EU und Medien: Von der Leyens Vision – eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit?
Unter dem Vorwand des Schutzes: EU-Gesetze verstärken zentrale Kontrolle. Ein Balanceakt zwischen Regulierung und Zensur.
Die EU will Journalisten und Medienunternehmer besser vor "politischer Einflussnahme" schützen. So lautet die Absicht zum Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act, EMFA). Das Gesetzgebungsverfahren dazu wurde im März befürwortet und prinzipiell abgeschlossen.
Nicht alle sind von den guten Absichten, wie sie etwa hier konzis, hell und ohne Schatten aufgelistet werden, überzeugt. Kritiker sehen in der Schaffung einer neuen EU-Aufsichtsbehörde, die durch das Gesetz angestoßen wird, auch das Risiko, dass sich die EU damit neue zentrale Kontrollmöglichkeiten gibt, die mit der Meinungsfreiheit kollidieren.
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Proteste: Keine Unterwerfung
Verlegerverbände, die in ihrer Sache auch Wirtschaftsinteressen verfolgen, äußerten Einwände gegen die neue Aufsichtsinstanz. "Es gebe keinen Grund für eine weitere Harmonisierung des Medienrechts auf EU-Ebene zugunsten einer stärkeren Kontrolle durch eine Medienbehörde oder mittelbar durch die Kommission", berichtete Stefan Krempl bei heise.de. Sie warnten vor einer "Unterwerfung der Presse".
Nun hat sich der EU-Korrespondent Eric Bonse (der mitunter auch bei Telepolis veröffentlicht) die neuen Internet- und Mediengesetze der Europäischen Union genauer nach ihren Schattenseiten angeschaut und dies beim Institut für Medienverantwortung (IMV) veröffentlicht.
Von der Leyen: Paradigmenwechsel
Dort ist von Sabine Schiffer die Einschätzung zu lesen, dass sich sowohl der medienpolitische Diskurs als auch die Praxis der EU unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen grundlegend geändert habe: "So wird neuerdings der Schutz der Demokratie angeführt, um Brüssel direkte Eingriffe in die Medien zu erlauben." Die EU habe sich zahlreiche neue Kompetenzen in der Netz- und Medienpolitik verschafft.
Sei zuvor eher ein kooperativer und dezentraler Ansatz bestimmen gewesen, so würden die Zeichen nun auf einer Verstärkung der Medienaufsicht stehen.
Gravierende gesellschaftspolitische Auswirkungen möglich
Allerdings könnten die neuen medienpolitischen Kompetenzen, die sich die EU mit diesen Gesetzen aneignet, gravierende gesellschaftspolitische Auswirkungen haben: "auf die Bürgerrechte, das Zusammenleben, die Partizipationsmöglichkeiten und letztendlich auf die Demokratie".
Eine solche sei ohne freie Medien als kontrollierende Instanz nicht zu machen:
"Darum sollten sie sich dieser Thematik intensiver annehmen und mit dem nötigen kritischen Blick, der auch um die nächste Ecke ungünstiger politischer Entwicklungen denken kann."
Für diese Entwicklung stehen, wie dies Bonses Analyse ausleuchtet, Abkürzungen wie DAS (Digital Service Act), DMA (Digital Market Act) – beide Gesetze würden nicht nur wirtschaftliche und technische, sondern auch politische Aspekte miteinander verknüpfen – und eben das erwähnte Medienfreiheitsgesetz EMFA (European Media Freedom Act).
Schutz vor Desinformation
Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen sieht in diesen Gesetzen eine Notwendigkeit, um die europäische Demokratie vor Desinformation und missliebigen Einflüssen zu schützen. Diese Gesetze erweitern die Macht der EU, indem sie tiefgreifende Regulierungen einführen, die das Ziel haben, die Transparenz zu erhöhen, Desinformation zu bekämpfen und die digitale Souveränität Europas zu stärken.
