten jetzt gebe, sondern dass diese zwischen 2000 und 2003 stattgefunden hätten.
Erster EU Marine-Einsatz im Ausland: Operation Navco
Das Europäische Parlament hat am 23. Oktober einer Resolution zugestimmt, in der der Einsatz von Kriegsschiffen gegen Piraten vor Somalias Küste befürwortet wird. Die Einzelheiten der Operation Navco werden am Montag durch die EU-Verteidigungsminister beschlossen.
Dies ist der erste Schritt für den ersten maritimen EU-Militäreinsatz überhaupt. Nach Angaben der BBC ist der Einsatz vor Somalia möglicherweise nur der Anfang für weitere in anderen Regionen. China, Vietnam und Libyen hätten dies bislang allerdings verhindert. Das könnte eine weitere Erklärung für die Blackwater-Pläne sein.
Schiff-Fahrtsexperte Niemeijer berichtete in Hamburg von einem Consultingauftrag des „Hague Centers for Strategic Studies“ für ein Unternehmen, das mit einem Schiff in das Niger Delta wollte: Besonders die Manager hätten einen „besonders verantwortungslosen großen Appetit für das Risiko gezeigt. Speziell der Projektmanager und die Verkaufsabteilung haben aus reinem Profitstreben vorhandene Risiken heruntergespielt oder ganz verneint.“ Nach Aussagen Niemeijers hätten sie keinerlei Anreiz gesehen, sich mit den Risiken zu beschäftigen. Denn eine ernsthafte Risikoanalyse hätte in deren Augen nur den Entscheidungsprozess verlangsamt, während ihr einziges Interesse darin bestanden habe, zum Geschäftsabschluss zu kommen. Das „Hague Center for Strategic Studies“ hätte dann wohl eine reine Alibifunktion gehabt. Die Hausjuristen, Risiko- und Finanzmanager hätten zwar Bedenken gehabt, aber stets nur aus dem Blickwinkel ihrer jeweiligen Abteilung. Außerdem hätten die Juristen keine Informationen preisgeben wollen, die versicherungsrelevant gewesen seien. Hauptschwierigkeit sei aber gewesen, dass keiner mit dem anderen habe reden wollen und können. Niemeijer schilderte diese drastischen Erfahrungen in den Räumen der Hamburg Messe vor 200 Marine-Repräsentanten aus 20 Ländern. Kein verantwortungsbewusster Marinekommandeur würde sich und seine Mannschaft derart verheizen lassen. Auch deshalb kommt wahrscheinlich gerade jetzt „Blackwater“ in's Spiel.
Solchen Militärdienstleistern würden Reeder vermutlich auch eher als Vertretern von Marine oder Polizeien mitteilen, wenn Waffen oder gefährlichere Güter an Bord sind. Sollen Soldaten oder Polizisten ihr Leben riskieren für Giftmüll oder radioaktive Materialien, die möglicherweise sogar illegal verschifft werden? Diese Frage muss vor einem Einsatz geklärt werden. Lloyds List hat kürzlich darauf hingewiesen, wie wichtig es wird, die Position in Bezug auf illegale Fischerei vor Somalias Küste zu klären.
Schiffe werden gezielt ausgesucht
Zumindest die US-Marine soll sich in der Realität anders verhalten, als das öffentlich verbreitete Image es suggeriert. Dies beschreibt in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „CD Sicherheitsmanagement“ der Vertreter einer Sicherheitsfirma, der mit der „Amiya Scan“ befasst war. Das Schiff eines niederländischen Unternehmens einer deutschen Reederei war im Golf von Aden von Piraten überfallen worden. Deutsche Kräfte hätten geholfen, „im Gegensatz im Übrigen zu den Verbindungsoffizieren der alliierten Streitkräfte unter Führung der Task Force 150 aus Dubai.“
Angesichts dieser Erfahrung bekommt eine Begegnung während der Verhandlungen eine besondere Bedeutung. Der deutsche Verhandler lernt einen italienischen Kapitän kennen, dem Somalia noch aus den Zeiten von General Aidid ein Begriff war: „Dass den die Amerikaner tatsächlich schnappen wollten, hielt er für eine große Lüge, ähnlich wie in dem Film Black Hawk Down dargestellt. Angeblich saß er des Öfteren mit Aidid zusammen, ohne dass die Amerikaner versuchten zuzugreifen“, so der deutsche Security-Mann. Hingegen hätten Amerikaner und Briten das sogenannte Hawala-Banking eliminiert, bei dem irgendwo auf der Welt einem Araber Bargeld übergeben wird, der es an seinen Empfänger weiterleitet. Dies habe die Lösegeldübergabe schwierig gemacht.
