EU und Ukraine-Krieg: Lieferung von Munition an Kiew nur erster Schritt?

Seite 3: Stufe 3: Per ASAP zur Kriegswirtschaft

Munition liefern ist das eine, Munition finanzieren, das andere, sie im großen Stil nicht im Ausland zu kaufen, sondern in Europa zu produzieren, ist die dritte Säule des EU-Munitionsplans.

Bereits am 20. März wurde der Kommission vom Rat der Auftrag erteilt, auszuarbeiten, wie dies gewährleistet werden kann.

Dem kam die Kommission umgehend nach und legte, am 3. Mai einen Vorschlag für eine entsprechende Verordnung vor. Auftragsgemäß handelt es sich dabei um ein Maßnahmenpaket zur Ankurbelung der europäischen Munitionsproduktion:

Das Instrument soll finanzielle Unterstützung für Handlungen leisten, um identifizierten Flaschenhälsen bei den Produktionskapazitäten und Lieferketten zu begegnen, wobei die Sicherheit und Beschleunigung der Produktion im Zentrum steht, um eine effektive Versorgung und zeitnahe Verfügbarkeit der relevanten Verteidigungsmaterialien zu gewährleisten.

Proposal for a Regulation on establishing the Act in Support of Ammunition Production

Wie bereits erwähnt, soll die Verordnung noch vor der Sommerpause verabschiedet werden, augenscheinlich hat es die Kommission eilig, daher ist der Name der Verordnung auch Programm:

Das Gesetz zur Munitionsbeschaffung trägt den sperrigen Namen "EU Act to Support Ammunition Production", für dessen Wahl allerdings die Abkürzung "ASAP" mitentscheidend gewesen sein dürfte – im Englischen steht er für "schnellstmöglich" ("as soon as possible").

Spiegel Online, 2.5.2023

Maßnahmen zur Erhöhung der europäischen Produktionskapazitäten sollen über ASAP mit mindestens 40 und bis zu 60 Prozent Ko-finanziert werden. Die Liste, was dabei förderbar ist, ist erstaunlich umfangreich:

Finanzielle Unterstützung wird in Form von Zuschüssen für verschiedene Arten von Maßnahmen gewährt, die zu den Bemühungen der europäischen Verteidigungsindustrie beitragen, ihre Produktionskapazitäten zu erhöhen und festgestellte Engpässe zu beseitigen. Finanzielle Unterstützung wird für Maßnahmen gewährt, die zu Folgendem beitragen:

• Optimierung, Erweiterung, Modernisierung, Verbesserung oder Wiederverwendung bestehender Produktionskapazitäten;
• Schaffung neuer Produktionskapazitäten;
• Aufbau grenzüberschreitender Industriepartnerschaften, auch im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften, um beispielsweise den Zugang zu strategischen Komponenten oder Rohstoffen zu sichern oder zu reservieren;
• Aufbau und Bereitstellung von reservierten Kapazitäten für die Herstellung von Spitzenleistungen;
• Erprobung oder Wiederaufbereitung (zur Beseitigung der Veralterung) von Prozessen, um vorhandene Munition und Flugkörper nutzbar zu machen;
• Umschulung und Höherqualifizierung der entsprechenden Arbeitskräfte.

Europäische Kommission, Presseartikel, 3.5.2023

Insgesamt wird hierfür nun eine weitere Milliarde mobilisiert, je zur Hälfte aus dem EU-Haushalt und von den Mitgliedsstaaten, wobei sich die Kommission auch nicht scheut, Hand an völlig sachfremde zivile Töpfe anzulegen:

Binnen zwölf Monaten sollen europäische Rüstungsfirmen mindestens eine Million Schuss Artilleriemunition pro Jahr produzieren. Dafür stellt die Kommission 500 Millionen Euro aus ihrem Haushalt bereit. Die gleiche Summe soll von den Mitgliedstaaten kommen, sodass insgesamt eine Milliarde Euro an Subventionen zur Verfügung steht. […]

Dafür dürfen sie [die Mitgliedsstaaten] auch Gelder umwidmen, die sie aus den Kohäsionsfonds zur Angleichung der Lebensumstände in der EU und dem Corona-Wiederaufbaufonds erhalten. Letzterer ist eigentlich für die grüne und digitale Transformation gedacht. Doch sagte Breton, ein Ziel des Coronafonds sei es gewesen, die Resilienz der Länder zu stärken. Dazu gehöre auch die Verteidigung.

Handelsblatt, 3.5.2023

Selbst dirigistischen Maßnahmen, die tief in die marktwirtschaftlichen Gepflogenheiten eingreifen, sollen per ASAP möglich sein:

Die EU-Kommission will Rüstungsunternehmen in der EU künftig per Gesetz verpflichten können, Munition an Mitgliedsländer statt an Staaten außerhalb der EU zu liefern. […] Dem Vorschlag zufolge soll der Mechanismus greifen, wenn es zu "Engpässen bei kritischen Verteidigungsgütern, die die Sicherheit der EU beeinträchtigen können" kommt. Die Kommission soll Unternehmen dann dazu verpflichten können, Bestellungen aus EU-Ländern vorrangig zu bedienen – und Lieferungen an Nicht-EU-Länder zu verschieben oder zu streichen.

Spiegel Online, 2.5.2023