Der DSA zielt darauf ab, große Online-Plattformen zu regulieren, die mehr als 45 Millionen Nutzer in der EU haben. Dieses Gesetz verpflichtet Plattformen, Meldesysteme für illegale Inhalte einzurichten und innerhalb von 24 Stunden auf solche Meldungen zu reagieren.
Risikobewertung und Krisenreaktionsmechanismus
Zusätzlich fordert der DSA von den Plattformen, ihre Algorithmen offenzulegen und Risikobewertungen durchzuführen, um Desinformation aktiv zu bekämpfen. Die Einhaltung wird von der EU streng überwacht, und bei Verstößen können schwere Strafen verhängt werden.
Besonders umstritten sind die Artikel 34 ("Risikobewertung") und 36 des DSA ("Krisenreaktionsmechanismus"), die vage Generalklauseln enthalten, die als indirekter Eingriff in die Meinungsfreiheit gewertet werden können.
Bemerkenswert ist, dass von Anfang an die Regulierung des "Content" weit oben stand. Von Fake News und Desinformation war jedoch zunächst keine Rede, von (Online-)Medien auch nicht. Die medienpolitischen Intentionen und Implikationen haben sich erst später eingeschlichen.
Spätestens mit dem 2024 verabschiedeten Medienfreiheitsgesetz sind sie jedoch zu einem integralen Bestandteil der neuen Online-Regulierungen geworden, wie die EU-Kommission und das Europaparlament immer wieder betonen.
Eric Bonse, Big Brother aus Brüssel
Dass mit dem DSA Plattformen dazu verpflichtet würden, nutzerfreundliche Meldesysteme einzurichten, "damit die User illegale Inhalte wie Hetze oder gefälschte Produkte ganz einfach melden können", ist einer der konkreten Punkte, die Bonse als Beispiel für die Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Aspekten hervorhebt.
Hier tut sich Spielraum für eine strenge Kontrollpolitik mit Sanktionen auf, so seine Beobachtung.
Was illegal ist, wird allerdings nicht definiert. Die EU-Kommission spricht von "terroristischen Inhalten, Material zum sexuellen Missbrauch von Kindern oder illegaler Hassrede auf EU-Ebene". Die Sperrung oder Löschung soll "unverzüglich" nach der Meldung erfolgen, Richtwert sind 24 Stunden.
Während Internet-Aktivisten und NGOs bemängeln, dass die Regulierung nicht weit genug gehe, führt der Brüsseler Journalist Medienrechtler und Verbände ins Feld, die kritisieren, dass die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt über Gebühr eingeschränkt werde.
Umsetzung könnte Probleme bereiten
Die EU-Kommission will die neuen Gesetze schnell umsetzen und alle Register ziehen, um sich als Autorität im Bereich der Online-Regulierung zu etablieren.
Allerdings gibt es bereits erste Anzeichen dafür, dass die Umsetzung der neuen Gesetze zu Problemen führen könnte. So wurden bereits mehr als 960 Millionen angeblich fragwürdige Inhalte von Amazon, Facebook, YouTube, Instagram, Pinterest, TikTok und X (Ex-Twitter) gelöscht oder eingeschränkt.
Es ist noch unklar, ob es der EU gelingen wird, international agierende Online-Konzerne auf europäische Regeln zu verpflichten. Kritiker befürchten, dass die neuen Gesetze letztlich auf weniger, nicht mehr Freiheit hinauslaufen könnten.
Sorge vor zu viel Kontrolle
Vieles ist von der Sorge geprägt, dass die EU zu einem "Big Brother" wird, der die Kontrolle über die Informationslandschaft an sich reißt.
Klar ist, dass sich die EU auf einem schmalen Grat zwischen Liberalisierung, Regulierung und Zensur bewegt. Die neue europäische Digital- und Medienpolitik wirft bisher mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Umso wichtiger ist es, sich die neuen Regulierungen genauer anzuschauen.
Eric Bonse, Big Brother aus Brüssel