Der Überfall auf das Schiff sei, so der deutsche Unterhändler, kein Zufallsfang gewesen: „Mittlerweile sind wir überzeugt, dass die Schiffe ganz gezielt ausgesucht werden. Die Hintermänner, die den Auftrag erteilen, wissen bestens darüber Bescheid, wann und wo sich ein Frachtschiff befindet. Diese Leute sitzen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Afrika.“ Das Schiff sei offenbar zur richtigen Zeit eingetroffen, quasi perfektes „Just in time“-Management für die Piraten: „Nachdem sich zum Beispiel herausstellt, dass die Bewaffnung der Piraten in einigen Fällen defekt ist, reparieren die drei Offiziere die Maschinen- und Sturmgewehre. Da trifft es sich gut, dass Offiziere und Waffen aus Russland stammen.“
Auch die Nato habe „den maritimen Einsatz am Horn von Afrika dem Vernehmen nach von langer Hand geplant; die Durchführung sei aber erst durch eine UN-Resolution vom Juni dieses Jahres möglich geworden, werden hochrangige Nato-Kreise vom Tagesspiegel zitiert.
Immerhin habe die Nato nach den Anschlägen des 11. September erkannt, welche Defizite im maritimen Sektor bestanden haben. Dies erzählte Kapitän Klaus Beyer auf der MS&D-Konferenz in Hamburg. Deshalb habe man vor zwei Jahren ein sogenanntes "quick reaction team" gebildet. In Italien habe man mit Unterwasserfahrzeugen geübt, Häfen zu sichern. Seiner Erfahrung nach habe die Industrie unterschätzt, wie viel investiert werden müsse, bevor ein Produkt in diesem Bereich auch wirklich einsetzbar sei. Außerdem habe sich herausgestellt, dass manche Neuentwicklung nicht verschifft werden konnte, weil sonst gegen Ausfuhrkontrollbestimmungen verstoßen worden wäre.
Damit nicht am Bedarf vorbeientwickelt wird, steht Thomas Kunze. Früher war er selbst bei der Marine, heute bei Atlas Elektronik. Doch alle Expertise nützt nichts, wenn es um das Bezahlen geht. Dies machte Konteradmiral K.W. Rosberg deutlich. Er berichtete vom Bau des Jade-Weser-Hafens in einer Public-Private-Partnership, die offenbar eines eint: Keiner will zahlen für mehr Sicherheit. Trotz potentiell lohnender Ziele für Terroristen wie Raffinerien, Flüssiggas- und Chlorid-Anlagen, werde bislang nicht in solchen Schutz investiert, der technisch möglich ist. Kein Hafen habe bislang die zweite Sicherheitsstufe eingeführt, die der sogenannte ISPS-Code vorsieht, warf Vizeadmiral Lutz Feldt ein.
Die Internationale Schifffahrtsorganisation der UN in London (IMO) hatte diese Sicherheitsstufen nach dem 11.9. verlangt. Investiert werde, zumindest vermittelten die Redner auf der maritimen Sicherheitskonferenz dieses Bild, vor allem im Ausland. Möglicherweise soll diese Darstellung nur Druck aufbauen, um deutsche Regierung, Politiker und Firmen zu Ausgaben zu bewegen. Möglicherweise ist es aber auch nur die traurige Wahrheit.
Angeblich verfüge ausgerechnet Estland über den besten Küstenschutz der Welt. Und in Katar entstehe zur Zeit das ehrgeizigste Projekt zur Hafensicherung weltweit. In Tanger werden drei Milliarden Euro investiert, um Schmuggel und Schleusung in den Griff zu bekommen, berichtete Ludwig Eberle von der EADS. So versucht Bernd Joeris von Diehl denn auch, für den heimischen Markt, das Rad neu zu erfinden bzw. eine Entwicklung doppelt zu nutzen. Systeme, die gegen Flugabwehrraketen schützen sollen, will Diehl nun Schiffen anbieten. Dr. Kieling von Thyssen Krupp Marine Systems schlägt sogenannte „panic rooms“ auf Schiffen vor – vergleichbar dem Schutzraum, in den sich Jodie Foster im gleichnamigen Spielfilm flüchtete. Kontraproduktiv allerdings, denn im Film ist die Hauptdarstellerin dann in dem Zimmer gefangen, das sie eigentlich schützen sollte.
Dr. Thomas Weise von Rheinmetall appelliert an die Marine-Führung: „Wir beschützen nicht hauptsächlich Schiffe, wir beschützen unsere Soldaten. Das Beste ist doch, wenn überhaupt kein Soldat sein Leben riskieren muss, weil er nämlich gar nicht eingesetzt wird.“ Auf diese Weise wirbt das Unternehmen für seine unbenannten Wachwchiffe: „Im Ernstfall verliert man nur das Schiff, nicht aber eine Mannschaft.“ Und so zieht der Konferenzleiter Vizeadmiral Lutz Feldt das kritische Fazit: „Letztendlich geht es vor allem um Menschen. Um gut ausgebildete Menschen. Kleine Crews an Bord von Schiffen, das zeigt sich jetzt, sind jedenfalls der falsche Ansatz.“